So., 24.03.24 | 23:35 Uhr
Das Erste
"Trophäe": Gaea Schoeters radikaler Roman
Der Weiße Blick als postkoloniale Illusion
Gent in Ostflandern – Stadt am Wasser, einst blühende europäische Handelsmetropole. Heute Universitätsstadt. Die Autorin Gaea Schoeters lebt in der Nähe von Gent.
Mit Hunter White auf Großwildjagd in Afrika
"Trophäe" heißt ihr neuer Roman. Er spielt in Afrika, im exklusiven Milieu der Großwildjäger, die sich die enormen Lizenzgebühren für den Abschuss von Wildtieren leisten können. Dem Protagonisten Hunter White, einem Finanzmanager, fehlt in seiner Trophäensammlung noch ein Nashorn.
Der Name – Hunter White – ist kein Zufall, er steht für den Blick des weißen Jägers auf den Schwarzen Kontinent. "Wir sind natürlich in postkolonialen Zeiten, aber in seinen Kopf hat sich das noch nicht geändert", erklärt die Autorin ihren Protagonisten. Er denke, Afrika, das sei eine Art Vergnügungspark, das gebe es eigentlich nur, weil er dorthin komme und ein bisschen rumjage. "Mit diesem Blick schaut er den ganzen Kontinent an."
Spannender Protagonist in einem Roman ohne Stereotype
Sein Blick ist der des Überlegenen. Er steht oben in der Hierarchie, die Einheimischen stehen unten. Gleichzeitig bewundert er deren Nähe zur Natur, ihr Geschick als Jäger. In der Dorfgemeinschaft glaubt er genau die Ursprünglichkeit zu erkennen, die er in seiner eigenen Welt vermisst.
"Hunter will weg aus dieser Welt, wo alles nur virtuell, unecht und mit Geld bezahlbar ist. Er denkt, hier könne er sich als Mann zeigen, was er sich ironischerweise auch wieder kauft. Sein Afrika ist natürlich ein Afrika, das Teil ist von diesem kapitalistischen postkolonialen Traum", erläutert Schoeters weiter.
Die Autorin zeichnet ein psychologisch höchst differenziertes Bild ihres Protagonisten. Er ist nicht einfach der unsympathische weiße Jäger mit klischeehaften Vorstellungen von Afrika. Der Roman ist frei von stereotypen Mustern. Hunter White hat eine hohe Jagd-Ethik, er schießt nur alte und schwache Tiere, trägt indirekt sogar zum Erhalt der Populationen bei. Denn aufwendiger Naturschutz lohnt sich für die Einheimischen nur, wenn die Tiere als Wirtschaftsfaktor erkannt werden:
"Wenn die keinen ökonomischen Wert, keinen finanziellen Wert haben, dann bringt es auch nichts, die zu schützen. Wenn man teure Jagdlizenzen verkaufen kann, dann macht es natürlich Sinn, diese Tiere zu schützen, weil sie plötzlich viel Geld wert sind."
Vermeintlich postkoloniale Gegenwart: "Wir schauen nicht hin"
Gaea Schoeters selbst war nie in Afrika. Beim Schreiben des Romans hatte sie Belgiens unheilvolle Geschichte im Kopf, wie sie erzählt. Die Gräueltaten, die König Leopold II. im Kongo beging. Seine Armee hielt das Land jahrzehntelang besetzt. Die einheimische Bevölkerung wurde brutal ausgebeutet, musste auf den Kautschuk-Plantagen Sklavenarbeit leisten.
"Unsere Kolonialgeschichte in Afrika lässt sich nicht wegdenken, sie ist überall im Straßenbild noch da. Wir glauben, wir befinden uns in einer postkolonialen Welt, aber eigentlich ist es noch immer so, dass wir den Reichtum aus afrikanischen Ländern wegholen, und was wir da klimamäßig verursachen, was das für Konsequenzen hat, und dass Menschen dann hierher fliehen, da schauen wir am liebsten nicht hin."
Aufklärung als Thriller: Aus Tier- wird Menschenjagd
Im Buch verläuft die Jagd anders als geplant. Wilderer schnappen dem Jäger das Nashorn weg, ausgerechnet mit Hilfe der Dorfbewohner. Hunter verliert die Kontrolle über das Geschehen, wird zum Spielball ihm unbekannter Gegebenheiten und Machenschaften. Wie im Fiebertraum erlebt er, dass die Nashorn-Jagd für ihn plötzlich zur Menschenjagd wird.
"Wir denken immer, dass unsere Art von Denken die einzige ist, und dass sie überall funktioniert und dann kommt unser Hunter in Afrika an und plötzlich wird er konfrontiert mit einer Welt, wo sie nicht mehr funktioniert."
Man kann Gaea Schoeters Roman als Aufforderung lesen, Denkmuster zu hinterfragen. Oder auch als mitreißenden Dschungel-Thriller.
Autorin: Hilka Sinning
Stand: 24.03.2024 21:25 Uhr
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