So., 25.08.24 | 23:50 Uhr
Das Erste
Denis Scheck kommentiert die Top Ten Belletristik
Platz 10) Sarah A. Parker: "When the Moon Hatched"
Ein kraftsportelnder Drachenreiter namens Kaan hat es zum König in einer Fantasywelt gebracht. Eine Auftragskillerin entpuppt sich als die wiedergeborene Liebe seines Lebens. Um das herauszufinden, gilt es fast 900 Seiten trostlose Prosa zu überwinden. Von Rainer Maria Rilke stammt der schöne Gedanke: "Vielleicht sind alle Drachen unseres Lebens Prinzessinnen, die nur darauf warten, uns einmal schön und mutig zu sehen. Vielleicht ist alles Schreckliche im Grunde das Hilflose, das von uns Hilfe will." Nennen wir Parkers Buch also hilflos. Ich helfe gern.
Platz 9) Marah Woolf: "House of Eternity"
Noch eine Romantasy, diesmal aber in der Variante Pferdemädchen mit Pegasus statt Bodybuilder mit Drache, sonst aber mehr als huftief im selben Sumpf der Klischees und Geschlechterstereotype steckend. Die Magdeburgerin Ina Körner wählt für ihre Romane das amerikanisch klingende Pseudonym Marah Woolf, und ihre Protagonisten heißen denn auch Averie Aslanidis und Atticus Maverick. Wie William Shakespeare schon bei ähnlicher Gelegenheit zu sagen pflegte: bullshit bleibt bullshit, call it by any name.
Platz 8) Paulo Coelho: "Maktub"
"Lass dich nicht durch Selbstkritik lähmen", predigt der aus dem Urschleim der Erbauungsliteratur gekrochene Einzeller der Esoterik Paulo Coelho in dieser Neuauflage 30 Jahre alter Kolumnen aus einer brasilianischen Tageszeitung. Ansonsten erfährt man aus diesem Andachtsbrevier für Arme, wie man Daumenlutschen kuriert und solch grundstürzende Wahrheiten wie: "Aus Angst davor, zu weinen, hören wir auf zu lachen." Ich habe jedenfalls während der ganzen Lektüre sehr gelacht.
Platz 7) Karin Slaughter: "Letzte Lügen"
Nach Paulo Coelho als unterkomplex wahrgenommen zu werden, ist keine leichte Sache, aber die auf Gewaltpornos in grenzdebiler Steinzeitprosa spezialisierte Amerikanerin Karin Slaughter schafft das mit dieser Variante eines Landhauskrimis spielend.
Platz 6) Saša Stanišić: "Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne"
Selten erlebt man einen solchen literarischen Triumph auf einer deutschen Bestsellerliste: Saša Stanišić gelingt es in seinem miteinander verbundenen Erzählungsreigen um eine mögliche Vorschau auf unsere Zukunft, wunderbar leicht und eingängig von Freiheit und Determinismus, von der Rettungskraft der Literatur und davon zu erzählen, da wir trotz aller Hindernisse zu Autorinnen und Autoren unserer eigenen Lebensläufe werden können.
Platz 5) Petra Pellini: "Der Bademeister ohne Himmel"
Dieser Roman ist etwas Besonderes: ein Buch über einen an Demenz erkrankten Bademeister, um den sich eine im selben Haus wohnende mit Suizidgedanken flirtende Fünfzehnjährige und eine polnische Pflegekraft kümmern. Es ist wirklich bemerkenswert, mit welcher beiläufigen Eleganz Petra Pellini ihre Geschichte zu einem Feuerwerk von Empathie und Phantasie ausgestaltet. Auch wenn es nicht ganz an Arno Geigers "Der alte König in seinem Exil" heranreicht: ein Mutmachbuch.
Platz 4) Carissa Broadbent: "The Ashes and the Star-Cursed King"
Band zwei einer weiteren Romantasy, ein adoptiertes Menschenmädchen und ein Ex-Sklave versuchen, über ein Vampirkönigreich zu herrschen. Um eine Vorstellung von den sprachlichen Fähigkeiten der Autorin bzw. ihrer Übersetzer zu vermitteln, genügt es, die Triggerwarnung auf der letzten Seite zu zitieren: "Darüber hinaus enthält dieses Buch eindeutig sexuelle Szenen." Zweifellos gemeint sind “eindeutige sexuelle Szenen". Manchmal hängt der Unterschied zwischen Literatur und Trash eben an einem Buchstaben. Wozu dieser Roman gehört, ist nicht schwer zu entscheiden. Eindeutig.
Platz 3) Stephan Schäfer: "25 letzte Sommer"
Ein als Roman getarnter Lebenshilferatgeber über Gespräche zwischen einem bodenständigen Kartoffelbauern und einem Mr. Wichtig aus der Wirtschaft. Literarisch hilflos, philosophisch banal, ästhetisch langweilig, sollte sich dieses Werklein ganz schnell vom Acker machen.
Platz 2) Marc-Uwe Kling: "Views"
Der Autor der Känguru-Chroniken verblüfft durch seine Wandlungsfähigkeit. "Views" ist ein hochspannender gesellschaftskritischer Krimi über ein Vergewaltigungsvideo, das dem von der AfD entfesselten braunen Mob in die Hände spielt: "Seit Jahrzehnten beobachten alle, wie die Gesellschaft immer mehr Risse bekommt, und keiner kittet sie", schreibt Marc-Uwe Kling. "Da darf man sich nicht wundern, wenn sie schließlich zerbricht."
Platz 1) Caroline Wahl: "Windstärke 17"
Windstärke 17 bezeichnet einen Superhurrikan, und so ein Superhurrikan tobt durchs Innere der Heldin Ida nach einem Schockereignis, das sie aus der Bahn wirft. Caroline Wahl erzählt unterhaltsam, aber nicht flach von Unordnung und frühem Leid, aber auch von jenen oft unterschätzten inneren Ressourcen, mit denen man sein Leben wieder in den Griff bekommt. Caroline Wahl bringt angenehmen frischen Wind in die oft laue deutsche Gegenwartsliteratur.
Stand: 26.08.2024 12:10 Uhr
Kommentare