Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 11.12.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Joachim Llambi, Kristina Dunz, Winfried Kretschmann, Sonja Zekri
Die Gäste (v.l.n.r.): Joachim Llambi, Kristina Dunz, Winfried Kretschmann, Sonja Zekri | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Wie viele neue Windräder will die baden-württembergische Regierung bauen?

Wie viele neue Windräder will die baden-württembergische Regierung bauen?

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (B’90/Grüne) äußerte sich in der Sendung zum Ausbau der erneuerbaren Energien in seinem Bundesland. In diesem Zusammenhang gab es Unklarheiten darüber, welches Ziel speziell für den Bau neuer Windkraftanlagen festgelegt wurde. Die genauen Zahlen schauen wir uns hier noch einmal näher an.

Stockender Hochlauf: Wie viele neue Windräder will die baden-württembergische Regierung bauen? | Video verfügbar bis 11.12.2025

Maischberger: "Sie haben in Ihrem Wahlprogramm 2021 – und das war Ihr drittes Programm – geschrieben, dass Sie 1000 Windräder schaffen wollen."

Kretschmann: "Nein."

Maischberger: "Doch."

Kretschmann: "Nein, das stimmt nicht."

Maischberger: "Entschuldigung, die Formulierung heißt, die Voraussetzung schaffen –"

Kretschmann: "Meinen Koalitionsvertrag kenne ich schon, Frau Maischberger."

Maischberger: "1000 Windräder bis 2030. Die stehen da drin."

Kretschmann: "Nein. Das steht da nicht drin."

Maischberger: "Faktencheck. Ich habe es so gelesen bei Ihnen."

Kretschmann: "Es steht drin, wir schaffen die Rahmenbedingungen für 1000 Windräder."

Maischberger: "Bis?"

Kretschmann: "'Bis' steht schon gar nicht drin."

Maischberger: "2030?"

Kretschmann: "Nein, das steht einfach nicht drin, Frau Maischberger, es tut mir leid."

Maischberger: "Also die 1000 stehen da drin, das haben wir schon festgestellt."

Kretschmann: "Ja, das war – wir wollten 1000 Windräder überhaupt neu bauen. Das war das Ziel."

Maischberger: "Also die Zahl stimmt."

Kretschmann: "Das müssen wir korrigieren. Wir werden sicher insgesamt 3000 brauchen. So war das gemeint und so steht es auch drin. Die Rahmenbedingungen für 1000 Windräder schaffen, das steht im Koalitionsvertrag."

Maischberger: "Das habe ich gerade gesagt. Die Rahmenbedingungen schaffen für –"

Kretschmann: "Aber es steht nicht drin, wir bauen 1000 Windräder in der Legislaturperiode."

Hintergrund: Wie viele neue Windräder will die baden-württembergische Regierung bauen?

Zur Diskussion in der Sendung ist zunächst festzustellen, dass Winfried Kretschmann und Sandra Maischberger über zwei unterschiedliche Dokumente sprachen. Sandra Maischberger zitierte aus dem Wahlprogramm der baden-württembergischen Grünen für die Landtagswahl 2021. Winfried Kretschmann hingegen bezog sich auf den Koalitionsvertrag, den die Grünen und die CDU nach der Landtagswahl 2021 geschlossen haben.

Im Wahlprogramm wird das Ziel formuliert, bis zum Jahr 2030 den Bau von mehr als 1000 neuen Windkraftanlagen zu ermöglichen. Auf Seite 36 heißt es wörtlich:

"Deutschlandweit müssen wir bis zur Klimaneutralität eine installierte Leistung von 562 Gigawatt Erneuerbare Energie erreichen. Dafür wollen wir in Baden-Württemberg unseren Beitrag leisten. Hier gibt es noch viel Flächenpotenzial für den Ausbau der Erneuerbaren Energien. Dieses wollen wir heben, indem wir verstärkt landeseigene Flächen im Wald für die Windkraft nutzen. So wollen wir bis zum Jahr 2030 über 1000 neue Anlagen ermöglichen."

Im Koalitionsvertrag, den Grüne und CDU nach der Wahl ausgehandelt haben, findet sich dieses Ziel in abgeschwächter Form wieder. Ein wichtiger Unterschied: Das Jahr 2030 wird als Frist nicht genannt. Außerdem ist hier die Rede von "bis zu 1000 neuen Windkraftanlagen", während laut Wahlprogramm "über 1000 neue Anlagen" ermöglicht werden sollten. Wörtlich heißt es im Koalitionsvertrag auf Seite 24:

"Eine Vergabeoffensive für die Vermarktung von Staatswald- und Landesflächen für die Windkraftnutzung: So können wir die Voraussetzungen für den Bau von bis zu 1000 neuen Windkraftanlagen schaffen. Dazu wollen wir die Vergabeverfahren vereinfachen (z. B. durch eine Standardisierung der zu erwartenden Windkrafterträge pro Hektar)."

In der Realität ist man von dieser Zielmarke aber noch weit entfernt. Nach Angaben der baden-württembergischen Landesanstalt für Umwelt (LUBW) wurden seit 2021, dem Beginn der Legislaturperiode, insgesamt 63 Windkraftanlagen in Betrieb genommen. In 2024 sind es bislang 11, weitere 6 befinden sich aktuell im Probebetrieb und produzieren bereits Strom, werden aber noch nicht offiziell als "aktiv" erfasst. Außerdem sind 164 Anlagen bereits genehmigt, weitere 179 immerhin beantragt. Alle Daten dazu sind auf dem Windenergie-Dashboard der LUBW zu finden. (Hinweis: Wie die LUBW auf Anfrage mitteilte, werden die Daten des Dashboards im Wochenrhythmus immer montags aktualisiert. Deshalb beläuft sich die Zahl der 2024 in Betrieb genommenen Windkraftanlagen dort aktuell noch auf 8. Laut LUBW sind seit dem 9.12.24 weitere 3 Anlagen hinzugekommen, die nach Aktualisierung der Daten am kommenden Montag, den 16.12.24, auch auf dem Dashboard erscheinen werden.)

Als ein wesentlicher Grund für den stockenden Ausbau der Windenergie in Baden-Württemberg gilt – neben dem allgemeinen Fachkräftemangel, Logistikproblemen und teuren Pachten – vor allem die Bürokratie. Zwar hat sich die grün-schwarze Regierungskoalition das Ziel gesetzt, die Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich zu verkürzen. Doch Kritikern gehen die Bemühungen nicht weit genug. So stellte der Landesverband Windenergie Baden-Württemberg im Juni 2024 fest: "Trotz allseitigem Bemühen sind keine ausreichenden Effekte bei der Verkürzung und Vereinfachung von Planungs- und Genehmigungsverfahren in Baden-Württemberg erkennbar." Es gebe noch "einzelne Landratsämter, die sich der nötigen Geschwindigkeit beim Ausbau der Windenergie verweigern".

Das Umweltministerium hält dagegen, die Dauer von der Antragstellung bis zur Genehmigung sei stark gesenkt worden. "Im ersten Halbjahr 2024 lag die durchschnittliche Verfahrensdauer der 27 in diesem Zeitraum genehmigten Windenergieanlagen bei 7,3 Monaten." 2023 dauerte das Genehmigungsverfahren im Land laut Ministerium durchschnittlich noch 22,1 Monate, im Jahr davor 35,6 Monate.

Im Koalitionsvertrag 2021 erklärten Grüne und CDU, Baden-Württemberg solle "Klimaschutzland Nummer eins in Deutschland und Europa" werden. So will Grün-Schwarz bis 2040 klimaneutral werden, und damit zehn Jahre schneller als die EU und fünf Jahre schneller als der Bund. Dafür müsste das Land bis 2030 ein Minus von 65 Prozent der Emissionen im Vergleich zu 1990 erreichen. Bislang sei dieses Ziel noch nicht einmal zur Hälfte erreicht, mahnt der baden-württembergische Klima-Sachverständigenrat. Vor allem in den Sektoren Verkehr, Gebäude, Energie und Landwirtschaft werden die Klimaziele voraussichtlich deutlich verfehlt, so die Experten.

Kritik kommt auch aus der SPD-Landtagsfraktion. Es werde "immer deutlicher, dass es sich bei dem versprochenen Hochlauf um eine reine Fata Morgana handelt", schrieb die stellvertretende Vorsitzende und umweltpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Gabi Rolland, kürzlich in einer Pressemitteilung. "Damit die grün-schwarze Landesregierung ihre eigenen Klimaziele erreichen könnte, müssten im Land schon seit Jahren rund 150 neue Windkraftanlagen jährlich entstehen, zusätzlich zu Solarenergie und anderen Erneuerbaren. Stattdessen waren es in den vergangenen sechs Jahren im Schnitt nur zwölf Anlagen pro Jahr", so Rolland weiter.

Bundesweit kommt der Ausbau der Windenergie besser voran. 745 neue Windräder gingen dem Bundesverband Windenergie zufolge in ganz Deutschland im Jahr 2023 in Betrieb – fast 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Spitzenreiter sind Bundesländer im Norden Deutschlands. In Schleswig-Holstein wurden im vergangenen Jahr 249 neue Anlagen installiert, in Niedersachsen kamen 131 neue Windräder hinzu. Die gesteckten Ausbauziele werden aber bislang auch auf Bundesebene nicht erfüllt. Im Jahr 2023 erreichte man laut Bundesnetzagentur 79 Prozent der angepeilten Leistung, im laufenden Jahr 2024 sind es sogar nur 43 Prozent (Stand: 12.12.24).

Fazit: Die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg hat sich im Koalitionsvertrag 2021 darauf geeinigt, "die Voraussetzungen für den Bau von bis zu 1000 neuen Windkraftanlagen" zu schaffen. Anders als im grünen Wahlprogramm, demzufolge "bis zum Jahr 2030 über 1000 neue Anlagen" ermöglicht werden sollten, findet sich im Koalitionsvertrag also kein Zieldatum. So oder so ist Baden-Württemberg aber noch weit entfernt von den 1000 neuen Windkraftanlagen. In der laufenden Legislaturperiode sind bislang etwa 60 Anlagen neu in Betrieb genommen worden. Die Bürokratie bei Planung und Genehmigung gilt als einer der Hauptgründe. Bundesweit kommt der Ausbau der Windenergie etwas besser voran. Doch auch hier werden die gesteckten Ziele bislang verfehlt.

Stand: 12.12.2024

Autor: Tim Berressem