So., 14.04.24 | 23:20 Uhr
Das Erste
Wie funktioniert Gemeinschaft? – Arbeiten von Clément Cogitore in Dessau
Er gilt als einer der weltweit aufregendsten Medienkünstler, ist vielfach preisgekrönt - und Professor an der Pariser Kunstakademie: Clément Cogitore. Seine Werke bewegen sich zwischen Kino und zeitgenössischer bildender Kunst, wobei es sich auch in den Gattungen Performance, Musik und Choreografie bedient. Dabei geht es ihm um das Zustandekommen von Gemeinschaften - und jeden Einzelnen. Er wirft in seinen meisterhaft gebauten, oft überwältigenden Arbeiten lauter Fragen auf - und verweigert Antworten. In den Werken seiner aktuellen Ausstellung am Bauhaus Dessau geht es um die physische, soziale und politische Dimension des Körpers und der Gesten: "Bodies in Sync". ttt ist zum Atelierbesuch bei Clément Cogitore vorab und beim Aufbau mit dabei.
Diese Bilder sind gemacht, um uns zu verführen. Zu clean, um wahr zu sein. Es liegt auch etwas Bedrohliches in der Luft. Der Videokünstler Clément Cogitore hat sie alle aus großen Bildarchiven ausgesucht, die v.a. für die Werbung produziert wurden. Links unten stehen noch die Archivnummern. "Das alles wurde gefilmt, um unser Verlangen zu wecken. Um z.B. etwas zu kaufen oder etwas Bestimmtes zu glauben. Jede Bewegung, jede Regung in den Gesichtern soll das bewirken", erklärt Cogitore, der auch Professor an der Pariser Kunstakademie ist. Sein Spezialgebiet ist das Spiel mit den Realitäten, die uns Filme vorgeben: "Ich will in meinen Arbeiten Momente des Zweifelns herausstellen: ist das wahr, was ich sehe? Ist es improvisiert? Wo man nicht genau weiß, ob es Fake sein soll oder bewusst inszeniert?"
Man bekommt Herzklopfen, so intensiv packt einen seine kraftvolle Arbeit, die jetzt im Bauhaus-Museum in Dessau gezeigt wird. Cogitore gelingt es eindrucksvoll, ganz Verschiedenes zu kombinieren: Die Musik: 300 Jahre alt. Eine Ballett-Oper der frühen Kolonialzeit von Jean-Philippe Rameau für den französischen Hof. Und moderner Streetdance, der mit Wucht gegen soziale Ungleichheit aufbegehrt. "Ich habe 10-15 Tänzer*innen des 'KRUMP' eingeladen", erzählt Cogitore. "Das ist eine Tanzform, die 1980 als Protestbewegung in Los Angeles entstand. Damals brachte die Armee Aufstände in Randvierteln unter Kontrolle. Und den Jugendlichen dort blieb nichts anderes als der Tanz, um Anspannung und Gewalterfahrung auszudrücken."
Der Cineast feiert die Nacht
In seinem Berliner Atelier schneidet Cogitore gerade ein Bühnenvideo fertig für die französische Cellistin Sonia Wieder-Atherton. Aufführung ist kommende Woche in der Pariser Philharmonie. Und gerade erschienen: ein Buch über Mozarts Zauberflöte, von ihm fantasiereich bebildert: "Ich habe etwas entwickelt über die Elemente Feuer, Wasser und Erde, Natur, für die Zauberflöte diese Verbindung zwischen Tag und Nacht." Die Nacht feiert der Cineast Cogitore in fast allen seinen Videos. "Die ersten Bilder, die Menschen gemacht haben, sind bei Nacht entstanden", weiß der Medienkünstler. "In den prähistorischen Höhlen, als sie die Schatten nachmalten, die das Licht ihrer Fackeln an die Höhlenwände warf. Das faszinierte mich schon immer sehr."
Statt Fackeln sind es heute Handy-Displays für Cogitore. Ausdruck des Verlangens, dass der Mensch sich nach Dingen sehnt, die größer sind als er. "2000 Menschen in einem Konzertsaal, die alle gleichzeitig dasselbe aufnehmen. Eine Menschenmenge, die im Dunklen versinkt. Und es gibt welche auf der Bühne, die im Licht stehen und sich an diejenigen wenden, die im Schatten sind. Das hat doch viel von einer Messe oder einer rituellen Zeremonie."
Im Dessauer Bauhaus-Museum gibt es noch ein weiteres Werk mit Gänsehautpotential. "Morgestraich." Der Nacht-Umzug der Basler Fasnacht. Cogitore ist im nahen Elsass aufgewachsen und hat das Spektakel selbst als Kind erlebt: "4 Uhr am Morgen, dann ist die Stadt total dunkel, und dann fängt die Musiker an. Für ein Kind ist es auch lustig, weil es ist Karneval, aber es gibt auch ein bisschen Angst."
Clément Cogitore wollte eigentlich Maler werden, aber ihm fehlt das Talent, sagt er. Was für ein Glück: seine Filme schenken uns unvergessliche Sehmomente bei Nacht.
(Beitrag: Ralf Dörwang)
Stand: 23.04.2024 14:57 Uhr
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