Mo., 22.07.24 | 00:25 Uhr
Das Erste
Deutschland schafft seine Kommission für Nazi-Raubkunst ab
„Die Nacht“ heißt ein bekanntes Gemälde von Max Beckmann. Entstanden ist es unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkriegs. Ein nächtlicher Raubüberfall in der Wohnung einer Familie als Sinnbild auf die Gewalt in der Welt. Besitzer des Bildes ist die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf – aber ist das Bundesland auch der Eigentümer? Seit acht Jahren versuchen jüdische Erben das Bild zurückzubekommen. Bislang vergeblich. Seit vier Monaten ist der Streitfall nun vor Deutschlands Raubkunst-Kommission. Sie könnte für Klärung sorgen. Jetzt aber soll sie abgeschafft werden.
Statt Stärkung nun das Aus
Markus Stötzel ist Anwalt der Erben des Beckmann-Werkes. Er ist über das Aus für die Raubkunst-Kommission einigermaßen entsetzt. „Die Auflösung der Kommission steht diametral entgegen der Koalitionsvereinbarung. Darin hatte man vereinbart, die Kommission zu stärken. Das ist nicht geschehen. Die Auflösung der Kommission kommt überraschend“. Noch im September 2023 findet im Jüdischen Museum Berlin ein Festakt anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Raubkunst-Kommission statt. Sie soll endlich gestärkt werden. Dafür muss sie einseitig, ohne Zustimmung der Museen, von den Erben der Holocaust-Opfer angerufen werden können, wenn diese Bilder zurückfordern. Im Dezember 2023 gibt es eine weitere Festveranstaltung, diesmal in der Berliner Staatsbibliothek. Wieder geht es um Raubkunst. Wieder das Versprechen, die Kommission endlich zu stärken.
Kommission zu „opferfreundlich“?
In deutschen Museen hängt nach wie vor Kunst, die jüdischen Familien von den Nazis geraubt worden ist. Zehntausende von Fällen warten auf Klärung, die Rückgabe an die Erben der rechtmäßigen Besitzer kommt und kommt nicht voran, was auch der Kulturstaatministerin Claudia Roth zunehmend peinlich wurde, wie sie ttt noch vor Kurzem versicherte. In einem Interview vom Dezember 2023 zeigte sich Kulturstaatsministerin entschlossen: „Ich will, dass sich materiell etwas ändert. Deshalb streben wir eine einseitige Anrufbarkeit an. Ich möchte, dass die Kommission tatsächlich auch strukturell gestärkt wird.“ Im diesem Frühjahr plötzlich die große Kehrtwende: Der Vorsitzende der Raubkunst-Kommission und ehemals Präsident des Bundesverfassungsgerichtes erhält eine Einladung ins Kanzleramt. Mit dabei die wichtigsten Kommissionsmitglieder. Auf einmal keine Festreden mehr auf die Raubkunst-Kommission – sondern die Kulturstaatsministerin verkündet deren Ende. „Wir waren zunächst einmal richtig sprachlos“, gibt Papier zu. „Die Entscheidung kam für uns alle überraschend, zumal im Koalitionsvertrag ja explizit stand, man wolle die Kommission stärken. Eine Stärkung durch Abschaffung ist sicherlich eine sehr originelle Lösung, sage ich mal."
„Das machen wir nicht wieder auf“
Bei dieser Unterredung im Kanzleramt ging es laut einem vertraulichen Protokoll, das ttt vorliegt, richtig zur Sache: Papier ist der Ansicht, dass die Abschaffung der Kommission das Ergebnis von Vorbehalten sei, weil sie zu „opferfreundlich“ wäre. Damit sind die jüdischen Nachfahren gemeint. Die Staatsministerin reagierte laut Protokoll nicht auf den Vorwurf. Stattdessen ließ der anwesende Kulturstaatssekretär Hardeck aus Rheinland-Pfalz die Katze aus dem Sack: Er erklärte im Namen der sechzehn Bundesländer: „Das machen wir jetzt nicht wieder auf“. Klartext: Die Kommission wird abgeschafft. Und zwar ohne Diskussion. Auch Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, schaltet sich in die Debatte ein: „Die Beratende Kommission hatte sicherlich Probleme. Aber sie abzuschaffen, ohne dass vorher eine neue Struktur geschaffen wird, halte ich für höchst problematisch. Schon in der Bibel heißt es: Man soll kein unreines Wasser ausgießen, bevor man reines hat.“
Ein Schiedsgericht soll nun entscheiden
Seit Mai dieses Jahres arbeitet der Bonner Juraprofessor Matthias Weller an einer Studie zur Beratenden Kommission. Auftraggeber dieser Studie: Claudia Roth. Im August 2023 bringt Weller eine völlig neue Lösung ins Spiel: Umwandlung der Beratenden Kommission in eine „Streitentscheidungsstelle“ – zu Deutsch: ein Schiedsgericht. Das Ende von Deutschlands Raubkunst-Kommission. Weller erklärt: Das ist das Ergebnis unserer Studie: Die Schiedsgerichtsbarkeit. In der Tat, wir haben keinerlei Vorgaben bekommen, das wäre ja auch nicht vereinbar mit der Wissenschaftsfreiheit. Unser Ergebnis war, dass die Schiedsgerichtsbarkeit die am meisten versprechendste Lösung derzeit ist.“
„Ich halte das für unhaltbar“
Daran gibt es Zweifel. Wellers Gutachten wird so verstanden, dass die Schiedsrichter, die künftig über Raubkunst entscheiden, vom Staat benannt werden, der aber selber streitende Partei wäre. „Was jetzt angedacht war, jedenfalls in dem Gutachten von Kollegen Weller, bedeutete in der Tat eine einseitige, also von einer Partei, nämlich der staatlichen Seite, bestimmte Zusammensetzung“, führt Hans-Jürgen Papier aus. „Und dann soll, abenteuerlicher Weise muss ich sagen, ein Vorsitzender für alle Verfahren agieren – das halte ich für ohnehin unhaltbar.“ Gegen diese Lesart seiner Studie wehrt sich Weller ganz entschieden. Natürlich, so sagt er, sollen auch jüdische Vertreter Schiedsrichter sein dürfen. Aber die Frage ist: Wer benennt und entscheidet über sie? „Das werden die Regierungsstellen, das wird die Politik machen“, entgegnet Weller. „Und natürlich gehen wir davon aus, dass die politischen Entscheidungsträger die Opfer-Repräsentanten mit einbeziehen in ihre Beratungen darüber, wer in diesen Pool aufgenommen werden sollte.“
Im Moment gibt es mehr Fragen als Antworten
Die Schiedskommission soll nun einseitig anrufbar werden. Die Kulturstaatsministerin und ihre Länderkollegen verkaufen das als riesigen Erfolg. Aber im Moment gibt es vor allem Fragen. Und statt Antworten hat Deutschland eine öffentlich demontierte Raubkunst-Kommission. Auch Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, zeigt sich ratlos: „Außer dem Begriff dieser Schiedsgerichtsbarkeit und wie sie sich zusammensetzen soll, liegen, zumindest mir, heute keinerlei Erkenntnisse vor. Insoweit vermag ich nicht zu sagen, ob das wirklich ein Schritt nach vorne ist. Oder ob wir am Schluss, in fünf Jahren, so weit sind, wie wir gestern auch schon waren.“
Autor: Ulf Kalkreuth
Stand: 22.07.2024 14:05 Uhr
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