So., 10.11.24 | 23:05 Uhr
Das Erste
Eine koloniale Familiengeschichte
Andréas Langs fotografische Spurensuche in Afrika
Auf dem Dachboden fand der Fotograf und Videokünstler Andréas Lang Fotos und Schriften seines Urgroßvaters. Sie waren Ausgangspunkt für eine Spurensuche nach Zentralafrika, zu einem verschollenen Kapitel deutscher Kolonialgeschichte: einer Grenzexpedition, um das Gebiet von Französisch-Kongo in Besitz zu nehmen. Die Fotografien und Videostills in seinem Buch "A Phantom Geography" zeigen Orte und Landschaften in Kamerun, Tschad und der Zentralafrikanischen Republik, in denen die Phantome der Kolonialzeit noch immer präsent sind. Ihnen stellt er historisches Material aus der Kolonialzeit gegenüber, das er in öffentlichen und privaten Archiven recherchiert hat. ttt hat mit Andréas Lang und dem Provenienzforscher Richard Tsogang Fossi über die Recherchen gesprochen.
Der Urgroßvater als Verbrecher
Sein Urgroßvater hat Löwen gejagt, Nilpferde und Krokodile geschossen. Und Schauergeschichten erzählt, von Kannibalen. Der Fotograf Andréas Lang hat diese Erzählungen nie geglaubt. Bis er auf dem Dachboden alte Fotos findet: Nguku, Neu- Kamerun steht darunter. Reinhold Koblich, der Urgroßvater, ist zwischen 1909 und 1914 bei der deutschen Schutztruppe in Kamerun. Aber was genau hat er da getan? "Der war, glaube ich, auch Verbrecher in diesem System" vermutet Andréas Lang, "irgendwann war er in dieser kolonialen Gewaltmaschinerie drin und hat dann das Maschinengewehr bei der Aufstandsniederschlagung in Nguku bedient."
Künstlerische Spurensuche
"Phantom Geography" nennt Andréas Lang seine künstlerische Spurensuche, in Kamerun und in Archiven. Eine Reise zu den Gespenstern deutscher Geschichte: in finsterste Kolonialzeiten. Hier an dieser Flussbiegung hat der Urgroßvater einst fotografiert, die deutsche Niederlassung am Horizont. Das Gebäude ist heute eine Ruine, auf seinem Foto fängt Andréas Lang Rauchschwaden ein. Auch eine unter den Deutschen erbaute Hängebrücke entdeckt Lang und filmt sie im Gewittersturm. Das Video wirkt wie ein Gruß aus bösen Zeiten.
Recht oder Unrecht?
"Das ist natürlich eine ziemliche Verantwortung, auch eine Bürde, mit so einem extrem problematischen Teil der Geschichte umzugehen. Natürlich habe ich da auch Dinge ans Licht geholt, die nicht angenehm sind", berichtet Andréas Lang über seine Recherche. Er stellt fest: Reinhold Koblich hält sich für einen guten Menschen, will für Recht und Ordnung sorgen. Er schießt Nilpferde und Krokodile; Fleisch für die 600 Träger der Grenz-Expedition in Neu-Kamerun. Doch viele sterben an Lungenentzündung. Er nimmt Frauen und Vieh gefangen, erschießt "Aufständige". Gewalt ist die Basis der kolonialen Plünderung!
Vermeintliche Geschenke
Über diese Hintergründe erfährt man wenig in den Museen, wie im Humboldt-Forum Berlin. Richard Tsogang Fossi, gebürtiger Kameruner, erforscht den Raubzug deutscher Schutztruppen – auch wie die Kulturgüter Kameruns in unsere Museen gekommen sind, 40.000 insgesamt. Beispielsweise der Perlen-Thron von Njoya, dem Sultan von Bamum, im Humboldt-Forum verharmlosend als "Geschenk" bezeichnet. "Damals war Njoya ein Vasall der Deutschen – jemand, der keine Macht hat," erklärt Richard Tsogang Fossi, "und allein das ist ein Zeichen dafür, dass es statt eines Geschenks eine Erpressung war. Es ging um Krieg. Schönheit sehe ich nicht, aber ich sehe da eine Trauergeschichte von dieser Gewalt. Viele Menschen sind da gestorben, aber davon redet man nicht."
Überfall auf ein Dorf
Auch Langs Urgroßvater war an dieser Gewaltgeschichte beteiligt – und dessen Vorgesetzter: Hauptmann Jesko von Puttkamer. Dieser hat von Njoya immer wieder "Geschenke" erhalten, wie eine Pfeife, die im Humboldt-Forum ausgestellt ist. Das Foto dazu hat Lang im privaten Nachlass des Militärs gefunden. Ebenso Fotos des Überfalls auf die Siedlung Nguku. Lange hat sich das Dorf gegen die Kolonisierung gewehrt. Dann hat Puttkamer 1913 den Befehl zur sogenannten "Strafexpedition" gegen Nguku erteilt. Langs Urgroßvater leitet sie, bedient das Maschinengewehr. Von fünf Toten schreibt er Jahre später in seinen Erinnerungen. Andréas Lang aber hat Artikel gefunden, die von einem "großen Blutbad" berichten.
Zwangsarbeit für die Schutztruppe
In seinen Erinnerungen betont der Urgroßvater auch, wie gut die Träger bezahlt werden. Auch für diese Trommeln und Türstöcke wurden Träger gebraucht. Bezahlt wurden sie selten, so Fossi. Es war Zwangsarbeit unter der Aufsicht der Schutztruppen. Sie raubten, erpressten diese Exponate und begingen dabei schwerste Kriegsverbrechen. "Entweder man gehorcht oder man wird getötet oder deportiert", stellt Fossi fest. Andreas Langs Familiengeschichte offenbart die Gewalt, die diese Objekte in unsere Museen geführt hat. Seine künstlerische und schonungslose Spurensuche ist ein wichtiger Beitrag für die Aufarbeitung.
Autorin: Petra Dorrmann
Stand: 18.11.2024 10:18 Uhr
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