So., 28.01.24 | 23:05 Uhr
Das Erste
Gier, Raub und Vergessen
Wie umgehen mit Kameruns Kulturerbe?
Über 40.000 Objekte aus der ehemaligen deutschen Kolonie Kamerun lagern hierzulande in den Museen. Viele davon wurden während der deutschen Kolonialzeit geraubt, sie sind nur mangelhaft erforscht und selten in Ausstellungen zu sehen. Eine Aufarbeitung ihrer Geschichte und die Debatte um eine mögliche Rückgabe verlaufen langsam. Nun aber ist der Dialog zwischen Kamerun und Deutschland offiziell gestartet. ttt hat mit Verantwortlichen aus Stuttgart, Berlin und Kamerun gesprochen.
In deutschen Museen werden sie präsentiert als Exponate, dort, wo sie herkommen, vermisst man sie, als spirituelle Kraft, als Medizin, als Herz der Gemeinschaft. So sagt es auch die Leiterin der Delegation aus Kamerun, Rékia Nfunfu Ngeh: "Uns macht es etwas traurig, hierher zu kommen. Mich erinnert hier alles an Kamerun, ich sehe mein Dorf. Wir sehnen uns danach, dass diese kulturellen Artefakte, unser kulturelles Erbe nach Kamerun zurückkehren."
Festlegen der Rahmenbedingungen
Das Linden-Museum in Stuttgart besitzt über 8000 kamerunische Artefakte, die größte Sammlung Deutschlands, Beute deutscher Kolonialgeschichte. Nicht umsonst fällt hier jüngst der Startschuss für Gespräche über Rückgabe. Zur Delegation aus Kamerun gehören auch Vertreter von Königshäusern. Auf der deutschen Seite neben der Politik die großen ethnologischen Museen. Man will es von Beginn an richtig machen. "Ich glaube, dass es für alle beteiligten Museen klar ist, dass restituiert wird", sagt die Direktorin des Linden-Museums, Inés de Castro, "wo es, glaube ich, bei diesem Treffen eher darum geht, ist in welcher Form, mit welchen Rahmenbedingungen und wie sind wirklich die Wünsche von kamerunischer Seite? Die sind entscheidend."
Atlas der Abwesenheit
Die allermeisten Güter aus Kamerun schlummern seit über 100 Jahren im Depot, wie hier in Stuttgart, Ergebnis kolonialer deutscher Sammelwut. Die Motive und die Folgen hat ein deutsch-französisch-kamerunisches Forscherteam um die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy dokumentiert, im "Atlas der Abwesenheit". Das Team fand heraus, dass in deutschen Museen der größte Bestand alter kamerunischer Kulturgüter weltweit lagert: 40.000. Wie ist das möglich? Die Kunsthistorikerin und Restitutionsexpertin Bénédicte Savoy erklärt: "Hier waren die Deutschen die ersten, die das kolonisiert haben, das heißt die deutsche Armee, deutsche Missionare hatten als erste die Möglichkeit, sich zu bedienen, könnte man sagen. Das ist ein Grund. Der andere Grund ist, dass sie das systematisch gemacht haben. Deutsche Wissenschaftler und Museen haben damals die Offiziere die Missionare gebrieft, was sie zu nehmen haben."
Der Atlas zeigt auch, wie brutal man vorging. Ein wenig bekanntes Kapitel deutscher Geschichte. Zu Beginn der Kolonialzeit leisteten die Einheimischen viel Widerstand. Strafexpeditionen dienten oft auch dem sogenannten "Erwerb". Eine beeindruckende Liste spiegelt die gut 30 Jahre deutscher Herrschaft in Kamerun wider. "Um weiter zu kommen, sind sehr viele Dörfer, die Widerstand geleistet haben, zum Beispiel zerstört worden, verbrannt worden. Und die Museen, die das wussten, haben den Offizieren gesagt: das und das brauchen wir, also zerstört das nicht", so Bénédicte Savoy
Leerstelle in Kamerun
Die deutschen Kolonisatoren nahmen aus Afrika alles mit, was sie konnten, allein 45 öffentliche deutsche Museen haben Bestände aus Kamerun. Wissenschaftlich hat sich kaum jemand mit ihnen beschäftigt. In Kamerun hinterließen sie eine große Leerstelle. Seine Majestät Bruno Mvondo ist als Vertreter des Kulturraums Fang-Béti in der Delegation in Deutschland und berichtet: "In einigen Gemeinschaften werden wir bei Null anfangen, die Beziehung zu den Ahnen wieder aufbauen müssen, wo die Spiritualität verschwunden ist."
Der Direktor des Ethnologischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin, Lars-Christian Koch, blickt voraus auf die Rückgabe: "Wir müssen jetzt priorisieren: wo sind die zentral wichtigen Objekte, die für die Communities in Kamerun wichtig sind. Und das ist für uns deswegen eine Herausforderung, weil wir natürlich bei den 360 Königreichen in Kamerun nicht entscheiden können. Was priorisieren wir jetzt wie?" Antworten liefert die kamerunische Delegation, sie besuchte letzte Woche die großen deutschen ethnologischen Museen, auch den Kamerun-Saal im Berliner Humboldt-Forum.
Zurückgeben heißt loslassen
Jahrzehnte haben sich die Museen geweigert, Rückgabewünsche auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Das hat sich geändert. Doch rechnet niemand damit, dass es schnell zu Rückgaben in größerem Umfang kommt. "Wir sind Afrikaner und von Natur aus Jäger. Es gibt Fallen, die ein Jahr lang keine Beute bringen, aber zwei Jahre später schnappen sie zu. Wir können warten, wir haben Geduld", sagt Bruno Mvondo. Unstrittig ist, dass die Rückgabe an Kamerun ohne Bedingungen erfolgen soll. Es wird Geduld brauchen, Vertrauen und auf der deutschen Seite: Loslassen können. "Zurückgeben heißt auch eben die Deutungshoheit, also das immer selber besser wissen wollen, was damit gemacht werden muss, das zurückzugeben", meint Bénédicte Savoy. Und Rékia Nfunfu Ngeh schildert die Pläne in Kamerun: "In unserer kamerunischen Vorstellung werden alle diese Kulturgüter vom Staat empfangen und in einer feierlichen Zeremonie an die jeweiligen Gemeinschaften zurückgegeben."
Autorin: Claudia Kuhland
Buchtipp
Stand: 31.01.2024 11:22 Uhr
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