So., 17.12.23 | 23:35 Uhr
Das Erste
Die Deutschen – René Burri in Erfurt
Wie der Schweizer Magnum-Fotograf West- und Ostdeutschland sah
Der Schweizer René Burri war einer der bekanntesten Fotoreporter, einer von der Agentur Magnum. Etliche seiner Aufnahmen gingen ins Bildgedächtnis ein: Che Guevara von 1963, Sao Paulo, und China, das er immer wieder besuchte. Burri war mit Mitte Zwanzig schon in der Welt unterwegs.
Mit Neugier auf den Osten
Über Deutschland machte er sein erstes Foto-Buch: Der Heimat seiner Mutter – und der Nazis. Den aufkommenden Sozialismus, ob in Asien oder Europa, sahen die Magnum-Kollegen zunächst mit Sympathie, auch Burri, der sich in einem Interview von 2004 so erinnerte: "Ich kam dann in den Osten, und das war alles noch so neu und nicht so verbraucht, die Leute auch, da war noch ein anderes Umgehen miteinander. Und das hatte eine Faszination und ich dachte mir, wie nach dem Krieg eine Idee des Neuen Menschen entstand, weißt du. Capa ging mit Steinbeck nach Russland nach dem Krieg, und wollte sehen, wie entsteht jetzt dieser Neue Mensch, und mit der Zeit hat man dann gemerkt: 'Ja, die Idee war gut, die ist immer noch gut, aber die Menschen haben's eigentlich verpatzt."
Fotokunst, die hinter Fassaden blickt
Der 1933 geborene Burri sucht typische Bilder des Neuen und übersieht die Zeichen des Alten nicht. Der Nazi-Adler über vermauertem Eingang. Schon das Eröffnungs-Bild seines Buches über die Deutschen von 1962 fordert kaum missverständlich, hinter die Fassaden der Gegenwart zu schauen. Meint der Kurator der Erfurter Ausstellung, Daniel Blochwitz, mit Blick auf eine der Fotografien: "Dieser Herr erinnert doch sehr an eine bestimmte Art deutscher Offiziere, wie wir sie aus früheren Bildern und Filmen kennen."
Burri blickt über die gerade gebaute Mauer in den Osten. Es ist Nachkrieg, zunächst dominieren Brandmauern auch im Westen. Aus der Nachkriegszeit wird der Kalte Krieg, der Fotograf notiert die östliche Propaganda, und die gemeinsame Aufrüstung: Zu den Besatzungsmächten kommen wieder deutsche Truppen. Die damals stark umkämpfte Atomwaffen-Stationierung komprimiert er in ein dämonisches Bild.
Burri: Magnum-Reporter und Fotokünstler
Kurator Daniel Blochwitz sagt über Burri: "Er hatte auch eine große Abneigung gegenüber Uniformen allgemein, und hat das Uniformierte auf beiden Seiten immer wieder im Bild festgehalten, und das nicht nur bei Soldaten und der Armee, sondern in der Alltagskultur der Deutschen. Was er aber, glaube ich, gesucht hat, war, mit welcher Gleichgültigkeit, oder mit welchem Selbstverständnis, man in Deutschland so schnell wieder eine Armee aufstellte und Waffen stationierte."
Mehr noch als andere aus der bekannten Magnum-Agentur, liefert Burri sowohl den charakteristischen Schnappschuss, die Kunst des Reporters, als auch das komponierte Bild. Er ist auf Form aus, auf Flächendichte oder Licht- und Schattenbahnen, die die Bilder aktiv und dynamisch machen. Er experimentiert, und aus dem Reportage-Foto wird ein Kunstbild oder ein Sekunden-Drama mit Figuren links und rechts, durch den Willen des Fotografen auf ewig verbunden, wie Blochwitz weiter erläutert.
"So hat er immer versucht, gegenüberzustellen – sowohl im Bild, als auch in der Serie, im Plural der Bilder. Und gerade im Bild passiert sehr, sehr viel bei ihm. Mit Vordergrund, Hintergrund, Unschärfe, mit Anschnitten, also das würde ich schon behaupten, das ist auch typisch für ihn."
Erinnerung an gemeinsame Vergangenheit
Ost-Berlin: wie nebenbei, privat und öffentlich, Anspruch und Realität. Diese Wahrheit am Rand entdeckt René Burri in der ganzen Welt. In Weimar war er freilich auch auf der Suche nach "Den Deutschen": Er dokumentiert den "Zeitvertreib" bei der Klassenfahrt zum Konzentrationslager Buchenwald. Und er blickt auf den letzten Rest der Synagoge in der Berliner Fasanenstraße. Ein Foto, das Blochwitz besonders berührt: "Dieses Bild ist für mich unheimlich spannend, weil so halb versteckt hinter der Brandmauer, neben der Tankstelle, da steckt sehr viel drin, wie wir auf beiden Seiten mit diesem Teil der Nazi-Herrschaft umgegangen sind."
"Die Deutschen" fühlten sich nicht gut getroffen
Der Osten ist weniger präsent, vielleicht, weil Burri durch Magnum öfter im Westen und dort freier unterwegs war. Vieles erscheint pittoresk – aus der Entfernung – und längst vorbei. Ist es das? Obwohl der Schweizer die Hochhäuser, das neue Selbstbewusstsein und die Fröhlichkeit durchaus nicht übersah, fühlten sich "Die Deutschen" damals nicht gut getroffen, wie Burri selbst in dem Interview aus dem Jahr 2004 in der Rückschau berichtet: "Da gab’s dann Dinge wie: 'So schlimm und grau und schwarz und weiß sieht's bei uns eigentlich nicht aus.' Ich hatte Freunde, die wurden fast wütend, dass sie meinten, ich hätte sie veräppelt."
In der Erfurter Kunsthalle werden auch Burris Versuche gezeigt, die Deutschen-Serie zu verlängern, bis in die 1990er-Jahre sogar. Einzeln eindrucksvoll, bleiben die frühen 1960er-Jahre doch dichter – mit ihrem besonderen und einnehmenden Burri-Blick.
Autor: Meinhard Michael
Stand: 18.12.2023 13:14 Uhr
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