So., 30.03.25 | 23:05 Uhr
Das Erste
Preis der Leipziger Buchmesse für Kristine Bilkau
Eine Mutter-Tochter-Geschichte aus der Welt von heute
"Heut bin ich über Rungholt gefahren
Die Stadt ging unter vor sechshundert Jahren
Noch schlagen die Wellen da wild und empört
Wie damals, als sie die Marschen zerstört."

So bedichtet Detlev von Liliencron die historische Jahrhundert-Katastrophe von 1632, als der Blanke Hans im nordfriesischen Wattenmeer mehrere Siedlungen verschlang. Die Ballade, heute noch Schulstoff, steht am Beginn eines eindringlichen Mutter-und-Tochter-Dramas, das genau hier, in der bedrohlichen und bedrohten Landschaft des Nordens, spielt.
Mutter-Tochter-Roman, der nach der Zukunft fragt
Die Hamburger Autorin Kristine Bilkau, die für ihren Roman "Halbinsel" den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik bekommen hat, betont: "Es ist wirklich ein dramatischer Einschnitt gewesen, sowohl für die Region als auch für die Menschen. In meinem Roman ist es so, dass die Mutter mit diesem Gedicht, mit diesen Versen Historie verbindet. Ihre Tochter, die es ebenfalls in der Schule lernt, denkt aber nicht an die Vergangenheit, sondern an die Zukunft."

25 Jahre alt ist Linn, die Tochter von Annett, als sie auf einer Tagung plötzlich zusammenbricht. Wieder auf den Beinen, kündigt sie ihren Job bei einer Umweltfirma und kehrt aus Berlin zurück ins Haus ihrer Mutter in einem Dorf an der Nordsee, wo sie einst aufgewachsen ist. Hier verschläft sie die Tage, scheint sich für nichts zu interessieren.
Und die Mutter? Versteht die Welt nicht mehr und hadert, wie sie ihrer Tochter, die eben noch erwachsen war, zu neuem Lebensmut verhelfen kann.
"Wie bringt man ein Kind in diese Welt?"
Eine Frage zieht sich für Kristine Bilkau wie ein roter Faden durch den Roman: "Wie bringt man ein Kind in diese Welt?" Damit verbunden sind für sie viele weitere Fragen, die die Aufgabe immer unmöglicher scheinen lassen: "Welche Prägungen bringt man mit? Wie rüstet man sein Kind für die Zukunft, die man selber gar nicht durchschaut und in der, was vielleicht für einen selbst wichtig gewesen ist, beim Erwachsenwerden des Kindes längst überholt ist."
Sinnkrisen: Bilkaus Buch erzählt vom richtigen Leben im falschen

Der Weltuntergang findet auch zu Hause statt. Auf vielen Seiten ihres Romans zeigt Bilkau, wie verdrängte Sinnkrisen, größere und kleine, sich in den Alltag fressen. Linn verliert jede Zuversicht, nachdem sie erfahren hat, wie große Konzerne Umweltschutz als Greenwashing für schmutzige Geschäfte benutzen. Der Klimawandel ist nicht mehr aufzuhalten. Das richtige Leben im falschen, es funktioniert nicht mehr.
Kristine Bilkau schreibt über "Verlusterfahrungen", wie sie sagt: "Bei der Tochter sind es, würde ich sagen, die Ideale. Bei der Mutter sind es die Gewissheiten, die brüchig werden. Aber es geht eben auch um Trauer: um die verschwindenden Landschaften, zum Beispiel abgeschmolzene Gletscher, ausgestorbene Arten. Also all das, mit dem Linn aufwächst, das sind ja viele kleine Momente, die schon morgens am Frühstückstisch über die Nachrichten einfach angespült werden."
Klug ausbalanciertes Buch
Neben Mutter und Tochter ist die Natur des Nordens ein weiterer Akteur in diesem klug ausbalancierten Buch. Es wird viel gewandert im Watt, wo die Welt unendlich weit scheint und im nächsten Moment verschwinden kann. Ist Zukunft möglich ohne Zuversicht?
Autor TV-Beitrag: Rayk Wieland
Stand: 30.03.2025 22:19 Uhr
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