Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 10.12.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Wolfram Weimer, Philipp Amthor, Katharina Hamberger, Mathias Richling, Ulrich Wickert, Beatrix von Storch
Die Gäste (v.l.n.r.): Wolfram Weimer, Philipp Amthor, Katharina Hamberger, Mathias Richling, Ulrich Wickert, Beatrix von Storch | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Fordert die AfD den Austritt Deutschlands aus der EU?

Fordert die AfD den Austritt Deutschlands aus der EU?

Die stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion Beatrix von Storch äußerte sich in der Sendung zum Wahlprogrammentwurf ihrer Partei. Dabei widersprach sie der Aussage, die AfD fordere den Austritt Deutschlands aus der EU. Vielmehr wolle man die Gründung einer "neuen europäischen Gemeinschaft", betonte von Storch. Welche europapolitischen Forderungen die AfD in ihrem Programm formuliert, schauen wir uns hier noch einmal genauer an.

Programmentwurf der AfD: Soll Deutschland die EU verlassen? | Video verfügbar bis 10.12.2025

Maischberger: "Die AfD hat jetzt einen Entwurf für ein Programm zu den Wahlen, und da haben sie zum ersten Mal wirklich den Austritt Deutschlands aus der EU schwarz auf weiß stehen. Sie sagen, das wäre notwendig."

von Storch: "Sie müssen das zu Ende lesen."

Maischberger: "Es gibt Wirtschaftsinstitute, die sagen, das kostet der Wertschöpfung in Deutschland so viel wie Corona und Energiekrise zusammen. Wollen Sie das?"

von Storch: "Also, wenn Sie aus dem Programm zitieren würden, dann würden Sie nicht nur die Hälfte eines Satzes lesen, sondern der Satz geht weiter."

Maischberger: "Ich habe ihn gelesen, Frau von Storch."

von Storch: "… und die Gründung einer neuen europäischen Gemeinschaft als Wirtschafts- und Interessengemeinschaft."

Maischberger: "Der wichtige Teil ist, dass Sie aus der EU erst einmal austreten wollen und etwas Anderes dafür gründen wollen."

von Storch: "Nein, das ist nicht korrekt. Sie zitieren falsch. Die Gründung einer neuen europäischen Interessengemeinschaft, das ist, was wir wollen. Und wenn Sie dann noch einen Satz weiterlesen, das empfiehlt sich immer, dann steht da, dass wir das mit den Partnern verhandeln wollen, mit denen man eine neue Gemeinschaft gründen kann, und dass wir dann die Politik gemeinsam betreiben, die besonders wichtig ist. Und was uns besonders wichtig ist, das ist ein gemeinsamer freier Markt. Und nicht eine politische Union, keine Vereinigten Staaten von Europa, sondern ein gemeinsamer freier Markt und der Außengrenzschutz. Das steht alles in dem Programm drin."

Maischberger: "Das ist richtig. Aber Sie können natürlich in Ihrem Programm nicht schreiben, was alle anderen Partner machen. Ob die dann die EU tatsächlich eintauschen wollen gegen eine andere Gemeinschaft, können Sie natürlich nicht bestimmen. Der erste Punkt wäre tatsächlich, diese EU ist nichts für die AfD, da wollen Sie raus. Das ist doch etwas, was da steht."

von Storch: "Gucken Sie, machen Sie Ihren Faktencheck noch mal, das haben wir ja schon mal gemacht."

Maischberger: "Ich habe es gemacht, wir stellen es gerne ins Netz für alle, die es nachlesen wollen. Es steht da drin –"

von Storch: "Gründung einer neuen europäischen Gemeinschaft und einen freien Markt."

Maischberger: "Austritt aus der EU."

von Storch: "Was wir nicht wollen, ist die immer enger werdende Europäische Union mit politischen Entscheidungen, die in Brüssel getroffen werden, mit Mehrheiten aus anderen Ländern."

Stimmt das? Fordert die AfD den Austritt Deutschlands aus der EU?

Am 28.11.2024 stellte die AfD ihren Entwurf für das Bundestagswahlprogramm 2025 vor, über den auf dem Bundesparteitag Mitte Januar abgestimmt werden soll. Zur europapolitischen Ausrichtung der Partei heißt es dort auf Seite 70:

"Wir halten einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union und die Gründung einer neuen europäischen Gemeinschaft für notwendig. Wir wollen die Europäische Union samt ihren Bürokratien und Institutionen durch eine Wirtschafts- und Interessengemeinschaft (WIG) ersetzen, durch einen Staatenbund, dessen Mitglieder konstruktiv und friedlich miteinander kooperieren und auf all jenen Gebieten eng zusammenarbeiten, die besser gemeinsam gestaltet werden können und für alle Beteiligten von Vorteil sind. Aus unserer Sicht sind dies der gemeinsame Markt, der wirksame Schutz der Außengrenzen gegen illegale Zuwanderung, die Erlangung strategischer Autonomie im sicherheitspolitischen Handeln und die Bewahrung der europäischen Kultur und ihrer verschiedenen Identitäten."

Erklärtes Ziel sei ein "Europa der Vaterländer als Bund souveräner Staaten". Über eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes, in dem sich Deutschland bislang zur Europäischen Union bekennt (Artikel 23), will die AfD im Rahmen einer Volksabstimmung entscheiden lassen. 

Im Kern also besteht die Forderung der AfD aus zwei Teilen, nämlich dem Austritt Deutschlands aus der EU und der Gründung einer neuen europäischen Gemeinschaft. Wie diese Ziele im Einzelnen erreicht werden sollen, wird im Programm aber nicht erläutert. In jedem Fall wäre Deutschland bei einem derartigen Vorstoß darauf angewiesen, dass die übrigen EU-Mitglieder kooperieren und sich für eine neue Form der europäischen Gemeinschaft aussprechen. Im AfD-Programm heißt es dazu: "Uns ist klar, dass ein harter Bruch kontraproduktiv wäre. Der Übergang in die neue WIG wäre darum sowohl mit den alten EU-Partnerstaaten als auch neuen Interessenten im Konsens zu verhandeln."

Nicolai von Ondarza, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)
Nicolai von Ondarza, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) | Bild: SWP

Ein solches Szenario hält Nicolai von Ondarza, Europa-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), jedoch für unrealistisch: 

"Es gibt kein anderes europäisches Land, das ein solches Konstrukt anstrebt, auch nicht das aus der EU ausgetretene Großbritannien oder Länder mit rechtsaußen-geführten Regierungen wie Italien unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Im Gegenteil, selbst unter den europäischen Rechtsaußen-Parteien ist die AfD mit ihrer weiteren Radikalisierung in Richtung EU-Austritt weitgehend isoliert, da die meisten Rechtsaußen-Parteien Abstand von früheren Austrittsforderungen gemacht haben, wie etwa Marine Le Pen in Frankreich, die italienischen Rechtsaußen-Parteien oder die 'Finnen' und die Schwedendemokraten. Geert Wilders hat für die Regierungsbeteiligung in den Niederlanden ebenfalls auf die Forderung eines Nexit verzichtet. Diese selbst unter den europäischen Rechtsaußen-Parteien radikale Position hat auch dazu beigetragen, dass die AfD vor den Europawahlen aus ihrer Fraktion im EU-Parlament ausgeschlossen wurde und mittlerweile nur mit kleinen Splitterparteien eine Außenseiterfraktion in Minimalgröße im EU-Parlament bildet."

Ob die AfD einen Austritt Deutschlands auch ohne das Zustandekommen eines neuen europäischen Bundes vorantreiben würde, wird aus dem Programmentwurf nicht deutlich.

Politikwissenschaftler Nicolai von Ondarza, der sich in seiner Arbeit intensiv mit den Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien befasst, sieht in der AfD-Forderung Parallelen zur Brexit-Debatte aus dem Jahr 2016:

"Aus meiner Sicht ist das Versprechen einer 'neuen europäischen Gemeinschaft' ein Versuch, die gravierenden Folgen eines Dexits mit einer Scheinoption abzumildern, ähnlich wie die britischen Brexit-Befürworter wie Boris Johnson oder Nigel Farage vor dem Referendum versprochen haben, Großbritannien könne auch nach dem EU-Austritt seinen Zugang zum EU-Binnenmarkt und damit einen zentralen Vorteil der EU-Mitgliedschaft behalten – wie wir heute wissen, ein leeres Versprechen."

Dabei wäre ein Austritt Deutschlands aus der EU deutlich folgenschwerer als der Brexit, erklärt von Ondarza weiter:

"Erstens ist die deutsche Wirtschaft weitaus vernetzter mit dem EU-Binnenmarkt als die britische und profitiert wie kaum eine andere europäische Volkswirtschaft vom EU-Wirtschaftsraum. Umso gravierender wäre daher auch der Austritt aus der EU und ihrem freien Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr. Zweitens ist Deutschland zusätzlich tragendes Mitglied im Euro, aus dem die AfD ebenfalls austreten will (vgl. Seite 34 des AfD-Wahlprogrammentwurfs, Anm. d. Red.). Ein deutscher Austritt aus dem Euro würde die gemeinsame Währung insgesamt ins Wanken bringen, mit unkalkulierbaren Risiken für die europäische Wirtschaft, einschließlich für Deutschland. Drittens ist Deutschland anders als Großbritannien Gründungsmitglied mit zentraler Funktion für die Europäische Union. Ein deutscher Austritt aus der EU würde somit die gesamte Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa bedrohen, in einer Phase, in der Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt."

Ökonomen warnen vor den wirtschaftlichen Folgen eines EU-Austritts. Wie Berechnungen des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ergeben haben, würde ein sogenannter "Dexit" erhebliche Einbußen bedeuten. Bereits nach fünf Jahren würde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um schätzungsweise 5,6 Prozent geringer ausfallen. Der Verlust wäre laut IW vergleichbar mit dem der Corona- und Energiekrise zusammen. Innerhalb der ersten fünf Jahre würden der Bundesrepublik etwa 690 Milliarden Euro Wertschöpfung verloren gehen. Zudem würden hierzulande rund 2,5 Millionen Arbeitsplätze wegfallen.

Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, blickt kritisch auf den aktuellen Programmentwurf der AfD. In der ZDF-Sendung "Berlin direkt" vom 8.12.24 unterstrich er: "Bei einem Austritt aus der Europäischen Union würde wahrscheinlich der Binnenmarkt, der gemeinsame Markt in der jetzigen Form nicht zu halten sein. Dieser Binnenmarkt ist für uns der wichtigste Absatzmarkt."

Bereits im September 2023 hatte die AfD die Forderung, die EU durch eine "Europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft" zu ersetzen, als Teil eines bundespolitischen 10-Punkte-Plans formuliert. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm reagierte damals mit Unverständnis auf den Vorstoß: "Es ist völlig unklar, wie man sich eine Renationalisierung von Politikfeldern in einer derart global integrierten Volkswirtschaft wie der unseren vorstellt", sagte sie dem "Handelsblatt". "Wir sollten uns vor Augen führen: Die europäische Integration ist Grundlage von Frieden und dieser wiederum die Grundlage wirtschaftlicher Prosperität." Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) äußerte sich skeptisch. "Die internationale Vernetzung der deutschen Industrie ist ein entscheidender Faktor für unseren Wohlstand und den Erfolg unserer Wirtschaft", betonte die BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner.

Die europapolitische Zukunft Deutschlands ist für die AfD seit langem ein Thema. In ihrem Leitantrag für das Europawahlprogramm 2024 war zunächst von einer "geordneten Auflösung der EU" die Rede. Wie die Partei wenig später mitteilte, sei diese Forderung jedoch nur durch ein redaktionelles Versehen in den Leitantrag geraten. Auf dem AfD-Parteitag im August 2023 stimmte die Mehrheit der Delegierten schließlich dagegen. Man einigte sich stattdessen darauf, die EU im Wahlprogramm als "gescheitert" zu bezeichnen und einen weitreichenden Umbau hin zu einem "Bund europäischer Nationen" zu fordern. Auch in diesem Zusammenhang war bereits von einer "neu zu gründenden europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft" die Rede. Wenige Monate später, im Januar 2024, stellte die AfD-Vorsitzende Alice Weidel einen möglichen Dexit zur Debatte. Gegenüber der "Financial Times" sagte sie, eine von ihrer Partei geführte Regierung würde versuchen, die EU zu reformieren und den Mitgliedstaaten wieder mehr Souveränität zu geben. Falls dies nicht das gewünschte Ergebnis bringen würde, sollte es ihrer Ansicht nach ein Referendum über den Verbleib in der EU geben – so wie 2016 in Großbritannien. Weidels Co-Vorsitzender Tino Chrupalla ruderte kurz darauf zurück. Gegenüber dem Deutschlandfunk betonte er, es hätte bereits in der Vergangenheit eine Volksabstimmung sowohl über die EU-Mitgliedschaft Deutschlands als auch über die Euro-Einführung geben müssen. Inzwischen sei es dafür zu spät. Stattdessen kündigte er an, dass sich die AfD gemeinsam mit europäischen Partnern für eine Reform der Europäischen Union einsetzen wolle.

Fazit: In ihrem Entwurf für das Bundestagswahlprogramm 2025 erklärt die AfD, sie halte einen Austritt Deutschlands aus der EU für notwendig. Gleichzeitig spricht sich die Partei für die "Gründung einer neuen europäischen Gemeinschaft" aus. Die Forderung besteht also aus diesen zwei Teilen. Wie diese Ziele im Einzelnen erreicht werden sollen, wird im Programm aber nicht erläutert. In jedem Fall wäre man darauf angewiesen, dass sich die übrigen EU-Mitglieder ebenfalls für eine neue Form der europäischen Gemeinschaft aussprechen. Doch dieses Szenario bewerten Experten aus Politik und Wirtschaft als unrealistisch. Ökonomen warnen grundsätzlich vor den wirtschaftlichen Folgen, den eine Aufkündigung der EU-Mitgliedschaft hätte. Ob die AfD einen Austritt Deutschlands auch ohne das Zustandekommen eines neuen europäischen Bundes vorantreiben würde, wird aus dem Programmentwurf nicht deutlich.

Stand: 12.12.2024

Autor: Tim Berressem