So., 10.11.24 | 23:05 Uhr
Das Erste
Ein Leben im Roman
Der Film "Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann"
In kein anderes Werk hat der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann so viele seiner persönlichen Sehnsüchte und Ängste einfließen lassen wie in "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull". Über einen Zeitraum von 50 Jahren ist das Romanfragment entstanden, in dem Felix Krull es perfekt versteht, in verschiedene Rollen zu schlüpfen und Beziehungen zu Männern wie Frauen hat. In einer Mischung aus fiktionalen Szenen und Originalzitaten erzählt Regisseur André Schäfer in "Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann" die Parallelen zwischen Thomas Manns Leben und der Geschichte um sein literarisches Alter Ego Felix Krull. ttt hat mit André Schäfer und Darsteller Sebastian Schneider über ihren Film gesprochen.
Zwischen Mann und Krull
Erste Notizen zu einem Roman über den Hochstapler Felix Krull macht Thomas Mann 1905. Erst 50 Jahre später erscheint "Der Memoiren erster Teil". Keine Literarische Figur hat ihn so lange begleitet. "Ich wollte, dass der so eine bestimmte Freiheit des Lebens präsentiert, dass der flirtet, verführt, dass der sich die Welt zu eigen macht, dass der rumläuft und sich jeden Tag komplett neu erfindet, dass der immer auch einen Abgrund hat, dass der irgendwie auch eine Traurigkeit hat", sagt der Schauspieler Sebastian Schneider. Im Film "Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann" spielt er nicht nur Felix Krull, sondern auch Thomas Mann. Er schlüpft in die Rolle des berühmten Schriftstellers, reist an die Originalschauplätze seines Lebens, wie in die Villa westlich von Los Angeles, in die er 1941 mit seiner Familie zieht, und wo er am Schreibtisch über seinen Aufzeichnungen grübelt. Im Film geben Originalzitate aus den Tagebuchaufzeichnungen Einblick in Manns Gedankenwelt: "Tage des Leidens, der Verwirrung und Ratlosigkeit, sexueller Kummer und tiefes leidvolles Verlangen nebst dem Wissen, dass es die Wirklichkeit nicht will."
Kunstvolles Doppelportrait
Gleichgeschlechtliche Liebe ist immer wieder Thema – zunächst in seinen Romanen, dann konkret in den Tagebüchern, die erst nach seinem Tod veröffentlicht werden. Offen gelebt hat Thomas Mann seine Homosexualität nie. "Diese innere Zerrissenheit, die ich wahnsinnig bewundere, wie jemand sein ganzes Leben eigentlich sich selbst nicht zulassen konnte. Das fand ich schon dramatisch", erzählt Regisseur André Schäfer über seine Motivation für den Film "Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann". Er ist ein kunstvolles Doppelportrait. Wichtige Episoden aus dem Krull-Roman werden in Szene gesetzt – wie der vorgetäuschte epileptische Anfall bei der Musterung oder der Theaterbesuch, bei dem das große Vorbild Krulls hinter der Bühne sein wahres Gesicht offenbart. Alles gespielt von Sebastian Schneider. Im Originaltext von Thomas Mann.
Queeres Role Model
Parallel zu den fiktiven Szenen des Romans taucht der Film in die bewegte Biographie Manns ein: Flucht in die USA vor den Nazis, Leben im Exil, politische Stellungnahme noch vor Beginn des zweiten Weltkriegs. Der Fokus des Films ist der zwiegespaltene Thomas Mann. Sein Ringen mit den inneren Konflikten, die seine gesamte Familie mitträgt. Seine Tochter Erika Mann berichtete 1969: "Er war der Ansicht, dass ein Künstler, um wirklich einer sein zu können, im Grunde genommen gar kein Recht auf Leben hat." Regisseur André Schäfer wollte genau Gegenteiliges erzählen: "Wie wäre es denn gewesen, wenn Thomas Mann privat gewesen wäre? Wir wäre es gewesen, wenn Thomas Mann sich hätte gehen lassen?" So verschmelzen Autor und Romanfigur zu einer schillernderen Figur – und einer Art queerem Role Model. "Es ist ja heutzutage so, dass so getan wird, als wäre queeres Leben irgendetwas Neues", sagt Schauspieler Sebastian Schneider, "aber das ist ja durchaus einfach komplett falsch. Und wenn wir mit dem großen deutschen Dichter Thomas Mann und der Romanfigur Felix Krull Queeres Leben zeigen können, dann hat mich das daran auch sehr interessiert." "Die Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann" blickt hinter die Fassade des berühmten Dichters. Eine cineastische Hommage an den Menschen Thomas Mann.
Autorin: Uta Angenvoort
Stand: 11.11.2024 00:14 Uhr
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