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Neue Bücher mit Denis Scheck

Fernando Aramburu
Fernando Aramburu  | Bild: WDR

Fernando Aramburu: "Patria"

Ein Dorf in Nordspanien,  eine gespaltene Gesellschaft und ein mit Waffen ausgetragener Konflikt, der zwei Familien ins Unglück stürzt – Fernando Aramburu beschwört mit seinem Roman "Patria" die Zeit, in der Spaniens Volk durch den Terror der ETA zur Durchsetzung eines politisch autonomen Baskenlandes tiefe Wunden erlitt.

Sie sind die besten Freundinnen, Bitori und Miren erzählen sich jedes Geheimnis und fahren regelmäßig zum Bummeln nach San Sebastian, ihre Männer Txato und Joxian sind engste Vertraute, spielen Karten gegen den Rest des Dorfes und starten am Wochenende zur Radtour durch die baskischen Berge. Ihre Kinder kennen sich von Geburt an. Doch irgendwann geht ein Riss durch die Dorfgemeinschaft: Die einen wollen in Frieden als Basken und Spanier leben, die anderen kämpfen im bewaffneten Untergrund für die Unabhängigkeit eines sozialistisch geprägten Baskenlandes. Bitoris Sohn wird zum Auftragskiller der Terrororganisation "Euskadi Ta Askatasuna", kurz ETA genannt, Mirens Ehemann von der ETA auf offener Straße ermordet. Die Dorfbewohner feiern die Mörder der ETA als Helden, die Familie des Ermordeten wird gemieden, ist plötzlich isoliert und verlässt schließlich das heimatliche Dorf.

Mit den Mitteln des Familienromans gelingt es Fernando Aramburu durch seine psychologisch und emotional eindringlich dargestellten Figuren an diese gesellschaftlichen Zustände zu erinnern und sie gleichzeitig zu analysieren: die Menschen, nach 40 Jahren Franco-Diktatur verschlossen, die Familien streng patriarchalisch geprägt, die baskischen Separatisten besessen vom Glauben, ein unterdrücktes Volk zu sein, die ETA-Mitglieder, sozialisiert in dem geistig-moralischen Klima der armen ländlichen Regionen, die Kirche scheinheilig und die Politiker unfähig, in diesem Konflikt zu vermitteln. Sie alle trugen zur systematischen Spaltung der Gesellschaft in Gut und Böse bei.

2011 hatte die ETA ihren fünf Jahrzehnte währenden Unabhängigkeitskampf mit fast 900 Todesopfern für beendet erklärt. Fernando Aramburu gibt nun den Opfern auf beiden Seiten dieses blutigen Partisanenkrieges eine Stimme. "Patria" ist ein Buch gegen den Hass und das Vergessen und ein Plädoyer für Vergebung und Versöhnung – auch wenn es noch lange dauern wird, bis alle Wunden verheilt sein werden.

Angelika Klüssendorf: "Jahre später"

Angelika Klüssendorf
Angelika Klüssendorf | Bild: WDR

Ein verliebter Mann, eine hingebungsvolle Frau und eine Beziehung, die zum Scheitern verurteilt ist – Angelika Klüssendorf seziert die Szenen einer Ehe und lässt dabei die Betroffenen in die psychischen Abgründe ihrer Partner blicken.

Sie sind sich nah und doch so fern: April ist alleinerziehende Mutter und hofft darauf, einmal Schriftstellerin zu werden – Ludwig ein angehender Chirurg und davon überzeugt, dass ihn eine große Karriere erwartet. Beeindruckt von seinem Werben folgt sie ihm von Berlin nach Hamburg. Ein Fehler! Bald schon muss April feststellen, dass auch ein gemeinsames Kind nicht zu der erhofften innigen Verbundenheit mit Ludwig führt. April ist einsam. Während er an seiner Karriere arbeitet, räsoniert sie am Frühstückstisch über ihr unglückliches Leben. Gesellschaft leisten ihr dabei Figuren aus den Hollywoodfilmen, die sie abends zuvor gesehen hat: Faye Dunaway oder Rosemary aus "Rosemary’s Baby" und RiffRaff aus der "Rocky Horror Picture Show". Sie führen ihr die Vorteile eines Lebens an der Seite von Ludwig vor Augen. Doch eine unheilvolle Eigendynamik der Ehe von April und Ludwig, die sich fast ohne Worte, dafür aber in überraschenden Wendungen und mit emotionaler Wucht vollzieht, steuert unaufhaltsam auf ein trauriges Ende zu. "Es geht vorbei, es geht immer vorbei" – sagt eine alte Frau im Bus zur weinenden April.

Nach den beiden Roman "Mädchen" und "April" ist in "Jahre Später" Angelika Klüssendorfs Protagonistin erwachsen geworden. Sie ist zweifache Mutter und "Überlebende" einer schmerzhaften Trennungsgeschichte, die uns zeigt, wie sehr das Umfeld eines Heranwachsenden den Menschen prägt und  wie vergeblich die Suche nach dem ist, was man selbst nie erleben durfte: warme, aufrichtige menschliche Nähe.

Denis Scheck empfiehlt Flannery O‘Connor: "Keiner Menschenseele kann man noch trauen. Storys"

Flannery O'Connor
Flannery O'Connor | Bild: picture alliance / AP Photo

Flannery O’Connors Heimat, die amerikanischen Südstaaten, lieferten ihr jenes Futter, das sie für ihre einzigartigen Geschichten brauchte: der alltägliche Rassismus und der Zusammenprall von Gläubigen und Atheisten nach dem Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs. In dieser historischen Umbruchsituation sind es besonders die ins Abseits Gestellten wie Frauen und Schwarze, die ihre Sympathie erringen und die Wichtigtuer und vermeintlich Auserwählten, die sie in ihren Erzählungen demaskiert. Ihr Mitgefühl für Verlierer lag vielleicht auch an ihrer eigenen Situation: Flannery O’Connor war die meiste Zeit ihres Lebens todkrank und verstand es trotzdem, das Dasein ausgiebig zu feiern. Denis Scheck: "… warum ich sie liebe: dass man von ihr lernen kann, wie man ein glückliches Leben führt, auch wenn einem das Schicksal ein Scheißblatt zugespielt hat."

Top Ten

Und wie immer in "druckfrisch" – diesmal mit einem musikalischen Gastauftritt von Wolfgang Niedecken: Denis Schecks urteilssicherer Kommentar zur aktuellen Spiegel-Bestsellerliste, diesmal Sachbuch.

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Produktion

Westdeutscher Rundfunk
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