So., 28.01.24 | 23:05 Uhr
Das Erste
Fotografien wie Filmstills
Jeff Wall Retrospektive in Basel
Der 1946 in Vancouver geborene Jeff Wall machte riesige Dialeuchtkästen zu seinem Markenzeichen und ist einer der innovativsten Fotokünstler der Gegenwart. ttt hat ihn beim Aufbau seiner Retrospektive in der Fondation Beyeler in Riehen begleitet.
Jeff Wall, einer der einflussreichsten Fotokünstler der Welt. Er ist inzwischen 77, aber jede Werkschau ist ein Abenteuer."Ich kann mir meine Bilder ja nie zusammen anschauen. Dafür habe ich einfach nicht den Platz. Schon allein deshalb ist so eine Ausstellung einfach aufregend für mich." In der Retrospektive in der Fondation Beyeler sind 50 Werke aus fünf Jahrzehnten zu sehen. Hier sind sie nicht chronologisch gehängt, sondern nach Themen. "Jeder Raum schafft ein eigenes Erleben", stellt Jeff Wall fest, "die Ausstellung ist wie zehn kleine Ausstellungen, jede mit eigenem Charakter."
Inszenierte Augenblicke
Mit seinen Dialeuchtkästen revolutioniert er die Fotografie, wird berühmt: Bilder aus den 80er, 90er Jahren – sie leuchten von innen, überwältigen durch schiere Größe. Er sammelt Augenblicke, ist von Begegnungen fasziniert. Doch er fängt sie nicht direkt mit der Kamera ein, sondern behält sie stattdessen im Kopf und inszeniert sie nach. Jeff Wall: "Meine Arbeit hat viel mit Beobachten zu tun. Manche Leute denken, ich würde vor allem konstruieren. Aber wenn man durch die Ausstellung geht, sieht man ganz viel Reportage über das, was in der Welt passiert."
Politik im Kleinen
Fotos aus Vancouver, seiner Geburtsstadt, in der er bis heute lebt und arbeitet, thematisieren Gewalt, Rassismus, Armut: "The Eviction" – "Die Zwangsräumung" heißt dieses Bild von 1989. Trotz des Themas – ein Tableau von geradezu barocker Opulenz. "Alle Bilder beinhalten unvermeidbar auch Politik", berichtet Wall, "die Beziehung zwischen Menschen oder auch nur einfach eine Person auf dem Bürgersteig, auch sie ist Teil der politischen Welt, in der wir leben. Ich sauge das auf wie ein Schwamm. Diese Verwicklungen, all diese Verbindungen." Party–Gäste vor einem Nachtclub und dazwischen ein Blumenverkäufer. "Er ist in seiner Welt und sie sind in ihrer. Manchmal berühren sie sich. Aber ich fand es interessanter zu sehen, wie er in der Menge fast untergeht. Das war für mich der Auslöser, der mich dieses Foto machen ließ", so Jeff Wall.
Bilder wie Filme
Immer wieder nimmt der Fotokünstler auch Bezug auf Literatur oder Kunst. Hier hat ihn Ralph Ellisons Roman "The Invisible Man" inspiriert. Und dieses Foto geht auf einen japanischen Holzschnitt aus dem 19. Jahrhundert zurück. Cinematographisch nennt er seine Art des Fotografierens: "Ich habe viel vom Kino gelernt, wie man Licht setzt, wie man Bilder komponiert, mit der Kamera arbeitet. All diese Möglichkeiten beim Filmemachen habe ich versucht, auf die Fotografie zu übertragen." Jeff Wall kreiert Filme in nur einem Bild. Baut Erinnerungen nach, wie etwa die an einen Sturz, als er 11 Jahre alt war. In einer Zeit, in der Fotos im Sekundentakt in den Sozialen Netzwerken verbreitet werden, setzt Jeff Wall auf das Bild, das uns reinzieht in ein Geschehen, das wir vielleicht nicht immer gleich verstehen: "Die Langsamkeit und konzentrierte Qualität eines Bildes haben eine eigene Bedeutung und einen eigenen Wert. Meine Bilder sind dafür gemacht, an einem wirklichen Ort in echter Größe präsentiert zu werden. Du musst also wirklich hier sein, um sie zu sehen."
Autor: Peter Scharf
Stand: 28.01.2024 19:23 Uhr
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