So., 24.03.24 | 23:35 Uhr
Das Erste
ICARUS oder: "The Internet of Animals"
Ein Verhaltensbiologe observiert Tiere aus dem Weltall
Darf man es eine Revolution nennen, was da, noch verdeckt von den Krisen, begonnen hat? Weltweit werden Tiere mit Sendern ausgestattet, Tiere von 1.300 Arten inzwischen. Was zu berichten ist aus ihrem Leben, wird per Satellit beobachtet und gespeichert. Die technologischen Revolutionen von Internet bis Mikrosender ermöglichen unfassbare Beobachtungen.
"Da ist ein Beschleunigungsmesser drin, Magnetometer, Gyroskop, da sind Temperatur-, Feuchtemesser, GPS natürlich, also genaueste Auflösungen", beschreibt Martin Wikelski. "Und wenn wir dieses Netz zusammenschalten im Internet der Tiere, dann haben wir ein Mess-System für Vorgänge auf dem Planeten, die wir vorher nicht mehr erahnen konnten. Und das ist unglaublich."
Big Data: Tier-Bewegungen auf der ganzen Erde
"Das Internet der Tiere" ist das Lebensprojekt von Martin Wikelski, Direktor der Abteilung für Tierwanderungen des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie und Honorarprofessor an der Universität Konstanz. Die neuen Chips registrieren geradezu jedes Stolpern von Elefant und Nashorn.
Nach 20 Jahren Vorbereitung wurde die ISS zur ersten Sammelstelle – bis zum Krieg in der Ukraine. Jetzt sammelt ein eigener Mikrosatellit die Daten ein. So lassen sich beispielsweise Erkenntnisse über die Ausbreitung von Seuchen gewinen: Wer fliegt wo und trifft wen – und überträgt welche Viren. Schwarmintelligenz der Tiere rettet Menschenleben.
Tiere als Sensoren für Epidemien, Erdbeben, Vulkane
"Wir können zum Beispiel Vogelgrippe schon sehr gut erkennen. Die Vögel bewegen sich anders, die haben andere Körpertemperatur. Oder auch die Afrikanische Schweinepest: Wir können innerhalb von drei Stunden am Ohrwackeln der Schweine feststellen, ob sie Schweinepest haben", erklärt Wikelski.
Es gibt viele Geschichten, wie Tiere vor Erdbeben "warnen". Sie zeigen ihre Nervosität, sie fliehen rechtzeitig, sie wissen mehr. Was ihren "6. Sinn" ausmacht, ist noch nicht klar, kann jetzt aber mit genauen Daten erforscht werden. Wikelski und Kollegen haben am Ätna Ziegen und andere Tiere mit Sendern ausgestattet. Die Sender zeigen, wann und wie sie sich von den gefährdeten Höhen zurückziehen. "Es ist wahrscheinlich eine Kombination aus Geruch, aus statischer Ladung der Luft, aus allen möglichen Sensoren, wo Tiere einfach sehr viel besser sind als jedes technische Gerät", führt der Forscher weiter aus.
Komplexes, weltweites System der Kommunikation
Kaum verwundern kann dann noch, dass die Vernetzung vieler Daten ebenso hilft, die Gefahren der Klimakatastrophe zu verstehen. Tierische Kundschafter, bis hin zu Schmetterlingen mit Mikrosendern, ermöglichen detaillierte Prognosen über Temperaturverläufe und Windverhältnisse von El Niño oder anderem Extremwetter. Auch hier sei es das ausgeklügelte System der Tiere präziser als jede Klimamessung, so Wikelski:
"Die Sensoren der Tiere schalten sich über Grenzen hinweg zusammen. Es könnte zum Beispiel sein, dass der Regenwurm als erster eine Veränderung des Wetters bemerkt. Dann spürt es die Amsel, die dreht durch, der Fuchs dreht durch und dann der der Hund und dann die Kuh – bis hin zu den Seevögeln im Indopazifik, die Klimaveränderungen anhand der Fischbewegungen registrieren."
Schwarmintelligenz der Tiere und KI: Revolution des Bio-Wissens
Abgesehen von der Nutzung der Daten als Frühwarnsystem kommt umfangreiches Wissen über den Alltag der Tiere zusammen, die einen riesigen Anteil des irdischen Bruttoglobalproduktes ausmachen. Auf diese Weise kommen wir ihnen näher und die Schwarmintelligenz der Tiere und die KI des Menschen zusammen erzeugen eine Revolution des Bio-Wissens. Wird sie auch eine kulturelle, von der der neue Veganismus nur ein kleiner Vorbote ist?
Martin Wikelski ist sich sicher, dass dieses Wissen unseren Blick auf die Welt verändern wird: "Ich glaube, dass das einen großen Unterschied bewirken wird, wie wir Menschen die Natur sehen. Es wird noch dauern, aber es wird kommen."
Autor: Meinhard Michael
Stand: 24.03.2024 21:28 Uhr
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