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Rolle der Frauen in kriminellen Clans

Eine Aussteigerin erzählt ihre leidvolle Geschichte

Rolle der Frauen in kriminellen Clans  | Video verfügbar bis 10.03.2025 | Bild: WDR

Latife Arab ist Aussteigerin aus einem kriminellen Familienclan – und nach wie vor in Lebensgefahr. Sie muss unerkannt bleiben, ihr Name ist ein Pseudonym. Trotz allem schildert sie ihre leidvollen Erlebnisse und wie sie sich befreien konnte in dem Buch "Ein Leben zählt nichts". ttt hat die Insiderin in Berlin getroffen.

"Meine Familie hat zwei Mal versucht, mir das Leben zu nehmen. Ich habe beide Male überlebt. Ich habe Angst. Angst um meine Kinder. Dass sie das erleben müssen, was ich erlebt habe." So schildert Latife Arab die Erlebnisse in ihrer Herkunftsfamilie. Deshalb will sie ihr Gesicht nicht zeigen. Wird sie erkannt, riskiert sie ihr Leben. Die Gefahr droht ihr von den eigenen Verwandten, einem weitverzweigten kriminellen Clan. 

Abgeschottet von der Außenwelt

Buchcover von Latife Arab: Ein Leben zählt nichts - als Frau im arabischen Clan
Buch "Ein Leben zählt nichts" von Latife Arab | Bild: WDR

Was sie erlebt hat, und wie es ihr gelang, sich aus den Fängen des Clans zu befreien, erzählt Latife Arab in ihrem Buch "Ein Leben zählt nichts". Mit fünf Jahren kam sie aus der Türkei nach Deutschland. Wuchs auf in einer abgeschotteten Welt, ohne Kontakt zu den Menschen vor Ort. Man brachte ihr bei, dass die Familie alles und sie selbst nichts wert sei. Und dass für Frauen andere Regeln gelten als für Männer. "Eine Frau hat einen bestimmten Grund, warum sie auf der Welt ist: Der Familie zu dienen und Kinder für sie in die Welt zu setzen. Je mehr Kinder, desto besser", berichtet Latife Arab. "Meine komplette Kindheit über dachte ich, es muss so sein, weil es die Männer so vorschreiben, weil die Männer das so vorleben, dass alles, was außerhalb unserer Gesellschaft existiert, nicht dazu gehört."

Wer nicht zuschlägt, ist kein Mann

Was in Latifes Parallelwelt geschieht, dringt nicht nach außen. Hinter verschlossenen Türen herrscht Gewalt. Dass Männer ihre Frauen, Eltern ihre Kinder krankenhausreif prügeln, ist üblich. Immer wieder müssen Latife, ihre Mutter und ihre Schwestern ärztlich behandelt werden. Latife Arab: "Zuschlagen mit voller Wucht ins Gesicht. Wenn man auf dem Boden liegt, noch zutreten. Eine schwangere Frau – das ist ihnen vollkommen egal. Sie tun dir Gewalt an bis zum Äußersten. Das geht bis zum Mord. Um in der Familie etwas klarzustellen."

Portät Seyran Ates
Rechtsanwältin Seyran Ateş | Bild: WDR

Die Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ateş kennt solche Fälle. Sie hat mit Opfern gesprochen, aber auch mit Tätern, für die gilt: Wer nicht zuschlägt, ist kein Mann. "Gewalt ist ein System und ein wichtiger Pfeiler der patriarchalen Struktur", sagt Seyran Ateş, "denn über diese Gewaltanwendung werden auch Herrschaftssysteme klar gesetzt. Die Frauen stehen unter den Männern, und die Kinder wiederum ganz unten, und der Mann ganz oben als Patriarch entscheidet darüber, was eine Frau braucht."

Regelmäßige Polizeirazzien

Natürlich entscheidet Latifes Vater auch welchen Ehemann sie braucht – einen, der dem Clan nützt. Sie selbst ist gewohnt, in die kriminellen Machenschaften der Verwandtschaft verwickelt zu werden. Sie muss Brüdern und Cousins Alibis geben, Botendienste verrichten. Regelmäßig steht die Polizei vor der Tür, es gibt Razzien und Hausdurchsuchungen. Latife Arab berichtet: "Ich hab das schon als Kind mitgekriegt, wenn Sie dieses Klappern der Stiefel hören, und Sie sehen dieses Blaulicht am Fenster. Und Sie wissen ganz genau, was gleich in Ihrer Wohnung passiert. Es war für mich die Hölle. Sie wollen rein, sie wollen gucken, hast du irgendwas, ob das jetzt Diebesgut war oder was auch immer."

Flucht aus der Familie

All das will Latife Arab, inzwischen Mutter von drei Kindern, hinter sich lassen. Will selbstbestimmt leben. Sie versucht auszubrechen, immer wieder, so schreibt sie. Zieht in ein Frauenhaus, sucht sich Jobs. Und immer wieder wird sie bedroht und kehrt dennoch zur Familie zurück. Die Frauenrechtlerin Seyran Ateş analysiert: "Die Familie erlaubt das Ausbrechen nicht, weil jeder Mensch, der in diese Familie hineingeboren wurde, Eigentum von irgendjemandem innerhalb dieser Familienstruktur ist. Sie sind Teil eines Stammesdenkens, einer Stammeskultur, nämlich eines Clans. Wenn man anders tickt in so einer Familie, dann wird man zurechtgebogen, dann muss man diesen Menschen so weit brechen, dass er sich anpasst in den Strukturen des Clans."

Resignation und Hoffnung

In ihrem Buch beschreibt Latife Arab den langen, schmerzhaften Weg, den sie gehen musste, bis die Trennung von dem ungeliebten Ehemann und der Familie vollzogen war. Ein Weg, geprägt von Phasen der Resignation und Verzweiflung: "Ich dachte mir am Ende, vielleicht macht es gar keinen Unterschied, ob sie mich umbringen oder ob ich mir das Leben nehme, damit das aufhört. Da war aber noch eine Sache, meine Kinder. Meine Mädchen." Ihre Töchter können heute in Freiheit leben. Doch der Clan ist immer präsent, schwebt über ihr wie eine unsichtbare schwarze Wolke. Was wird passieren, wenn das Buch erscheint? Dass "Latife Arab" ein Pseudonym ist, wird ihr wenig nützen. "So wie ich sie kenne, werden sie früher oder später darauf kommen. Das ist klar", so Latife Arab, "aber ich hoffe, dass ich bis dahin so viele Leute erreicht habe, dass die das lesen, damit sie wissen, wenn sie das Wort "Clan" hören, was dahintersteckt." Eine mutige Frau, die aufklären und auch anderen Mut machen möchte.

Autorin: Hilka Sinning

Buchtipp

Latife Arab: Ein Leben zählt nichts - als Frau im arabischen Clan
Eine Insiderin erzählt
Heyne, ab 13. März Preis 22,00€
ISBN: 978-3-453-21874-1

Stand: 10.03.2024 18:16 Uhr

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Produktion

Westdeutscher Rundfunk
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