So., 26.05.24 | 23:35 Uhr
Das Erste
Denis Scheck kommentiert die Top Ten Sachbuch
Platz 10: Robert Greene: "Power: Die 48 Gesetze der Macht"
Diese um über die Hälfte gekürzte Version dieses Westentaschen-Macchiavellis zählt angebliche "Gesetze" im Umgang mit Macht auf, die natürlich bestenfalls auf Anekdoten basierende Verhaltenstips sind. Eine schöne Pointe findet sich ganz am Schluss, wenn Robert Greene schreibt: "Letzten Endes bedeutet es, dass Sie die Regeln über Bord werfen müssen, die andere predigen, genauso ihre Bücher, die Ihnen vorschreiben, was Sie zu tun haben". Gesagt, getan.
Platz 9: David Grann: "Der Untergang der Wager“
Gerade eben schon gerühmt, bleibt an dieser Stelle nachzutragen, dass David Grann übrigens auch schon die Vorlage zu Martin Scorseses True-Crime-Thriller "Killers oft he Flower Moon" lieferte.
Platz 8: Brianna Wiest: "101 Essays, die dein Leben verändern werden"
Diese Selbstoptimierungsfibel enthält tatsächlich eine ganze Reihe nützlicher Ratschläge, ja sogar unpopuläre Wahrheiten – zum Beispiel, dass vieles im Leben herausfordernd, herzzerreißend und anstrengend ist, nicht aber das Erwachsensein.
Platz 7: Leonie Schöler: "Beklaute Frauen"
Die Wissenschafts- und Kunstgeschichte ist voll von ihnen. Wie dreist beispielsweise Bertolt Brecht Frauen wie Elisabeth Hauptmann ausgebeutet und um ihr geistiges Eigentum geprellt hat, aus diesem Werk der woken Historikerin Leonie Schöler lässt es sich erfahren. Eine überfällige Korrektur unserer Geschichtsschreibung.
Platz 6: Axel Hacke: "Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten"
Wir brauchen weniger Ernst und mehr Humor, argumentiert Axel Hacke in seiner mit großem Charme betriebenen Gesellschaftsanalyse. An die Stelle permanenten Gekränktseins sollte mehr Gelassenheit treten, so Hacke, an die Stelle von Nähe mehr Distanz, an die Stelle von Betroffenheit mehr Heiterkeit. Einverstanden!
Platz 5: Salman Rushdie: "Knife"
Das wohltuende an Rushdies autobiographischem Buch über seine Verarbeitung des Messerattentats auf ihn sind seine immer wieder herz- und hirnerquickenden atheistischen Unabhängigkeitserklärungen: "Ich brauche keine zehn Gebote, keine Päpste oder Gottesmänner irgendwelcher Art, die mir Moralgebote erlassen", so Salman Rushdie. "Ich habe mein eigenes ethisches Empfinden, besten Dank auch. Gott hat uns nicht die Moral verkündet, vielmehr haben wir Gott unsere eigenen moralischen Empfindungen verliehen."
Platz 4: Uwe Wittstock: "Marseille 1940"
Ein gewandt erzähltes Buch in Form eines spannenden Bilderbogens über die deutsche Besatzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg – Zeiten, in denen der Portier auf die Frage nach dem Verbleib eines Hotelgasts, sagt, dieser sei "evakuiert" – wobei "evakuiert" freilich ein Synonym für Selbstmord ist. In diesen Jahren ermöglicht der Amerikaner Varian Fry durch sein Netzwerk über zweitausend Künstlern und Intellektuellen wie Hannah Arendt, Heinrich und Golo Mann, Max Ernst und Franz Werfel die Ausreise in die USA und rettet ihnen so das Leben. Davon erzählt Uwe Wittstock ebenso packend wie kenntnisreich.
Platz 3: Florian Illies: "Zauber der Stille"
Warum ist Caspar David Friedrich bis auf den heutigen Tag so sagenhaft beliebt? Welche Sehnsüchte sprechen seine Bilder in uns an? Warum identifizieren wir uns mit ihrer Sinnsuche, ihren seelischen Abgründen, ihrer unbegründeten Hoffnung und ihrem Wissen um deren Aussichtlosigkeit? Die Antworten, die Florian Illies in seinem Buch darauf gibt, sind genauso existentiell beunruhigend wie Friedrichs Bilder.
Platz 2: Peter Hahne: "Ist das Euer Ernst?"
Das Schöne an dieser Bibel der Stilblüte ist, dass man sie im Grunde aufschlagen kann, wo man will, und sofort über ein haarsträubendes Verbrechen an der deutschen Sprache stolpert. "Wer Recht und Gesetz nur einen Spalt breit nivelliert, erntet eine Flut von Kriminalität." Peter Hahne lesen heißt, sich Karl Kraus ganz nahe zu fühlen. Oder mit den Worten Peter Hahnes: "Auch am Sprachstil erkennt man übrigens Bildung."
Platz 1: Wolfgang Schäuble: "Erinnerungen"
Was 68 für die CDU, 77 für die BRD und 89 für Deutschland bedeutete, darüber schreibt Wolfgang Schäuble klug und einsichtsreich. Ungewöhnlich auch, wie er den Tiefpunkt seiner Karriere, den Rücktritt als Parteivorsitzender wegen der Spende des Waffenhändlers Schreiber, beschreibt: "Bis heute streite ich mit meiner Frau darüber, ob es sich um eine Lüge handelte." Wolfgang Schäubles Stimme fehlt schmerzlich, gerade wegen Einsichten wie: "Im Nachhinein unbedingt besser zu wissen, wie politisch hätte gehandelt werden können, gehört zu der Form von Klugscheißerei, die schon im Privaten nur schwer erträglich ist. Dass in der Vergangenheit nicht alles richtig gemacht wurde, ist offensichtlich. Ein anklagender Moralismus bleibt jedoch im Ausblenden aller Zeitumstände unhistorisch und ist dadurch oft selbstgerecht."
Stand: 26.05.2024 14:54 Uhr
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