So., 17.12.23 | 23:35 Uhr
Das Erste
Wim Wenders: "Perfect Days"
Ein Film über die Schönheit im Alltäglichen
Jeder Morgen folgt einem Muster. Derselbe Ablauf. Dieselben Handgriffe. Für die einen der Inbegriff quälender Langeweile und Eintönigkeit. Für den Japaner Hirayama aber der Beginn eines erfüllenden Tages. Eines "Perfect Day".
Nicht Routine, sondern Ritual
Regisseur Wim Wenders sieht mehr in der Routine, nämlich ein sinnstiftendes Ritual: "Routine ist das, was man aus dem Effeff kann und was einen langweilt und man kann's auch im Schlaf und eigentlich ist es negativ beladen. Hirayama lebt einem vor, dass man Routine auch anders verstehen kann", sagt Wenders und erläutert, "dass man Routine auch verstehen kann als das, was man jedes Mal neu tut und jedes Mal so gut wie möglich, so dass Routine auch so ein bisschen was von einem Ritual bekommt. Und das ist eigentlich eine schönere Art und Weise dieses Phänomen anzuschauen."
Besonderes Handwerk in Japan: Kloputzen
Hirayama liebt Lou Reed. Die Kinks. Und er liebt seinen Job. Tagein, tagaus putzt er öffentliche Toiletten in Tokio. So sorgfältig, so hingebungsvoll, so rituell eben, dass es nicht nur über ihn selbst etwas verrät, sondern auch über sein Land und dessen Kultur, die Wenders liebt:
"In Deutschland sind ja Handwerker nicht so angesehen. In Japan ist das umgekehrt. Ein guter Handwerker ist ein Held. Und unser Hirayama macht den Beruf des Toilettenputzens ein bisschen wie ein Handwerker. Er hat sich sogar ein Spiegelchen gebaut, damit da kein Tropfen kleben bleibt."
Leben im Moment
Wenders begleitet seinen Protagonisten auf Schritt und Tritt. Schnell wird klar: Hinter dem vermeintlich schnöden Alltagstrott verbirgt sich mehr. Hirayama lebt, selbst in der Mittagspause, ganz für den Moment, blickt so aufmerksam in die Welt, dass er sich sogar für das Licht- und Blätterspiel des Baumes bedankt, dass er mit seiner kleinen Kamera immer wieder fotografiert.
Regisseur Wim Wenders will seinen Film so verstanden wissen: "Ich hab' ein bisschen eine Utopie entworfen, aber eine, die nicht so ganz unrealistisch ist und außerdem recht bescheiden, es ist ja kein gewaltiges Modell. Er hebt auch nie den Zeigefinger und sagt: 'Guckt mal, wie ich lebe.' Im Gegenteil. Er ist zufrieden, so wie er lebt und zeigt es einfach nur, dass man froh sein kann mit Dingen, die man wahrnimmt. Und er nimmt viel wahr. Er redet nicht viel, aber dafür sieht er sehr viel."
Bildsprache und Tempo wie eine Meditation
Mit beinahe dokumentarischem Blick, gedreht im 4:3-Format, erzählt der Film von der Schönheit im Alltäglichen. Bildsprache und Tempo wirken in ihrer Zurückhaltung geradezu meditativ. Und Hauptdarsteller Koji Yakusho ist fantastisch in seiner Rolle des schweigsamen, charismatischen Einzelgängers.
Große Wendungen sucht man in "Perfect Days" lange Zeit vergeblich. Es sind stets die kleinen Momente, die flüchtigen Begegnungen und Gesten, die den Film zu einem Erlebnis machen.
Berührendes Porträt und "Feelgood"-Film
Erst als Hirayamas Nichte Niko, von zu Hause getürmt, unversehens vor der Tür steht, gerät sein Leben etwas aus dem Takt. "Nächstes Mal ist nächstes Mal", philosophiert Hirayama mit seiner Nichte wenig später. "Jetzt ist jetzt." – Wenn auch nicht ganz frei von Pathos: Wenders ist mit "Perfect Days" ein berührendes Porträt gelungen. Humorvoll. Melancholisch. Und inspirierend, wie Wenders erfreut nach den ersten Vorführungen im kleinen Kreis feststellte:
"Beim ersten Mal, als ich überhaupt Leuten den Film vorgeführt habe, habe ich gemerkt, dass da so ein Frieden drin war für die und auch so eine Emotion und dann habe ich mich allmählich dran gewöhnt, dass ich einen Feelgood-Film gemacht habe, der mir so passiert ist und eigentlich bin ich auch froh drüber, wir brauchen das ziemlich dringend, dass man irgendwie freundlicher guckt oder denkt oder sieht."
Autor: Marcus Fitsch
Stand: 18.12.2023 13:17 Uhr
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