So., 01.12.24 | 23:05 Uhr
Das Erste
Demokratie
Ist die Demokratie dem Untergang geweiht? Jedenfalls sinkt das Vertrauen in dieses System weltweit. Auch in Deutschland. Dabei haben drei Wissenschaftler gerade den Wirtschaftsnobelpreis bekommen, weil sie beweisen konnten, dass die Demokratie die Staatsform ist, die größtmöglichen Wohlstand für die Bürger bringen kann.
Das Gesellschaftsmodell des freien Marktes
"Würden wir dieses Gespräch 1980 führen, dann würden wir uns gegenseitig auf die Schulter klopfen und sagen: 'Hey, drei Daumen hoch für Demokratie!'", sagt Wirtschaftswissenschaftler Simon Johnson (MIT). Aber inzwischen ist die Kluft zwischen Arm und Reich in vielen demokratischen Ländern größer geworden.
"Was das ganze Chaos in den USA im Moment verursacht hat, das ist die Reagan-Revolution", sagt der Politik- und Wirtschaftswissenschaftler James A. Robinson von der University of Chicago. "Es ist die Übernahme dieses sehr simplen Gesellschaftsmodells des freien Marktes. Mrs. Thatcher hat es berühmt ausgedrückt: So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht. Es gibt Einzelpersonen und Familien. Genau dieses Modell hat all diese Ungleichheit und soziale Ausgrenzung in diesem Land geschaffen."
Steuersenkungen, Zölle, Deregulierung kommen nur wenigen zugute
Und wenn die Spaltung in einer Gesellschaft zunimmt, dann sind auch die demokratischen Institutionen in Gefahr. "Das größte Problem ist, wenn die Mitte der Gesellschaft durch Technologie und Globalisierung zerquetscht und in den Ruin getrieben wird. Dann kommen die reichen Leute mit Ideen an die Macht, die sie noch reicher machen", sagt Johnson. "Und die Mittelschicht wird noch weiter vernichtet. Da befinden wir uns in den Vereinigten Staaten. Das ist unglaublich gefährlich für die Demokratie, für den Rest der Welt, für alle."
Präsident Trump verspricht den Amerikanern Wohlstand. America first. Aber davon ist Simon Johnson nicht überzeugt: Die Steuersenkungen, die Zölle, die Massendeportationen und die Deregulierung werden nur sehr wenigen Menschen zugutekommen. Die Ungleichheit wächst. Die Wissenschaftler arbeiten empirisch, untersuchen unter anderem die Entwicklung europäischer Kolonien. Hier zeigte sich: Länder, deren Regierungen die Bevölkerung demokratisch teilhaben ließen, sind wohlhabender als Länder, in denen Eliten autoritär herrschen und Ressourcen ausbeuten.
Inklusive politische Systeme sind langfristig überlegen
"Wir wollten erklären, was der Unterschied zwischen armen und reichen Ländern ist", sagt Robinson. "Natürlich gibt es da Grauzonen. Unsere Untersuchungen zeigen, dass Länder, die die Bevölkerung teilhaben lassen, wirtschaftlich gedeihen, Rohstoffländer nicht. Messen lässt sich das anhand des Pro-Kopf-Einkommens, der Chancengleichheit, dem Gesundheits- und Bildungssystem. In all diesen Punkten zeigt sich, dass Demokratie besser ist als jede andere Staatsform."
James Robinson sagt: Inklusive politische Systeme sind solche, die Bürger am Wohlstand teilhaben lassen. Systeme, die ohne Bürgerbeteiligung nur die Rohstoffe ausbeuten, sind langfristig ökonomisch und sozial unterlegen. Ein Beispiel: Südkorea. Bis in die späten 80er Jahre eine Militärdiktatur. Große Teile der Bevölkerung sind mit der politischen und wirtschaftlichen Situation unzufrieden. Studenten fordern mehr Freiheitsrechte. Der Aufstand wird brutal niedergeschlagen. Erst in den 90er Jahren setzt sich in Südkorea die Demokratie durch.
Demokratie ist kein für die Ewigkeit gebautes Haus
"Für mich ist der Fall Südkorea sehr interessant", sagt Robinson. "Unter dem autoritären Regime hat es 15 oder 20 Jahre lang wirtschaftliche Fortschritte gegeben. Aber das wäre niemals aufrechterhalten worden, wenn Südkorea nicht den Übergang zur Demokratie vollzogen hätte. Und die Wahrheit ist, dass die wahre Explosion der Kreativität und der Inklusion in Südkorea erst nach der Schaffung der Demokratie erfolgt. Schauen Sie sich jetzt Südkorea an, und ich spreche nicht nur über Mobiltelefone und Autos. Ich spreche von K-Pop und Gangnam Style. Es ist einfach diese Explosion von Talent und Kreativität, die dann entsteht."
Mehr Demokratie wagen – fordert Willy Brandt im Jahr 1969. Erreichtes Wachstum soll gesichert werden. Demokratie ist kein für die Ewigkeit gebautes Haus, eher eine permanente Baustelle. Und eine Herausforderung in unsicheren Zeiten. "Die Turbulenzen der Welt stürzen uns auch in eine emotionale Krise", sagt die Publizistin Gabriele von Arnim. "Man erlebt den Krieg nicht mit. Aber man lebt mit dem Krieg in Gedanken. Und Krisen machen viele Menschen anfällig für die Verlockungen derer, die behaupten, die Krise bewältigen zu können."
Sind Autokraten erfolgreicher?
Starke Führer, Autokraten wie in China: Sie inszenieren sich als Gegenentwurf: Doch sind solche Herrscher erfolgreicher? "Einige Autokratien haben gute Wachstumsphasen: entweder weil sie über natürliche Ressourcen verfügen oder weil ein bestimmter Autokrat tatsächlich ziemlich gut darin war, Wirtschaftswachstum zu fördern", sagt Wirtschaftswissenschaftler Simon Johnson. "Aber es erweist sich als sehr schwer, das aufrechtzuerhalten."
Auch in China ist es zweifelhaft, ob der diktatorische Überwachungsstaat wirklich Wohlstand für die breite Masse schafft. "Wenn ein chinesischer Ökonom versucht, mir gesammelte Daten zu geben, wäre er in ernsten Schwierigkeiten", sagt Johnson. "Ohne die Daten habe ich keine Ahnung: Haben sie wirklich so viel Wohlstand geteilt wie sie behaupten?"
Menschen schaffen Wohlstand
Die wissenschaftliche Leistung von Johnson, Robinson und Acemoglu: Sie zeigen, je mehr die Bürger in demokratische Prozesse eingebunden sind, desto höher und nachhaltiger das wirtschaftliche Wachstum. Das belegen Beispiele aus den vergangenen dreihundert Jahren. "Was schafft Wohlstand? Letztlich sind es Menschen", sagt Robinson.
"Es sind die Ideen der Menschen. Es ist die Kreativität der Menschen. Es sind ihre Projekte. Es sind ihre Träume. Es ist Innovation. Es ist Unternehmertum. Wo kommt das alles her? Es kommt von Menschen und ihrem Talent. Diese Menschen sind überall in der Gesellschaft. Sie benötigen also Institutionen, die es all diesen Talenten ermöglichen an die Spitze zu kommen. Und das ist es, was integrative Gesellschaften tun, was den Fortschritt und den Wohlstand antreibt."
Das Problem sind die Demokratiedöser
"Was mich wirklich schreckt, das sind die, ich nenne sie so: Demokratiedöser", sagt Gabriele von Arnim. "Das sind die Gleichgültigen, die irgendwie sich nicht einbringen wollen und nicht begreifen, dass ." Ein starker Rechtsstaat, Institutionen, die den Bürger beteiligen, Chancengleichheit und ein Steuersystem, das auch Geringverdienern zugute kommt. Klingt total bekannt, wird aber kaum praktiziert.
"Demokratie ist immer chaotisch und die Menschen sind nicht unbedingt zufrieden", sagt Johnson. Und Robinson ergänzt: "Demokratie ist ein System, das für die Menschen am besten funktioniert. Es gibt ihnen mehr Möglichkeiten und mehr Freiheit." Sich frei entfalten, verschiedene Meinungen aushalten. Gemeinsam gestalten. Niemanden zurücklassen. Viel Arbeit für die Beste aller möglichen Staatsformen.
Buch-Tipps
Daron Acemoglu, James A. Robinson: "Why nations fail. The origins of power, prosperity and poverty”, USA, Crown Publishers 2012.
Daron Acemoglu, Simon Johnson: "Macht und Fortschritt", Campus 2023.
Daron Acemoglu, James A. Robinson: "Gleichgewicht der Macht", Fischer 2019.
Gabriele von Arnim et al:: "Demokratie. Wofür es sich zu kämpfen lohnt", Rowohlt 2024.
Autorin: Antje Harries
Stand: 01.12.2024 18:45 Uhr
Kommentare