So., 22.09.24 | 23:30 Uhr
Das Erste
Demokratie als Auslaufmodell?
Die westlichen liberalen Demokratien werden von Krisen geschüttelt: "Ist das noch Demokratie oder kann das weg?" Diese provozierende Frage setzt die Philosophin Erica Benner auf das Cover ihres neuen Buches. Der Philosoph und frühere Politiker Julian Nida-Rümelin empfiehlt den Zeitgenossen, sich nicht wie "Ähren im Wind" dem wechselnden Zeitgeist anzupassen und warnt angesichts von Hassreden und Intoleranz vor geistigen Bürgerkriegen. "ttt" greift die Debatte auf.
"Abenteuer Demokratie"
Die Demokratie scheint ein Problem zu haben. Nicht nur in Ostdeutschland. Demokratisch gewählte Staatenlenker mutieren zu Autokraten, auch in der größten Demokratie der Welt: Indien. Ein mächtiger Mann in Amerika, als Präsident abgewählt, will es noch mal wissen. Ein aggressiver Mob mit der Demokratie Unzufriedener stürmt deren Institutionen: So war das nicht gemeint mit: Wir sind das Volk. Tapfer halten andere dagegen. Kann man nach allem über die Demokratie noch jubeln? Oder kann sie weg, wie es salopp auf dem Titel dieses neuen Buchs heißt? "Im Original heißt mein Buch 'Abenteuer Demokratie': Das klingt paradox. Wir reden ja immer gern von der Krise der Demokratie, aber ich sehe sie auch als ein interessantes Abenteuer. Ich möchte dazu anregen, den Spaß an der Demokratie wiederzufinden – statt immer gleich Panik zu schieben", erklärt Erica Benner.
Demokratie war schon immer eine Herausforderung
Erica Benner wurde in Tokio geboren, ihr Vater hatte als Befehlshaber die Atombombe auf Hiroshima mit auf den Weg gebracht und später als Besatzer dem besiegten Japan die Demokratie: Die Begeisterung für die beste Staatsform, die wir kennen, wurde ihr in die Wiege gelegt. Die Macht des Volkes – im Buch schildert Erica Benner die turbulente Geschichte der Idee: wie Menschen leidenschaftlich um sie gekämpft, die Sache aber auch immer mal wieder vermasselt haben. "Demokratie war immer schon eine Herausforderung: Schon bei den Alten Griechen, von denen wir das Wort haben, war die Praxis der Demokratie Schwerstarbeit. Die Geschichte ist voller Leute, mit denen du auf keinen Fall die Macht teilen möchtest, schon weil du nicht verstehst, warum sie so anders sind und denken als du. Aber Demokratie, das ist eben auch kreative Arbeit. Die Krise als Wendepunkt – an dem wir gemeinsam nach Lösungen suchen", so Benner.
Die Rechte profitiert vom Versagen der Politik
Probleme, ja, ohne Ende. Aber Wendepunkte, Lösungen? Krieg, Wirtschaftskrise, Klima auch in Deutschland alles getoppt vom Reizthema Migration. Ein menschenfreundliches Projekt kracht, weil man nicht zu vernünftigen Regeln dafür kommt. Futter für die menschenverachtende Propaganda der Demagogen. Vom Versagen der Politik profitiert die Rechte mit einem Kulturkampf gegen alles Undeutsche. Gegen die Demokratie. "Der Aufstieg des Rechtspopulismus – gar nicht unbedingt des Rechtsextremismus, es gibt zum Beispiel Studien, die zeigen, dass rechtsextreme Einstellungen in Deutschland nicht zugenommen haben – aber es werden rechtspopulistische Parteien oder eine rechtspopulistische Partei eben gewählt. Und die Frage ist, für was ist das ein Indiz, was läuft da schief?", fragt Julian Nida-Rümelin.
Ursache für die Legitimationskrise der Demokratie
Julian Nida-Rümelin, früher selbst Politiker, sieht in Planlosigkeit und mangelnder Wahrhaftigkeit der Politik eine wichtige Ursache für die Legitimationskrise der Demokratie. Wie soll sie bestehen, Orientierung behalten im gerade heftig von rechts wehendem Zeitgeist?"Wenn die demokratischen Kräfte in bestimmten zentralen Themen den Eindruck erwecken, sie bewältigen sie nicht – also Klimawandel, Migration, Friedenssicherung – um jetzt mal drei zu nennen. Und das hält sich über Jahrzehnte, dann entsteht zunächst ein Ressentiment", so Julian Nida-Rümelin.
Ökonomische Ungleichheit als Gefahr für die Demokratie
Demokratie hat auch etwas mit Ökonomie zu tun – damit, dass sie nicht nur Superreichen eine menschenwürdige Existenz ermöglicht. Doch dieses Versprechen ist kassiert. Wer auf der Strecke bleibt, sieht sich immer häufiger allein gelassen. "Die Ungleichheit in der Gesellschaft, nicht nur die ökonomische schadet der Demokratie massiv. Viele der Proteststimmen bei den Wahlen sind eigentlich Hilferufe von Menschen, die sich nicht gehört, nicht wahrgenommen fühlen", erklärt Erica Benner.
Auch in den USA kämpfen Demokraten um ihre Ideale
In den USA kämpfen die Demokraten erneut um ihre ruhmreichen Ideale: Freiheit, Gleichheit, Fortschritt. Weil das Werte sind, die an der Lebenswirklichkeit vieler vorbeigehen, ist dieser Kandidat noch nicht aus dem Rennen. Der Frust seiner Anhänger trägt ihn. "Der Hass, die Bereitschaft, in Wahlkämpfen auf Inhalte weitgehend zu verzichten und sich wechselseitig zu diffamieren: Im Falle der USA ist besonders auffällig, da fehlt es schon seit Jahrzehnten, lange vor Trumps Wahlerfolg 2016 an dieser zivilkulturellen Grundlage. Und wenn das erodiert, dann entstehen geistige Bürgerkriege. Und die können umschlagen in Gewalt, im schlimmsten Fall in echte Bürgerkriege. Und ich glaube, dass man das sehr ernst nehmen muss", so der Philosoph Julian Nida-Rümelin.
Neue Impulse für eine bedrohte Demokratie
Zivilkultur, das wäre das Gegenteil von Wut. Es wäre die Anerkennung der Tatsache, dass man Lügen nicht ohne Schaden für alle als Wahrheiten verkaufen kann. Es wäre gegenseitiger Respekt und die schöne, altmodische Idee, nach der aufgeklärte Bürger ihre Vernunft gebrauchen. Demokratie sei ein lebendiges Wesen, dem alle immer wieder neues Leben einhauchen müssen, schreibt Erica Benner. Leben und Zukunft aller sind bedroht: Das ruft Formen des Protests hervor, über die man streiten muss. "Für die Jungen hat der Klimawandel höchste Priorität. Sie denken laut darüber nach, wie wir diese Herausforderung angehen sollten – jeder für sich und als Gesellschaft. Not macht erfinderisch! Ihre Gedanken rütteln uns auf aus der Selbstgefälligkeit auf: Solange das Leben easy war, alles auf Hochtouren brummte, haben wir die Demokratie doch für einen Selbstläufer gehalten. Jetzt stellt die junge Generation schmerzhafte Fragen. Ihre Lösungsvorschläge gehen ans Eingemachte – aber ich bin überzeugt: Es kann nur besser werden als jetzt", erklärt Erica Benner.
Welche Zukunft hat die Demokratie?
Kreative, vor allem ernst gemeinte Bemühung um die Lösung der Probleme, Wahrhaftigkeit von Politik und Politikern, Bewusstsein von dem, was auf dem Spiel steht – damit wäre viel gewonnen. Es steht nicht überall gut um die Demokratie. Kann sie weg? Keinesfalls. "Welche Zukunft die Demokratie hat, hängt auch davon ab, wie wir uns als Menschen selber sehen. Es sind wir, die Bürgerinnen und Bürger, die entscheiden letztlich darüber. Wenn man das aufgibt, dann delegiert man Macht an irgendjemanden. Das heißt: Wir bestimmen dann nicht mehr über unser Schicksal. Und das sollte man sich sehr gut überlegen", so Julian Nida-Rümelin.
(Autor: Andreas Lueg)
Stand: 22.09.2024 18:18 Uhr
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