So., 28.07.24 | 23:35 Uhr
Das Erste
Kritik und Spiel
Skurrile Videoinstallationen der Künstlerin Mika Rottenberg
Es ist eine absurde Welt, die Mika Rottenberg in ihren Videos vorführt: Da wird das Niesen zur Kunst, Haare wachsen aus Wänden oder pastellfarbene Schaummasse wird zum Hauptdarsteller. Die Retrospektive "Antimatter Factory" im Baseler Museum Tinguely ermöglicht einen tiefen Einblick in Rottenbergs Arbeit, die nicht nur humorvoll ist, sondern die kapitalistische Produktionsmaschinerie voller Phantasie thematisiert. ttt hat die Ausstellung in Basel besucht und Mika Rottenberg in ihrem Atelier in Upstate New York getroffen.
Eintauchen, staunen! Echte Asienshops wie Bühneninszenierungen. Und überall Frauen, die seltsame Dinge tun. Die Künstlerin Mika Rottenberg ist die Königin dieser bizarren Welten! Wir haben sie in ihrem Atelier in Upstate New York besucht – wollen wissen: was beflügelt diese Künstlerin? "So wie die Welt gerade tickt – so verrückt, interessant, grauenvoll, ausbeuterisch und magisch – alles gleichzeitig! Das fasziniert mich", meint Mika Rottenberg, "wie die Energie wandert, sich verändert: von Ort zu Ort, von Mensch zu Mensch. Und Humor ist ein super Werkzeug, um Hierarchien zu zerschmettern. Es ist ein bisschen wie Backen: man mischt alles – und dann bekommt es ein eigenes Leben."
Fuß oder Phallus?
So wie der pinkfarbene Fuß im Park neben dem Museum Tinguely ein Eigenleben entwickelt und ein Sommerskandälchen in Basel provoziert hat. Von weitem ein ganz schön starkes Stück, dieser "Foot Fountain", der Fuß-Brunnen! Die Künstlerin dazu: "Ja: es sieht aus wie ein riesiger Penis. Aber es ist auch pink, sehr feminin. Das Ding pendelt also zwischen den Geschlechtern. Ich wollte was richtig Ekliges machen; überwältigend und angsteinflößend. Es soll ein Fußabdruck sein, der seine Umgebung befruchtet – eine Skulptur, die eine direkte Verbindung zur Erde hat, auf der sie steht."
Plastik und Kletterpflanzen
Jede Arbeit eine Reise ins Unbekannte - oder eine Flucht in eine bessere Welt. In ihrem Atelier arbeitet sie mit frisch geschreddertem Plastik: Mika Rottenberg will die Welt von Plastikmüll befreien – gesammelt von einem New Yorker Verein. "Es glänzt und kann alle Formen annehmen. Außerdem ist so viel altes Leben in diesem Material gefangen. Und es ist ein Riesen-Problem. Wir haben so viel davon – Plastik ist fast schon eine Art natürlicher Rohstoff", sagt die Künstlerin. Sie experimentiert damit – und am Ende hat sie zwei "Problemstoffe" zusammengebracht. In den Wäldern in Upstate New York seien bestimmte Kletterpflanzen sehr verbreitet, die Bäume umschlingen und erwürgen und daher eine gewundene Form haben. Die Pflanzen seien wie Skulpturen oder Readymades, meint die Künstlerin, die sie gerne mit Plastik kombiniert. "Sie ähneln sich ja: beide sind ein Problem. Aber optisch für mich: verführerisch, sehr reizvoll." Als Künstlerin will Mika Rottenberg künftig ihren Materialverbrauch reduzieren. In ihrem Atelier habe sie schon ein kleines Kreislaufsystem.
Ausstellung in Basel
In der großen Werkschau ihrer Arbeiten, "Antimatter Factory", im Basler Museum Tinguely ist auch ihr Lieblingsmotiv zu sehen: eruptives Niesen. "Ich liebe es, wie der Körper reagiert, alles rauswirft", sagt sie dazu, "die innere Welt wird nach außen gekehrt. Ich untersuche, wie sich Körper verhalten. Ein bisschen wie Pornographie – nur nicht erotisch." So seziert sie – feministisch und surreal – auch andere erogene Zonen. Doch Mika Rottenberg zeigt in ihren Videos auch die Realität, zum Beispiel in "Cosmic Generator" von 2017 die chinesische Community an der Grenze zwischen Mexiko und den USA. Dann der Twist ins Surreale: Ein Fake-Trump im Tunnel – angeregt durch Trumps Wahl zum Präsidenten, seine Lügenmärchen, die Antimigrationspolitik. "Meine Arbeiten schweben immer zwischen Fakt und Fiktion", sagt Mika Rottenberg, "aber als dann 2016 Trump gewählt wurde – das war ein riesiger Bruch. Plötzlich war das überall! Sogar die Nachrichten – wie fiktive Geschichten. Seitdem habe ich das Gefühl, ich kann das nicht mehr machen. Wenn Trump wieder gewählt wird, muss ich noch mehr alternative Realitäten erfinden, um damit klarzukommen."
Autorin: Petra Dorrmann
Stand: 28.07.2024 19:10 Uhr
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