So., 28.07.24 | 23:35 Uhr
Das Erste
Theatre of Dreams
Israelisches Tanzstück gibt Zeichen der Hoffnung
Bild- und tongewaltig beeindrucken Hofesh Shechters Choreografien seit der Gründung seiner eigenen Compagnie im Jahr 2008. Jetzt hatte ein neues abendfüllendes Stück von ihm Premiere: "Theatre of Dreams". ttt hat Hofesh Shechter anlässlich der Uraufführung in Paris getroffen.
Es geht tief in die Magengrube. Noch bevor man etwas versteht, fühlt man es: mitreißende, intensive Energie. Der in Jerusalem aufgewachsene Hofesh Shechter arbeitete mit seiner Londoner Compagnie als er vom Terroranschlag der Hamas auf Israel hörte. Kurz danach begann er mit den Proben zu "Theatre of Dreams". "Du kannst sagen: Was soll das? Es ist nicht wirklich wichtig. Es rettet niemanden", hinterfragt er seine eigene Arbeit, "für mich war es eine Entscheidung: Mit Tanz, Bewegung, Körpern und Musik zu arbeiten. Menschen zusammen zu bringen, unabhängig von ihrem Hintergrund und ihrer Kultur."
Kollaborative Arbeit
Dreizehn Tänzerinnen und Tänzer. Ein diverses Ensemble. Am Anfang steht ein Sound, eine Geste, ein Gefühl. Alle sind offen für das, was gerade in der Welt geschieht: Chaos. Krieg und Krisen. "Für mich ist der kreative Prozess chaotisch – ich nehme Dinge aus meiner Box, die Tänzer tun aus ihrer Box etwas dazu. Und dann lassen wir alles auf uns wirken. Im Anschluss geht es darum, das Chaos zu ordnen", beschreibt Hofesh Shechter den Prozess. "Ich denke ein Tanzstück ist ähnlich wie ein Traum. Es hat eine starke Bildsprache. Es lässt uns ganz viel fühlen. Viele von uns haben ähnliche Träume. Sie sind stark von unserer Kultur beeinflusst, hängen damit zusammen, was wir gelernt haben, wie wir erzogen wurden. So wurde die Idee zum Stück geboren."
Uraufführung in Paris
Der 49-Jährige ist zur Uraufführung nach Paris gekommen. Als junger Mann hat er hier Schlagzeug studiert. Nicht zuletzt deshalb schreibt er die Musik für seine Stücke selbst. Seit 2015 arbeitet er regelmäßig mit dem Theatre de la Ville zusammen. Die Fangemeinde ist groß. Bislang war jede Vorstellung ausverkauft.
In Paris zeigt die Nachwuchs Compagnie, Schechter II, ein zweites Stück: "From England with Love". Im Titel steckt eine gehörige Portion Sarkasmus. Shechter schätzt England, wo er seit über 20 Jahren lebt. Trotzdem sieht er auch die schwierigen Seiten: "Der Brexit war für mich fast eine persönliche Beleidigung. Es hat zwei, drei Tage gedauert, bis ich verstanden habe, dass es nicht so ist. Das lag teils an den seltsamen Kräften der Sozialen Medien. Aber ich hoffe, dass es mit der neuen Regierung wieder mehr Einigkeit zwischen Großbritannien und Europa geben wird."
Aufgewachsen in Israel
Hofesh Shechter hat eine unverkennbare Tanzsprache entwickelt. Geformt durch sein Aufwachsen in Israel und die ständige Bedrohung dort. Das Ensemble steht ganz im Zentrum. Das sei wie in einem Kibbuz, sagt er, in dem das kollektive Wohlergehen wichtiger sei als individuelle Bedürfnisse. "Israel ist ein sehr extremer Ort. Du wirst in eine widersprüchliche Realität voller Konflikte geboren. Du lebst in einem ständigen Paradox, alles ist intensiv, steht unter Hochspannung", so Shechter. "Es gibt nichts Besseres als ein Tanzstück, um extreme Gefühle auszudrücken. Wir müssen verstehen, dass wir eine Wahl haben. Wie du bist, ist eine Wahl." Hofesh Shechter trifft eine Wahl. Und zwar eine versöhnliche. Er schenkt dem Publikum einen Moment des Glücks. Wie ein Fest, bei dem alle miteinander tanzen. "Ich glaube, wenn wir zusammen tanzen, löst sich vieles. Das ist das Gegenteil von Politik. In der Politik geht es um den Prozess, Menschen zu definieren und sie langsam voneinander zu trennen. Es geht um Kontrolle. Kunst ist das Gegenteil. Es geht um Liebe. Es geht darum, sich zu öffnen und etwas zusammen zu tun." Hofesh Shechter und seinem Ensemble gelingt ein berührendes Stück. "Theatre of Dreams" macht uns bewusst, wie kraftvoll Gemeinschaft ist.
Autorin: Anke Rebbert
Stand: 28.07.2024 19:10 Uhr
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