So., 27.04.25 | 23:35 Uhr
Das Erste
Shakespeare als Clankonflikt in Berlin
Der Film "Kein Tier. So Wild" von Burhan Qurbani
Außenseiterin als Hauptfigur

Shakespeare in Berlin: Die konkurrierenden Adelshäuser aus "Richard III." inszeniert Regisseur Burhan Qurbani als Duell zweier arabischer Clans. Und aus König Richard wird Rashida, eine Frau. Shakespeares Richard und Qurbanis Rashida sind beide Außenseiter. Er ein Krüppel, sie eine Geflüchtete, als Kind vom Krieg traumatisiert. Burhan Qurbani, in Deutschland geboren als Sohn afghanischer Flüchtlinge, hat die Erfahrungen der Frauen seiner Familie in diese Figur einfließen lassen: "Ich merke, dass ich auch unter einem ganz bestimmten Schlag von Frauen groß geworden bin. Also Frauen, die im Krieg Kinder bekommen haben, unter Bomben ihre Familie zusammengehalten haben, dann in der Fremde versucht haben, Mütter, gute Mütter zu sein. Also Frauen, die eine ganz große Zärtlichkeit haben, aber auch eine ganz, ganz große Gewalttätigkeit."
Rache und Intrigen
Diese Ambivalenz charakterisiert auch Rashida. Als Anwältin des York-Clans plädiert sie vor Gericht auf Gnade für ihren Bruder und lässt noch im Gericht den Kläger und Chef des Lancaster-Clans kaltblütig ermorden. Um den Frieden zwischen den Clans zu besiegeln, soll Rashida mit dessen Nachfolger vermählt werden. Im Kampf um ihre Freiheit wird Rashida zur blutrünstigen Rächerin, sie schmiedet ein intrigantes Mordkomplott gegen ihre Brüder. Um an die Spitze des Clans zu kommen ist Rashida jedes Mittel recht. Denn Macht bedeutet Freiheit, Selbstbestimmung. Auch in der Liebe. Rashida begehrt die Witwe des von ihr ermordeten Clan-Chefs. Verführt sie.
Machthungrig und traumatisiert

Kenda Hmeidan gibt dieser leidenschaftlichen, machthungrigen Rashida Gesicht, Stimme, Raum. Einer Tyrannin, die auf dem Höhepunkt ihrer Macht eingeholt wird von ihrer Kindheit: eine verwundete Seele und kriegstraumatisierte Heimatlose. Die Schauspielerin kann sich einfühlen: "Natürlich agiert sie wie ein Monster. Aber ich würde sagen: ich verstehe ihre Wut. All das durchzumachen, die Erfahrung der Migration, die Sprache zu verlieren – das führt zu Isolation, Einsamkeit. Zu Frust und eben auch Wut. Das kann ich nachfühlen." Kenda Hmeidan kommt von der Bühne, ist 2016 aus dem syrischen Bürgerkrieg ans Berliner Maxim Gorki Theater gekommen, gehörte acht Jahre zum Ensemble. Deutsch hat sie auf der Bühne gelernt, mit Büchner, Brecht, Heiner Müller und jetzt mit dieser Shakespeare-Neuübersetzung für ihre erste große Kinorolle. "Es ist ein Film über Macht und Kontrolle in einem kollabierenden System, in dem aus einer Unterdrückten eine Unterdrückerin wird", fasst Kenda Hmeidan zusammen, "es geht um die Frage, warum wir Menschen so sind: Dass wir uns an einem bestimmten Punkt in unser Gegenteil verkehren und unser Trauma reproduzieren und die Gewalt wiederholen."
Furioser Shakespeare-Remix
"Kein Tier. So Wild" erzählt die Tragödie einer Tyrannin, die in Einsamkeit und Wahnsinn versinkt. Der Film ist auch eine Parabel über das ausgegrenzt sein, wie immer bei Qurbani. Und ein sehr persönlicher, desillusionierender Blick auf unsere Gesellschaft. Burhan Qurbani: "Das hat auch dann mit Wut zu tun, also die aus so einer Verzweiflung oder aus so einem Gefühl von Hilflosigkeit kommt: Was mache ich, wenn ich in einem Land lebe, in dem momentan 25 Prozent der Bevölkerung gegen Menschen wie mich wählen?" Sein Film ist ein furioser Shakespeare-Remix über menschliche Abgründe. Bildgewaltig. Hypnotisierend. Verstörend.
Autorin: Petra Dorrmann
Stand: 27.04.2025 16:39 Uhr
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