Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 19.03.2025

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Tilo Jung, Carlo Masala, Kerstin Münstermann, Carsten Breuer, Johannes B. Kerner, Caroline Darian
Die Gäste (v.l.n.r.): Tilo Jung, Carlo Masala, Kerstin Münstermann, Carsten Breuer, Johannes B. Kerner, Caroline Darian | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Was versteht man unter dem Begriff "Chemische Unterwerfung"?

Was versteht man unter dem Begriff "Chemische Unterwerfung"?

Die Autorin Caroline Darian sprach in der Sendung über den Fall ihrer Mutter Gisèle Pelicot, die jahrelang von ihrem Ehemann betäubt und fremden Männern zur Vergewaltigung zugeführt wurde. Ein zentraler Begriff, der im Zusammenhang mit dem Fall Pelicot immer wieder aufkommt, ist die sogenannte "Chemische Unterwerfung". Was damit gemeint ist, schauen wir uns hier noch einmal genauer an.

Der Fall Pelicot: Welche Rolle spielte "Chemische Unterwerfung"? | Video verfügbar bis 19.03.2026

Maischberger: "Chemische Unterwerfung, das ist ein Begriff, den kannte ich vorher nicht, den habe ich durch Sie gelernt. Man denkt da, bei chemischer Unterwerfung, an die K.o.-Tropfen in der Diskothek, aber das ist nicht das, was Sie meinen. Was meinen Sie mit chemischer Unterwerfung?"

Darian: "Chemische Unterwerfung, das heißt, dass man psychoaktive Substanzen einer Person verabreicht, um kriminelle Handlungen an einer Person zu verüben. Und meistens kann man dann beobachten, das sind nicht K.o.-Tropfen, also wie man das eigentlich so annimmt. Es sind meistens Medikamente, also das sind angstlösende Mittel, Schlafmittel, Schmerzmittel, die man in einer Hausapotheke findet. Die werden wild miteinander gemischt, und damit kann man ein Koma erzeugen. Und das wurde so gemacht. Kein Arzt konnte feststellen, was denn da eigentlich los war, und hätte erraten können, was diese Frau bei sich zu Hause im Begriff war zu erleben."

Hintergrund: Was versteht man unter dem Begriff "Chemische Unterwerfung"?

Chemische Unterwerfung bezeichnet grundsätzlich die Verabreichung von psychoaktiven Substanzen, um das Bewusstsein, die Entscheidungsfähigkeit oder die Wehrhaftigkeit einer Person zu beeinträchtigen. Wie Caroline Darian bereits in der Sendung sagte, finden sich psychoaktive Substanzen in zahlreichen Medikamenten, wie z.B. Schmerzmitteln, Schlaf- und Beruhigungsmitteln, aber auch in bestimmten Hustenmitteln. Auch das Narkosemittel Gamma-Hydroxybutyrat (GHB) wird von Tätern oft für Raub- und Sexualdelikte missbraucht. Dabei handelt es sich um sogenannte K.o.-Tropfen. Die Verabreichung geschieht heimlich, mit dem Ziel, die Kontrolle über das Opfer zu erlangen. Die Substanz wird dabei meist in ein Getränk oder unter die Nahrung des Opfers gemischt.

Bei entsprechender Überdosierung wirken die Stoffe sehr schnell und entfalten ein breites Wirkungsspektrum, von Gedächtnisverlust über Schläfrigkeit, Schwindel, der Einschränkung motorischer Fähigkeiten bis hin zu Bewusstlosigkeit oder Koma. Da viele der Substanzen vom Körper schnell wieder abgebaut werden und somit schwer nachweisbar sind, gibt es kaum verlässliche Zahlen zu Fällen von chemischer Unterwerfung.

In Deutschland findet der Begriff bislang nur wenig Verwendung. Erst vor wenigen Jahren wurde das Phänomen in Frankreich und der Schweiz als chemische Unterwerfung bezeichnet. In den Fokus der Öffentlichkeit rückte der Begriff im Oktober 2024, als im französischen Avignon der Vergewaltigungsprozess um Gisèle Pelicot eröffnet wurde. Fast zehn Jahre lang war sie von ihrem damaligen Ehemann Dominique Pelicot immer wieder mit Medikamenten betäubt, missbraucht und Dutzenden Fremden zur Vergewaltigung zugeführt worden. Dominique Pelicot hatte den Missbrauch an seiner Frau in Hunderten Fotos und Videos dokumentiert. Gisèle selbst hatte die Übergriffe wegen der starken Medikamente, die ihr damaliger Mann ihr heimlich verabreicht hatte, nicht mitbekommen. Sie geht davon aus, etwa 200 Vergewaltigungen erlitten zu haben. In einem vielbeachteten Schritt entschied sich Gisèle Pelicot dazu, den Prozess nicht hinter verschlossenen Türen führen zu lassen. Sie habe sich nichts vorzuwerfen, betonte sie. Sie wolle, dass andere missbrauchte Frauen durch sie Mut bekämen. "Ich will, dass sie keine Schande mehr verspüren. Nicht wir sollten uns schämen, sondern sie", sagte Pelicot mit Blick auf die Angeklagten.

Im Dezember 2024 erhielt Dominique Pelicot die Höchststrafe von 20 Jahren Haft. Alle 50 Mitangeklagten wurden ebenfalls schuldig gesprochen und zu Gefängnisstrafen zwischen drei und 15 Jahren verurteilt. Ein eigenes Gesetz, das "chemische Unterwerfung" ahndet, gibt es in Frankreich nicht. Wenn eine Person unter Einsatz von Betäubungsmitteln vergewaltigt wird, gilt dies gesetzlich als eine besonders schwere Form der Vergewaltigung.

Ähnlich ist die juristische Lage in Deutschland. Einen Straftatbestand "chemische Unterwerfung" gibt es auch hier nicht. Werden einer Person ohne deren Einwilligung Betäubungsmittel verabreicht, um sexuelle Handlungen an dieser Person vornehmen zu können, gilt dies gemäß Paragraph 177 Strafgesetzbuch als besonders schwere Vergewaltigung.

Caroline Darian setzt sich mit ihrem 2023 gegründeten Verein "M'Endors Pas" (dt. "Betäub mich nicht") für eine umfangreichere Gesetzgebung ein, die den Begriff der chemischen Unterwerfung explizit berücksichtigt. Auch fordert sie mehr öffentliche Prävention und Aufklärung rund um das Thema. Der Verein konzentriert sich darauf, die psychischen und physischen Folgen der chemischen Unterwerfung, besonders im häuslichen Umfeld, sichtbar zu machen und Betroffenen Unterstützung zu bieten. Weiterführende Informationen finden Sie hier.

In Deutschland setzt sich u.a. der Verein "Weißer Ring" für stärkere Präventionsarbeit ein und bietet Betroffenen eine erste Anlaufstelle.

Stand: 20.03.2025

Autor: Tim Berressem