So., 28.03.21 | 23:35 Uhr
Das Erste
"druckfrisch"-Musiker des Monats:
Es war keine Absicht, dass nur ein einziges Lied aus dieser Sendung jünger ist als ein halbes Jahrhundert. Absicht ist es allerdings, dass die Erörterung, ob weiße Übersetzerinnen oder gar Übersetzer Amanda Gorman in ihre Sprache übertragen können, von zwei Coverversionen eingerahmt wird, in denen schwarze Musiker und Sängerinnen Songs von weißen Kollegen nachspielen.
Auch in den sechziger Jahren gab es ja schon einmal eine Diskussion darüber, ob weiße Musiker Blues singen können, dürfen, sollen. Diese Frage beantworteten Bands wie die Briten von Led Zeppelin dann auf ganz eigene Weise, in dem sie aus dem Blues ein ganz neues Genre allerschwersten Rocks erfanden (teilweise spielten sich dabei Lieder nach, ohne die schwarzen Urheber zu nennen).
Ike & Tina Turners schlackes Cover des 69er-Stöhn-Klassikers "Whole Lotta Love" versieht das Heavy Metal Grründungsepos von Led Zeppelin aus dem Jahr 1969 mit einem ganz eigenen Groove. Es ist sozusagen vom Kopf auf die Füße gestellte "kulturelle Aneignung".
Wenn Musik durch Kulturen wandert
Dann das "jüngste" Lied aus der Sendung: das herrliche "Dream Baby Dream" von Suicide, das von Neneh Cherry mit dem dreiköpfigen Jazz-Trio "The Thing" aufgenommen wurde, das sich wiederum nach einem Stück ihres Vaters Don Cherry benannte. Neneh Cherry hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem Musikgeschäft zurückgezogen. Das Treffen von skandinavischen Free-Jazzern und amerikanischen Ex-Pop-Stars auf dem Feld der düsteren Proto-Punks von Suicide ist ein wunderbares Beispiel, wie Musiken durch Kulturen wandern (und dabei "übersetzt werden") können, ohne ihr ureigenes Zentrum zu verlieren.
Über den Auftritt des allseits verehrten T.C. Boyle, der selbst früher in einer Band gespielt hat, die Musiker-Existenz jedoch ebenfalls aufgegeben hatte, nur um exklusiv für "druckfrisch" eine Ausnahme zu machen, bedarf keiner Erläuterung. Vielleicht nur der: Das Stück "You Really Got A Hold On Me" ist in Amerika bekannt als ein Stück des Motown-Produzenten Smokey Robinson (und seiner Band The Miracles). In Europa kennt man es mehr in der Fassung der Beatles, die es womöglich coverten, um auf dem amerikanischen Markt etwas bekannter zu werden.
Der beste Pop-Song aller Zeiten?
Vielgecovert (zuletzt von Johnny Cash, aber endlich mal ein Original in dieser Sendung) ist auch der "Wichita Lineman" von Glen Campbell. Der vielgeliebte Song, der manchmal als "bester Pop-Song, der je komponiert wurde" (naja...) bezeichnet wird, manchmal als erster existentialistischer Country Song, fiel dem Komponisten Jimmy Webb bei der Fahrt in den Sonnenuntergang ein, als er einen Telefonarbeiter einsam an einem Telefonmast arbeiten sah. Letztere gibt es nicht mehr. Der Song rührt uns dennoch noch.
Zur Aktualität von Hildegard Knefs Song "Ich brauch kein Venedig" muss man derzeit leider nicht viel sagen, außer vielleicht, dass ich die Anregung zum Spielen des wunderbaren Liedes der ebenso wunderbaren Nora Gomringer (mit deren Erlaubnis) verdanke.
Text und Musikauswahl: Andy Ammer
Playlist der Sendung:
Titel | Interpret |
---|---|
Whole Lotta Love | Ike & Tina Turner |
Dream Baby Dream | Neneh Cherry & The Thing |
You Really Got A Hold On Me | TC Boyle singt: Smokey Robinson & The Miracles |
Wichita Lineman | Glen Campell & The Wrecking Crew |
Ich brauch kein Venedig | Hildegard Knef |
Stand: 28.03.2021 23:35 Uhr
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