So., 24.11.24 | 23:05 Uhr
Das Erste
Neu im Kino: "Emilia Pérez"
Faszinierendes Musical-Drama von Altmeister Jacques Audiard
Rita Mora ist Anwältin in Mexiko City. Für ihren korrupten Chef verteidigt sie Mörder und Schwerverbrecher. Rita ist frustriert und unglücklich.
Audiards Film spielt in einem gebeutelten Narco-Staat
Das Land wird gebeutelt von Gewaltexzessen und Drogenkriminalität. Vor diesem Hintergrund spielt der Film "Emilia Pérez" – zum Teil in Form eines Musicals.
Ein Ausweg für Rita bietet sich von unerwarteter Seite – ausgerechnet durch den mächtigen Drogenboss Manitas del Monte. Er lässt sie kidnappen. Bietet ihr für ihre Anwaltsdienste einen Millionendeal an.
"Die Gegensätze haben mich interessiert", sagt Regisseur Jacques Audiard: "Das ist ein riesiges Paradox: absoluter Machismus, Männlichkeitskult, Brutalität und Gewalt auf der einen Seite und das Bedürfnis nach Weiblichkeit auf der anderen. Von der Wegstrecke zwischen beiden Extremen wollte ich erzählen."
Fluchtversuch: Drogenboss lässt seinen Tod inszenieren
Der Drogenboss Manitas inszeniert seinen Tod mit Ritas Hilfe und "wiedergeboren" als Frau will er die kriminelle Vergangenheit zurücklassen. Es könnte ein perfektes Happy End sein – doch Glück ist nicht käuflich, sagt Karla Sofía Gascón, die Emilia Pérez im Film verkörpert. "Dauerhaftes Glück ist eine Illusion. Ich sage immer, Glücklichsein ist, wenn einem nichts fehlt. Kälte ist das Fehlen von Wärme. Glücklichsein – das sind für mich all die Momente, in den man kein Leid verspürt."
"Wie viele Leben kann man führen?"
Rita ist hin- und hergerissen. Sie ist jetzt reich. Aber kann sie ein neues Leben beginnen? Das ist die Grundfrage, um die sich der Film dreht: Ist es wirklich möglich, sein Leben und seine Identität zu ändern? Genau darüber denkt Regisseur Jacques Audiard:" Wie viele Leben kann man führen – Sie, ich, wir alle? Wie viele Leben dürfen es sein? Alle haben einen Preis. Genau das passiert im Film. Dafür, dass sie ein neues Leben wollten, müssen Rita und Emilia einen Preis bezahlen.“
Deren Schicksale sind ineinander verstrickt. Sie begegnen sich wieder – auf Antreiben von Emilia, die ein zufälliges Treffen eingefädelt hat. Emilia fühlt sich einsam ohne ihre alte Familie, ihre Kinder. Rita, die Anwältin, soll ihr ein zweites Mal helfen. Sie soll einen Weg finden, Emilias Kinder zurückzuholen.
Karla Sofia Gascón spielt Emilia Pérez: "Zum Lügen verdammt"
Für ihre beiden Kinder gibt sich Emilia als entfernte Tante aus. Mit den Kindern kommt auch die Mutter und frühere Ehefrau. Sie ahnt nichts von der wahren Identität von Emilia Pérez, Schauspielerin Karla Sofia Gascón interpretiert ihre Rolle so: "Im Grunde ist Emilia, die Ärmste, ihr Leben lang zum Lügen verdammt. Sie musste sich in der erste Lebenshälfte verstellen, in der zweiten Phase verstellt sie sich auch. Es gibt nur eine Person, der sie vertrauen kann, weil die die Wahrheit kennt, und das ist Rita."
Nicht nur die eigene Familiengeschichte holt Emilia ein, auch ihre kriminelle Vergangenheit. All die Ermordeten und vermissten Opfer, die auf das Konto der Narcos gehen und die Angehörigen, die die nach ihnen suchen – meist vergeblich.
Sozial-Epos, Familien-Drama und Genre-Mix
Emilia gründet schließlich eine Organisation, die nach Vermissten sucht. Freiwillige Helfer graben nach Opfern – ein spätes Bedürfnis nach Sühne, nach Wiedergutmachung vergangener Verbrechen. Den Schmerz der Familien kann sie kaum lindern.
Über seine Idee zu diesem Film, der die Genres mischt, sagt Regisseur Audiard, er sehe darin "eine Oper, im Stil von Bert Brecht und Kurt Weil. Eine kleine, aber feine Oper." Mit "Emilia Pérez" ist ihm eine ungewöhnliche Mischung gelungen zwischen Sozial-Epos und Familien-Drama mit Musical-Einlagen von emotionaler Wucht.
Autorin TV-Beitrag: : Hilka Sinning
Stand: 24.11.2024 21:37 Uhr
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