Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 19.02.2025

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Micky Beisenherz, Nena Brockhaus, Matthias Deiß, Claudia Major
Die Gäste (v.l.n.r.): Micky Beisenherz, Nena Brockhaus, Matthias Deiß, Claudia Major | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Wird in Deutschland weniger gearbeitet als in anderen Ländern Europas?

Wird in Deutschland weniger gearbeitet als in anderen Ländern Europas?

Unsere Kommentatoren diskutierten u.a. über die Forderung des Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, dass in Deutschland wieder mehr gearbeitet werden müsse. Nena Brockhaus stimmte diesem Appell zu und verwies auf aktuelle Zahlen, wonach Deutschland bei den geleisteten Arbeitsstunden unter dem europäischen Durchschnitt liege. Gleichzeitig ließen sich die Deutschen überdurchschnittlich oft krankschreiben, so Brockhaus. Micky Beisenherz und Matthias Deiß teilten diesen Eindruck nicht.

Streitpunkt Arbeitszeit: Sind die Deutschen fauler als der Rest Europas? | Video verfügbar bis 19.02.2026

Maischberger: "Sind die Deutschen – das klingt ja so ein bisschen immer zwischen den Zeilen so durch, meint man, bei Friedrich Merz, es mangelt sozusagen am Fleiß – sind die Deutschen zu faul geworden?"

Brockhaus: "Ja, aber das ist ja nicht die Meinung von Friedrich Merz, sondern das zeigen ja auch Studien. Und selbst Bloomberg-Kolumnisten schreiben ja schon über die faulen Deutschen. Also, was Arbeitsstunden betrifft, sind wir unten, was Krankheitstage betrifft, sind wir oben. Also da muss man sagen, das ist keine Haltung von Friedrich Merz, es sind einfach Fakten. Wir Deutschen sind zu faul geworden."

Maischberger: "Darf ich das zur Debatte stellen?"

Deiß: "Ja, also ich finde, mit Wählerbeschimpfung in den Wahlkampf zu gehen jetzt nicht die beste Strategie."

Brockhaus: "Aber warum Beschimpfung?"

Deiß: "Ja, weil sich die Leute angegriffen fühlen. Ich habe es gestern in Potsdam genau so gehört. Da sitzen ganz viele Leute, die von sich den Eindruck haben – und es auch sind – die sind fleißig, die arbeiten, die stehen morgens auf. Die gehen dann abends hin und hören sich an, dass sie faul sind. Das fliegt aus meiner Perspektive gar nicht. Im Gegenteil, viele arbeiten mehr als früher und haben weniger in der Tasche. Und das frustriert die Leute, und da fühlt man sich nicht angesprochen."

Beisenherz: "Deckt sich auch mit meinem Bild. Zumal es auch eine Studie gibt aktuell, dass die Gen Z doch deutlich mehr arbeitet als bislang angenommen. Also selbst das Bild der faulen Jugend zieht ja nicht mehr. Und gerade bei den Gen Z, die 2000 geboren sind – in was für eine Zukunftsperspektive haben die geblickt in den letzten 25 Jahren! Dass die überhaupt noch aufstehen und arbeiten gehen."

(…)

Brockhaus: "Ich würde von dem Fühlen her, ja, wie gut oder nicht gut sich die Menschen fühlen und was man in seinem Umkreis erlebt, einmal zu den Fakten kommen. Und wir sind im europäischen Vergleich unten. Und da kann man jetzt sagen, andere Länder wollen auch nicht früh aufstehen, haben auch keinen Bock, ja, es ist jetzt nicht so, dass alle anderen Länder grandios dastehen. Und wir sind im europäischen Vergleich unten. Und Deutschland schafft sich dahingehend ab und wir müssen wieder mehr ranklotzen, das sagen die Zahlen. Und ich muss ganz klar sagen, wenn wir wieder ein Gewinnerland werden wollen, dann müssen wir hoch mit der Arbeitskraft und runter mit den Krankheitstagen. Das ist ein riesiges Problem für die Unternehmen in unserem Land. Wenn man mit Mittelständlern redet, ist das sehr gravierend. Deswegen, ich finde schon, wir sollten im europäischen Vergleich wenigstens den Anspruch haben, wieder oberes Mittelfeld zu werden. (…) Wir sind bei 24 Krankheitstagen, das ist mehr als ein Monat."

Beisenherz: "Dann wird’s ja bei mir langsam mal Zeit, ich hab’ noch nicht einen."

Stimmt das? Wird in Deutschland weniger gearbeitet als in anderen Ländern Europas?

Laut Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) arbeitete im Jahr 2023 jeder Erwerbstätige in Deutschland durchschnittlich 1.343 Stunden. Damit ist die Bundesrepublik Schlusslicht und liegt folglich unter dem Durchschnitt sowohl der OECD-Staaten (1.742 Arbeitsstunden) als auch der 22 EU-Mitglieder, die Teil der OECD sind (1.592 Arbeitsstunden).

Arbeitszeit-Daten international kaum vergleichbar

Das bedeutet aber nicht, dass in Deutschland grundsätzlich weniger gearbeitet wird als in allen anderen Ländern. Die OECD-Statistik hat nämlich eine methodische Schwäche. Sie umfasst nicht nur Vollzeitarbeitskräfte, sondern auch Teilzeit- und Saisonarbeitskräfte, bezahlte und unbezahlte Überstunden sowie in Nebentätigkeiten geleistete Stunden. Das Problem: Bei der Berechnung des Durchschnitts zählt ein Erwerbstätiger in Vollzeit genauso viel wie jemand, der z.B. nur 15 Wochenstunden arbeitet. Die Zahlen sind deshalb nicht für Ländervergleiche geeignet, worauf die OECD auch deutlich hinweist.

Anhand eines Beispiels wird das Problem der Statistik etwas deutlicher: Angenommen in einer Partnerschaft arbeitet der Mann 38,5 Wochenstunden, während seine Partnerin nicht erwerbstätig ist. Geht man von 45 Arbeitswochen pro Jahr aus, arbeitet der Mann insgesamt 1.732,5 Stunden – das entspricht ungefähr dem OECD-Schnitt. Nun entscheidet sich der bereits Erwerbstätige aber, seine Arbeitszeit auf 40 Wochenstunden zu erhöhen, und seine Partnerin nimmt zudem eine Teilzeitbeschäftigung mit 20 Wochenstunden auf. Im Schnitt arbeitet das Paar somit 30 Stunden in 45 Wochen, also 1.350 Stunden. Statistisch gesehen ist das weniger als zuvor, obwohl beide mehr arbeiten.

Die Frage, ob in einem Land viel oder wenig gearbeitet wird, lässt sich anhand dieser Zahlen also nicht beantworten. Das betonte auch der Wirtschaftswissenschaftler Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bereits gegenüber den Kollegen vom BR-#Faktenfuchs. Dabei wies er auch auf mögliche Fehler bei der Datenerhebung hin. Denn die OECD sammelt die Daten nicht selbst, sondern bündelt die jeweiligen nationalen Statistiken. Wie Weber erklärte, seien die Erhebungen der einzelnen Länder teilweise sehr unterschiedlich: "Da gibt es verschiedene Befragungen, mit verschiedenem Aufbau, mit verschiedener Ausrichtung, mit verschiedener Detailtiefe. Da gibt es verschiedene Quellen, die eingehen, die Methoden unterscheiden sich." Bei Befragungen zur Arbeitszeit könne es auch sein, dass Menschen mehr Stunden angeben, weil das sozial erwünschtes Verhalten sei.

Eine bessere Vergleichbarkeit bietet dagegen eine Erhebung von Eurostat, die sich speziell auf die Wochenarbeitsstunden von Vollzeit-Erwerbstätigen konzentriert. Die aktuellen Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2023. Demnach betrug die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in den 27 EU-Ländern 40,4 Stunden. Deutschland lag mit 40,2 Stunden leicht unter dem Durchschnitt. Im direkten Vergleich mit den anderen EU-Partnern bekleidet Deutschland den 18. Rang. Die vorderen Plätze belegen Griechenland (42,5 Stunden), Zypern und Österreich (beide 41,7 Stunden). Das Schlusslicht bilden die Niederlande (39,2), Dänemark (38,9) und Finnland (38,8). Wirtschaftsexperte Enzo Weber resümiert: "Das heißt, Vollzeitbeschäftigte in Deutschland arbeiten im EU-Vergleich weder besonders lang noch besonders kurz. Sondern die Arbeitszeit ist – ganz einfach und trivial – ganz normal."

IAB-Studie: Generation Z arbeitet mehr als angenommen

Unser Studiogast Micky Beisenherz verwies in der Sendung auf eine aktuelle Studie, wonach die sogenannte Generation Z (Geburtenjahrgänge 1995 oder später) deutlich mehr arbeite als bislang angenommen. Die hier angesprochene Erhebung stammt vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und wurde am 17.02.2025 publiziert. Demnach ist die Erwerbsbeteiligung in der Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen seit 2015, als der erste Jahrgang der Generation Z in diese Altersgruppe vorrückte, um über 6 Prozentpunkte auf rund 76 Prozent überdurchschnittlich gestiegen. Diese Entwicklung sei der Studie nach vor allem einem wachsenden Anteil von Studierenden mit Nebenjobs geschuldet: Die Erwerbsquote unter Studierenden im Alter von 20 bis 24 Jahren hat zwischen 2015 und 2023 um 19,3 Prozentpunkte auf 56 Prozent zugenommen. Gleichzeitig ist die Erwerbsquote unter allen Nichtstudierenden dieser Altersgruppe im genannten Zeitraum ebenso gestiegen – um 1,6 Prozentpunkte auf 85,9 Prozent. "Dieser Befund widerspricht gängigen Klischees zur mangelnden Arbeitsbereitschaft der Generation Z", schreiben die Studienautoren.

Krankheitstage in Deutschland sind gestiegen

Nena Brockhaus sagte in der Sendung, dass Deutschland bei der Zahl der Krankheitstage international vorne liege. Das stimmt, wie Zahlen der OECD belegen. Demnach meldeten sich die deutschen Arbeitnehmer im Jahr 2022 an durchschnittlich 24,9 Tagen krank. Das ist mit Abstand der höchste Wert innerhalb der OECD. Doch auch diese Studie hilft nur begrenzt beim internationalen Vergleich. Das räumt auch die OECD selbst ein: "Nationale administrative Daten sind kaum zwischen den Ländern vergleichbar und oftmals auch innerhalb eines Landes nur bedingt über die Zeit vergleichbar." So erfasst die Statistik nur bezahlte Fehltage. Doch die Regelungen, wie lange und in welcher Höhe ein krankheitsbedingtes Fehlen vom Arbeitnehmer getragen werden muss, sind je nach Land unterschiedlich. In Deutschland erhalten Beschäftigte ab dem ersten Tag 100 Prozent ihres Gehalts für 42 Kalendertage. Anders sieht es z.B. in Schweden aus, wo es 80 Prozent Lohnausgleich für eine Dauer von 14 Tagen gibt.

Neben der reinen Anzahl der Krankheitstage hat die OECD auch ermittelt, wie viele Stunden die Beschäftigten anteilig an der Wochenarbeitszeit krank sind. Mit 6,8 Prozent liegt Deutschland dabei im oberen Bereich (Rang 7 von 29). An der Spitze ist Norwegen mit 10,7 Prozent.

Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Krankheitstage in Deutschland zuletzt stark angestiegen sind. Waren es in den Jahren 2018 bis 2021 stets um die 20 Tage, die ein Arbeitnehmer fehlte, sind es im Jahr 2022 plötzlich fast 5 Tage mehr. Ein wesentlicher Grund ist laut einer Studie der Krankenkasse DAK die Einführung der elektronischen Krankmeldung: Seit 2022 übermitteln die Arztpraxen Krankmeldungen direkt an die Krankenkassen. Vorher mussten Beschäftigte die Krankmeldungen aktiv an die Krankenkassen weiterleiten – aus statistischer Sicht eine Fehlerquelle. Außerdem habe die Corona-Pandemie bei vielen Beschäftigten dazu geführt, dass sie im Krankheitsfall häufiger zum Arzt gehen und sich offiziell krankschreiben lassen. Gleichzeitig sei der sogenannte Präsentismus – also das Arbeiten trotz Krankheit – rückläufig.

Fazit: In der Diskussion über die Wirtschaftslage in Deutschland verwies Nena Brockhaus auf aktuelle Zahlen, wonach Deutschland bei den geleisteten Arbeitsstunden unter dem europäischen Durchschnitt liege. Diese Zahlen gibt es, doch müssen sie differenziert betrachtet werden. Da in der Studie, die von der OECD herausgegeben wurde, nicht zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten unterschieden wird, liefert sie keine Aussagen darüber, ob in einem Land viel oder wenig gearbeitet wird. Eine Erhebung von Eurostat, die sich speziell auf die Wochenarbeitsstunden von Vollzeit-Erwerbstätigen konzentriert, bietet eine bessere Vergleichbarkeit. Hier liegt Deutschland leicht unter dem EU-Durchschnitt. Dass Deutschland bei der Zahl der Krankheitstage international vorne liege, wie Nena Brockhaus sagte, ist korrekt. Doch auch hier sind die Daten der verschiedenen Länder nur eingeschränkt vergleichbar. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Krankheitstage in Deutschland zuletzt stark angestiegen sind.

Stand: 20.02.2025

Autor: Tim Berressem