Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 04.12.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Dagmar Rosenfeld, Laura Kipfelsberger, Giovanni di Lorenzo, Friedrich Merz, Andrij Melnyk
Die Gäste (v.l.n.r.): Dagmar Rosenfeld, Laura Kipfelsberger, Giovanni di Lorenzo, Friedrich Merz, Andrij Melnyk | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Wie viele Schulden darf Deutschland trotz Schuldenbremse aufnehmen?

Wie viele Schulden darf Deutschland trotz Schuldenbremse aufnehmen?

CDU-Chef Friedrich Merz äußerte sich in der Sendung zu einer möglichen Reform der Schuldenbremse. Grundsätzlich sprach er sich für ihren Erhalt aus und sagte in diesem Zusammenhang, dass der Staat aktuell auch mit Schuldenbremse 50 Milliarden Euro Schulden pro Jahr machen könne. Die konkreten Zahlen schauen wir uns hier noch einmal näher an.

Streitpunkt Schuldenbremse: Wie viele Schulden darf Deutschland aufnehmen? | Video verfügbar bis 04.12.2025

Merz: "Wir können mit Schuldenbremse – ich will Ihnen einfach nur mal die Zahlen für die Jahre 2024 und 2025 sagen – wir können mit Schuldenbremse in jedem dieser beiden Jahre nochmal zusätzlich 50 Milliarden Euro Schulden machen. In zwei Jahren 100 Milliarden. Das ist so viel wie der Landeshaushalt von Nordrhein-Westfalen. (…) Frau Maischberger, ich will Ihnen mal sagen, warum ich bei der Schuldenbremse so klar bin. Die spart oder die schützt, sagen wir es besser so, die schützt das Geld und die Steuerzahlungen der jungen Generation. Und jetzt sitzen hier einige aus der jüngeren Generation. Sollen wir deren Geld heute schon ausgeben, weil wir mit dem, was wir haben, nicht auskommen? Wir nehmen 1000 Milliarden Euro Steuern ein pro Jahr – eine Billion. Und damit sollen wir nicht auskommen?"

Maischberger: "Punkt gemacht. Sie haben im November bei der Süddeutschen Zeitung gesagt, selbstverständlich könne man über eine Reform der Schuldenbremse reden. Also dann doch anfassen?"

Merz: "Der Sachverständigenrat hat Vorschläge gemacht, die Bundesbank hat Vorschläge gemacht. Wir haben bei den Ländern ein Problem. Die Länder haben diese Flexibilität, wie der Bund sie hat, nicht. Die Länder haben sehr hohe Ausgaben. Ich bleibe dabei: Wir können über alle Artikel des Grundgesetzes ab dem Artikel 20 aufwärts reden, bis Artikel 146. Nur die Frage ist doch, was sind jetzt heute unsere Prioritäten?"

Hintergrund: Wie viele Schulden darf Deutschland trotz Schuldenbremse aufnehmen?

Die Schuldenbremse ist seit 2009 im Grundgesetz (Artikel 109) verankert und verpflichtet die Bundesregierung zu einem soliden Haushalt. Demnach dürfen die jährlich aufgenommenen Schulden des Bundes nicht höher liegen als 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Laut Statistischem Bundesamt betrug das BIP im Jahr 2023 rund 4,19 Billionen Euro. Demzufolge erlaubte die Schuldenbremse für das Jahr 2023 eine Neuverschuldung von etwa 14 Milliarden Euro. Die Prognosen für das laufende Jahr 2024 liegen in der gleichen Größenordnung.

Höherer Schuldenrahmen in wirtschaftlich schwachen Zeiten

Zu diesen 14 Milliarden Euro Schulden, die die Schuldenbremse grundsätzlich erlaubt, kommt ein Betrag von etwa 8 Milliarden Euro. Dabei handelt es sich um die sogenannte Konjunkturkomponente, die in wirtschaftlich schwachen Zeiten eine höhere Verschuldung erlaubt. Berechnet wird die Konjunkturkomponente mittels einer komplexen Formel, die die gegenwärtige wirtschaftliche Leistung (BIP) ins Verhältnis zum geschätzten wirtschaftlichen Produktionspotenzial ("Normallage") setzt.

Zusammengenommen wäre also eine Neuverschuldung von 22 Milliarden Euro möglich. Doch im Haushaltsplan für das Jahr 2024 wird ein Defizit von rund 49 Milliarden Euro veranschlagt. Wie ist dieser Betrag zu rechtfertigen, wenn doch die Schuldenbremse nur 22 Milliarden abdeckt? Einerseits greift der Bund laut Haushaltsplan auf Rücklagen in Höhe von 10 Milliarden Euro zurück. Andererseits finden sich im Staatsdefizit gewisse Ausgaben, die zwar faktisch zur Verschuldung beitragen, aber nicht unter die Regeln der Schuldenbremse fallen. Die Idee hinter diesen sogenannten finanziellen Transaktionen: Verschuldet sich der Bund, um zum Beispiel eine Aktie zu kaufen, hat er zwar mehr Schulden, aber auch mehr Finanzvermögen. Das Nettofinanzvermögen des Staates bleibt unterm Strich also unverändert. Aus diesem Grund sind finanzielle Transaktionen von der Schuldenbremse ausgenommen. Im Haushaltsplan 2024 beläuft sich dieser Posten auf etwa 17 Milliarden Euro.

Zusammengefasst stellt sich das Haushaltsdefizit 2024 wie folgt dar:

49 Mrd. Euro Gesamtdefizit - 10 Mrd. Euro Rücklagen
= 39 Mrd. Euro Schulden

- 14 Mrd. Euro gemäß Schuldenbremse (0,35 Prozent des BIP)
- 8 Mrd. Euro Konjunkturkomponente
- 17 Mrd. Euro finanzielle Transaktionen

Die Neuverschuldung für das Jahr 2025 sollte nach Plänen des ehemaligen Bundesfinanzministers Christian Lindner (FDP) noch einmal deutlich höher liegen als im Vorjahr. Hintergrund war ein starker Anstieg der Konjunkturkomponente aufgrund der anhaltend schwachen Wirtschaft. Lindner rechnete mit einer Neuverschuldung von etwa 56 Milliarden Euro, die sich seinen Plänen nach folgendermaßen zusammensetzen sollte:

56 Mrd. Euro Schulden

- 14 Mrd. Euro gemäß Schuldenbremse (0,35 Prozent des BIP)
- 15 Mrd. Euro Konjunkturkomponente
- 27 Mrd. Euro finanzielle Transaktionen

Doch nach dem Bruch der Ampel-Koalition ist Lindners Haushaltsplan hinfällig. Sein Amtsnachfolger, Bundesfinanzminister Jörg Kukies (SPD), kündigte bereits an, er wolle den Bundestag vor den Neuwahlen nicht über einen Bundeshaushalt 2025 abstimmen lassen. Somit wird ab dem 1.1.2025 zunächst eine sogenannte vorläufige Haushaltsführung gelten. Dabei werden die Ansätze des Vorjahres fortgeschrieben. Jeden Monat darf die geschäftsführende Bundesregierung ein Zwölftel des Vorjahresetats ausgeben. Für den Haushalt 2024 rechnet Kukies weiterhin mit der vorgesehenen Neuverschuldung von 39 Milliarden Euro (siehe oben).

Abweichungen von Schuldenbremse werden auf Konto dokumentiert

Ob und in welchem Umfang die Neuverschuldung unter den vorgegebenen 0,35 Prozent des BIP geblieben ist, wird auf dem sogenannten Kontrollkonto dokumentiert. Die jährliche Differenz wird dem Konto entweder gutgeschrieben oder belastet. Rutscht das Konto so weit ins Minus, dass die Summe mehr als 1 Prozent des BIP beträgt, muss der Staat diese "konjunkturgerecht zurückführen", wie es im Gesetz heißt. Konkret bedeutet das: Der Staat darf dann entsprechend weniger Schulden aufnehmen. Im Umkehrschluss bedeutet das aber nicht, dass mit einem Plus auf dem Konto automatisch der Schuldenrahmen steigt. Denn das Konto ist eher als Kontrollwerkzeug zu verstehen, um den Haushalt langfristig stabil zu halten. Das Geld auf dem Konto ist also rein fiktiv. Das Haushaltsjahr 2023 schloss das Bundesfinanzministerium mit einem Guthaben von etwa 53 Milliarden Euro ab.

In Notsituationen kann die Schuldenbremse laut Grundgesetz zeitweise ausgesetzt werden. Von dieser Ausnahmeregelung machte die Bundesregierung im Jahr 2020 Gebrauch, um die Herausforderungen der Corona-Pandemie zu bewältigen. In den Folgejahren 2021, 2022 und 2023 wurde die Ausnahme durch den Bundestag verlängert – zusätzlich bedingt durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. 2024 trat die Schuldenbremse erstmals wieder in Kraft.

Streit um Schuldenbremse trug zum Ampel-Bruch bei

Über die Zukunft der Haushaltsregel wird seit einiger Zeit kontrovers debattiert. Während SPD und Grüne sich für eine deutliche Reform stark machen, um in Zukunft mehr Investitionen tätigen zu können, lehnt die FDP einen solchen Vorstoß strikt ab. So erwies sich die Diskussion um die Schuldenbremse letztlich als wesentlicher Grund für den Bruch der Ampel-Koalition. CDU-Chef Friedrich Merz sagte in unserer Sendung, nach heutigem Stand sei er fest davon überzeugt, dass die gegenwärtigen Probleme ohne eine Änderung der Schuldenbremse lösbar seien. Man könne jedoch nicht ausschließen, dass neue politische Herausforderungen eine Reform notwendig machen. Zugleich bekräftigte der Unions-Kanzlerkandidat Vorschläge aus seiner Partei, wonach zumindest Lockerungen für die Bundesländer eine denkbare Option seien. Die Schuldenbremse verbietet es den Ländern nämlich grundsätzlich, ihre Haushalte mit Hilfe neuer Kredite zu finanzieren. Die 0,35-Prozent-Grenze wie im Bund gibt es dort nicht.

Fazit: Wie viele Schulden Deutschland trotz Schuldenbremse aufnehmen darf, hängt von der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes ab. Grundsätzlich erlaubt das Gesetz eine jährliche Neuverschuldung in Höhe von maximal 0,35 Prozent des BIP. Aktuell entspricht das etwa 14 Milliarden Euro. Entsprechend einer Formel, die die konjunkturelle Lage abbilden soll, wird dieser Schuldenrahmen aktuell fast verdoppelt. Darüberhinaus gibt es im Haushaltsplan Staatsausgaben, die zwar Schulden verursachen, aber nicht unter die Regel der Schuldenbremse fallen. Auf diese Weise kann die Neuverschuldung der Bundesrepublik deutlich höher ausfallen als durch die Schuldenbremse vorgegeben. Im laufenden Jahr beträgt sie 39 Mrd. Euro. Der Haushaltsplan 2025 sah einen Betrag von 56 Mrd. Euro vor. Durch den Bruch der Ampel-Koalition ist dieser Plan aber hinfällig geworden.

Stand: 05.12.2024

Autor: Tim Berressem