Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 26.11.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Ulrike Herrmann, Jan Fleischhauer, Amelie Fried, Claudia Major, Carsten Breuer, Peer Steinbrück
Die Gäste (v.l.n.r.): Ulrike Herrmann, Jan Fleischhauer, Amelie Fried, Claudia Major, Carsten Breuer, Peer Steinbrück | Bild: WDR / Melanie Grande

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Wie groß ist die Personallücke der Bundeswehr?

Wie groß ist die Personallücke der Bundeswehr?

Sicherheitsexpertin Claudia Major und der Generalinspekteur der Bundeswehr Carsten Breuer diskutierten in der Sendung über Deutschlands Verteidigungsfähigkeit. Konkret ging es dabei um die Personalstärke der Bundeswehr. Breuer plädierte für die Wiedereinführung eines Wehrdienstes, um im Verteidigungsfall über die erforderliche Zahl an Soldatinnen und Soldaten zu verfügen. Die genauen Zahlen schauen wir uns hier noch einmal näher an.

Debatte um Verteidigungsfähigkeit: Wie viele Soldaten fehlen der Bundeswehr? | Video verfügbar bis 26.11.2025

Maischberger: "Gehört die Wehrpflicht zu den Dingen, die wir Ihrer Meinung nach brauchen? Das ist ja auch ein Streitpunkt zwischen den Parteien. Das, was Pistorius geplant hat, liegt erst mal auf Eis. Die Union sagt, wir brauchen sie unbedingt. Bei der SPD ist es ein bisschen zurückhaltend."

Major: "Ich würde mal anders fragen. Die Frage ist ja, welches Problem will ich denn lösen? Will ich das Personalproblem lösen? Dann weiß ich nicht, ob eine Wehrpflicht wirklich hilft, weil wir brauchen ja auch ganz bestimmtes Personal in der Bundeswehr. Die Frage ist, soll ich die Wehrfähigkeit allgemein der ganzen Gesellschaft ansprechen? Denn wir haben ja eben gesagt, es gibt nicht nur eine militärische Bedrohung, es gibt auch diese ganzen Graubereiche von Sabotage bis –. Da reicht die militärische Antwort nicht, sondern da braucht es eine weitere Antwort der ganzen Gesellschaft. Oder habe ich das Problem, dass sich viele Bürger gar nicht mehr mit dem Staat identifizieren? Ich glaube, bei allen dreien reicht eine rein militärische Wehrpflicht nicht, sondern da bräuchte es eher eine Dienstpflicht, wo das Militär ein Teil davon ist."

(…)

Breuer: "Wir brauchen eine Aufwuchsfähigkeit."

Major: "Ja."

Maischberger: "Das ist ein Wort, das versteht sonst keiner. Aufwuchsfähig heißt was?"

Breuer: "Das versuche ich gerade noch mal zu sagen. Also, wir haben einen bestimmten Personalkörper, das sind rund 200.000 Soldatinnen und Soldaten. Und wir brauchen aber mehr, um Deutschland im Rahmen der NATO auch verteidigen zu können. Und wenn man das nimmt, dann sind das am Ende so rund 460.000 Soldatinnen und Soldaten. Die bekommen wir aus bestehenden Reservisten, also aus denen, die schon in unserem 'Bestand' sind. Und zusätzlich dazu brauchen wir rund 100.000 Reservistinnen und Reservisten. Und dafür brauchen wir einen Wehrdienst."

Hintergrund: Wie groß ist die Personallücke der Bundeswehr?

Schaut man sich die Entwicklung der Bundeswehr über die Jahrzehnte an, wird deutlich, dass die Anzahl der Soldaten seit dem Ende des Kalten Krieges kontinuierlich gesunken ist. Verfügten die Truppen im Jahr 1989 noch über rund 490.000 aktive Soldaten, sind es nach Angaben der Bundeswehr aktuell nur noch etwa 180.000 (Stand: 30.9.2024). Das bedeutet einen Rückgang um mehr als 60 Prozent.

Benötigt werden laut Bundesverteidigungsministerium langfristig etwa 460.000 Soldaten, damit Deutschland im Verteidigungsfall seinen Pflichten als NATO-Partner nachkommen kann. Diese Zahl bezeichnen Fachleute auch als Verteidigungsumfang. Demnach klafft aktuell eine Personallücke von etwa 280.000 Soldaten. Wie der Generalinspekteur der Bundeswehr Carsten Breuer bereits in der Sendung sagte, soll diese Lücke vor allem durch Reservisten geschlossen werden.

Personallücke von 280.000 soll größtenteils durch Reservisten geschlossen werden

Als Reservist gilt der Definition nach jede Person, die mindestens einen Tag in der Bundeswehr gedient und ihren Dienstgrad seither nicht verloren hat. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Person ausschließlich ihren Grundwehrdienst abgeleistet hat, als Soldat auf Zeit tätig war oder als Berufssoldat. Nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst erhält jeder ganz automatisch den Status "Reservist".

Aktuell gibt es in Deutschland etwa 10 Millionen ehemalige Soldatinnen und Soldaten. Der Großteil steht der Bundeswehr allerdings nicht mehr als Reservist zur Verfügung – entweder aus gesundheitlichen Gründen oder durch das Überschreiten der Altersgrenze von 65 Jahren.

Es bleiben laut Schätzungen der Bundeswehr etwa 900.000 Ehemalige, die theoretisch verfügbar wären. Diese Gruppe wird als Allgemeine Reserve bezeichnet. Bei diesen Personen handelt es sich um sogenannte Nicht-Beorderte – sie tragen aktuell keine Funktion in der Bundeswehr und nehmen nicht an regelmäßigen Übungen teil. Problem: Mangels einer konsequenten Datenerfassung wäre die gezielte Einberufung dieser Personen im Ernstfall sehr schwierig, wenn nicht unmöglich.

Dem gegenüber stehen die Beorderten, die regelmäßig an Übungen teilnehmen und aktiv in Bundeswehr-Strukturen eingebunden sind. Ihre Zahl beläuft sich aktuell auf etwa 34.000. Angesichts der Sicherheitslage in Europa, die sich durch Russlands Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 massiv verschärft hat, plant das Bundesverteidigungsministerium eine Aufstockung der aktiven Reserve auf etwa 60.000.

Verteidigungsminister Pistorius plante neuen Wehrdienst

Doch auch dann würden der Bundeswehr immer noch knapp 200.000 Soldaten fehlen. Aus diesem Grund stellte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) unlängst ein neues Wehrdienstmodell vor. Die Idee: Bei Erreichen der Volljährigkeit sollen junge Männer und Frauen einen Online-Fragebogen ausfüllen, auf dessen Basis dann pro Jahrgang etwa 5.000 Kandidatinnen und Kandidaten für den Wehrdienst gewonnen werden sollen. Für die Männer soll das Ausfüllen dieses Fragebogens verpflichtend sein. Eine Rückkehr zur klassischen Wehrpflicht, die im Jahr 2011 unter dem damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ausgesetzt wurde, lehnt Pistorius ausdrücklich ab. Zudem sieht sein Gesetzentwurf auch eine konsequentere Wehrerfassung vor, um Reservisten im Ernstfall gezielt aktivieren zu können. "Wir wissen derzeit nicht, wen wir mobilisieren könnten, wenn morgen der Verteidigungsfall einträte", erklärte Pistorius am 20.11.2024 gegenüber den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.

Das Bundeskabinett hat die Pläne des Verteidigungsministers bereits verabschiedet, doch nach dem Bruch der Ampel-Koalition gilt eine Zustimmung des Bundestages als unwahrscheinlich. Der Union, auf deren Stimmen die rot-grüne Minderheitsregierung angewiesen wäre, gehen Pistorius' Pläne nicht weit genug. Sie fordert eine komplette Reaktivierung der Wehrpflicht, wie vor der Aussetzung im Jahr 2011. Der Verteidigungsminister konterte, die Union solle der Öffentlichkeit erklären, wo die Bundeswehr im Falle einer umfassenden Wehrpflicht jedes Jahr einen Jahrgang junger Rekruten unterbringen, ausstatten und ausbilden soll. "Wir reden hier von mehr als 100.000 jungen Männern", betonte Pistorius im oben angeführten Interview mit der Mediengruppe Bayern.

So bleibt vorerst unklar, wie die Bundeswehr den langfristig angepeilten Verteidigungsumfang von 460.000 Soldaten erreichen will.

Interessanter Vergleich: Unmittelbar vor der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 hatten die westdeutschen Streitkräfte einen Verteidigungsumfang von 1,3 Millionen Soldaten. Diese setzten sich zusammen aus rund 500.000 aktiven Soldaten und etwa 800.000 beorderten Reservisten.

Fazit: Laut Bundesverteidigungsministerium werden langfristig etwa 460.000 Soldaten benötigt, damit Deutschland im Verteidigungsfall seinen Pflichten als NATO-Partner nachkommen kann. Aktuell verfügt die Bundeswehr über knapp 180.000 Soldaten, 34.000 mobilisierbare Reservisten kommen hinzu. Demzufolge klafft eine Lücke von etwa 250.000. Zwar gehören schätzungsweise 900.000 ehemalige Soldaten der Allgemeinen Reserve an, diese nehmen jedoch nicht regelmäßig an Übungen teil und sind mangels konsequenter Datenerfassung im Ernstfall schwer zu mobilisieren. Das Bundesverteidigungsministerium plant deshalb eine Aufstockung der aktiven Reservisten auf etwa 60.000. Außerdem soll ein neues Wehrdienst-Modell zum personellen Zuwachs in der Bundeswehr beitragen. Das entsprechende Gesetzesvorhaben wird aber wegen des Koalitionsbruchs voraussichtlich nicht mehr durch den Bundestag kommen. Die Union indessen fordert eine Wiedereinführung der Wehrpflicht wie vor der Aussetzung im Jahr 2011.

Stand: 27.11.2024

Autor: Tim Berressem