So., 27.04.25 | 23:35 Uhr
Das Erste
Der blinde Fleck in der Familiengeschichte
Susanne Beyers "Kornblumenblau"
In ihrer Spurensuche geht Kriegsenkelin und Spiegel-Journalistin Susanne Beyer dem geheimnisvollen Tod ihres Großvaters 1945 und der Frage nach, was er mit den Nazis zu tun hatte. Susanne Beyer hat ihren Großvater nie kennengelernt. Er starb in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs unter mysteriösen Umständen. Wer hat ihn erschossen? Welche Rolle spielte er als Chemiker im NS-Staat? Und welche Auswirkungen haben Familiengeheimnisse auf die Gegenwart? Über die langen Schatten der Vergangenheit und den blinden Fleck in ihrer Familiengeschichte hat die Spiegel-Journalistin jetzt ein Buch geschrieben. "Kornblumenblau" erscheint am 1. Mai bei DVA. ttt ist mit Susanne Beyer an die Orte ihrer Familiengeschichte gereist.
Wer war der Großvater wirklich?
Kloster Lehnin in Brandenburg. Hier starb in den letzten Tagen des April 1945 ihr Großvater. Susanne Beyer wusste, dass ihr Opa nie Soldat gewesen war und mit erst 38 Jahren durch einen Kopfschuss getötet wurde. "Ich war beunruhigt durch diese Art des Todes", erzählt sie von den Anfängen ihrer Recherche, "und weil ich schon wusste, dass seine Arbeit, seine konkrete Arbeit dann nach dem Studium mit dem Krieg zu tun hatte."
Späte Recherche
Welche Rolle spielte ihr Großvater im Krieg? Was hatte er mit dem Nationalsozialismus zu tun? Susanne Beyer hat ihn nie kennengelernt, die positiven Gefühle für ihn hat sie "geerbt": in der Familie erzählte man sich nur Gutes, für manche war er Hitler-Gegner. Und doch war da ein blinder Fleck: "Es war seltsam, dass ich so spät angefangen habe, wirklich nachzufragen. Das ist eine Frage, die ich mir selber stelle und auf die ich kaum eine Antwort habe: Warum so spät? Obwohl ich eigentlich als Journalistin, als jemand, der Geschichte studiert hat, das Instrumentarium habe? Ich glaube, das hat was damit zu tun, dass ich mir das Bild des sehr ehrlichen, sehr freundlichen Großvaters erhalten wollte."
Blütenfarben als Forschungsgebiet
Was verschweigen die Erzählungen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden? Beyers Großvater war Chemiker. Als Doktorand hat er an Blütenfarben geforscht. Es hieß: speziell an Kornblumenblau. "Das klang immer so poetisch", erinnert sich Susanne Beyer, "es war das wenige, was ich wusste von ihm und insofern ist diese Farbe immer ins Zentrum des Bildes von ihm gerückt." "Kornblumenblau" heißt auch das Buch ihrer akribischen Recherche. Ab 1939 allerdings forschte Ihr Großvater an etwas anderem, der Herstellung von synthetischem Kautschuk "Buna". Beim Reichsamt für Wirtschaftsaufbau, einer NS- Behörde, eng verknüpft mit der I.G. Farben, die mit den Nazis eine skrupellose Allianz einging. Als Chemiker betrieb er geheime Forschung für Hitlers Kriegsindustrie. "Die Verbrechen der Chemiker sind zu unbekannt. Das geht so nicht! Das ist Teil unserer Geschichte und muss auch als Geschichte anerkannt werden", ist Susanne Beyer überzeugt.
Expertise für den Krieg
In einem der Nürnberger Nachfolgeprozesse war die Führung des Chemie-Konzerns IG-Farben angeklagt, auch Carl Krauch. Der leitete gleichzeitig das Reichsamt, war Chef von Beyers Großvater. Und sorgte dafür, dass wichtige Chemiker "UK" gestellt wurden – "unabkömmlich". Susanne Beyer fand Akten, die immer wieder bei Hermann Göring eingereicht wurden, dass ihr Großvater unbedingt der Behörde erhalten bleiben und nicht in den Krieg müsse, weil seine Expertise benötigt wurde. 1943 wurden die rüstungsrelevanten Chemiker von Berlin nach Brandenburg evakuiert, nach Lehnin. In das ehemalige Zisterzienserkloster. Die Diakonissen dort, die bereits 1933 Hitler empfangen hatten, beherbergten das Personal der NS-Behörde. "Ich glaube aber, dieser versteckte Ort hat auch dazu geführt, dass ich so lange nichts wusste", so Susanne Beyer, "das Kloster lag in der DDR und wahrscheinlich hat man mit diesem antifaschistischen Selbstverständnis der DDR auch an diesen Geschichten nicht rühren wollen. Es ist alles hier von einem Geheimnis umgeben, das nahezu greifbar ist."
Konzentrationslager zur Kautschukherstellung
Was tat ihr Großvater dort bis zu seinem geheimnisvollen Tod? Susanne Beyer findet heraus, dass ihr Großvater zum Führungsstab des NS-Reichsamts zählte, das ab 1942 mit der I.G. Farben das firmeneigene KZ Monowitz baute, Auschwitz III. "Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen", ist Susanne Beyer entsetzt, "ich hatte zu dem Zeitpunkt schon etliche Auschwitzüberlebende interviewt. Ich habe mit ihnen zusammengesessen, viele Stunden geredet und hatte das Leid dieser Leute doch ziemlich genau vor Augen." Tausende Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge kamen in Monowitz zu Tode. Kann jemand, der zum Führungsstab des Reichsamts zählte, davon nicht gewusst haben? Beyer kennt die Antwort: "Er war wohl nicht in der Partei. Dazu gehörte schon was, weil seine Kollegen nachweislich sich dafür entschieden haben. Ich würde aber trotzdem den Begriff des 'Täters' wählen. Was mir unheimlich schwerfällt … 'Täternachkommen' – das ist schon ein Wort, was mir nicht leichtfällt. Aber ich glaube, dieses Wort muss ich akzeptieren. So ist es." "Wer Zeuge eines Unrechts ist, wird auch Teil dieses Unrechts", schreibt Beyer. Ob der Großvater letztlich von Rotarmisten oder seinen Kollegen erschossen wurde, hat sie nicht herausgefunden. Auf einem Feld beim ehemaligen Kloster Lehnin ist er begraben. Sie gedenkt an diesem Ort der Opfer von Auschwitz.
Autorin: Brigitte Kleine
Stand: 27.04.2025 16:38 Uhr
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