So., 24.03.24 | 23:35 Uhr
Das Erste
Omri Boehm erhält Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung
Auszeichnung für ein Plädoyer: "Radikaler Universalismus: Jenseits von Identität"
Der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ging in diesem Jahr an den deutsch-israelischen Philosophen Omri Boehm für sein Buch "Radikaler Universalismus: Jenseits von Identität".
Pro-Palästina-Parolen im Gewandhaus
Verliehen wurde die mit 20.000 Euro dotierte Auszeichnung zur feierliche Eröffnung der Leipziger Buchmesse, der Festakt im Gewandhaus wurde mehrfach von Pro-Palästina-Parolen aus dem Publikum unterbrochen.
Für den Philosophen Boehm haben Proteste bei dieser Art von Veranstaltung "durchaus eine Berechtigung", sagt er später im ttt-Gespräch. Schließlich seien unsere Debatten nicht immer universell, weil sie nicht alle Menschen mit einschließen, wie zum Beispiel die Palästinenser.
"Freie Rede unverzichtbar und nie selbstverständlich"
Auf der anderen Seite, so Böhm, seien derlei Proteste bei solchen Anlässen nicht unbedingt förderlich für die Diskussion und den Universalismus.
In seiner Dankesrede hat er Stellung bezogen: "Freie Rede und öffentliche Diskussionen sind unverzichtbar für den Universalismus. Freie Rede ist die Grundlage für die Auseinandersetzung – auch über die Ungerechtigkeit des Krieges. Aber wir dürfen sie nie, wirklich nie, für selbstverständlich halten."
Radikaler Universalismus statt "Brüderlichkeit der Privilegierten"
In seinem Buch beschreibt Omri Boehm die absolute Gleichstellung des Menschen, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, oder Nationalität. Er greift darin die Identitätspolitik sowohl der Linken als auch der Rechten an.
Und er stellt fest, dass auch die Mitte es sich zu leicht macht, wenn sie den Universalismus für sich in Anspruch nimmt als "Brüderlichkeit der Privilegierten".
Die gesellschaftliche Mitte, die mit dem Status Quo zufrieden sei, vergesse, dass der Universalismus nicht vom menschlichen Handeln getrennt werden könne und nenne das eine radikale Idee.
Nathan der Weise und die "Pflicht zur Freundschaft"
Handeln ist das eine. Boehm plädiert aber auch für die Vorstellungskraft, sein Universalismus ist metaphysisch: Die Gleichheit aller Menschen sieht er im aufklärerischen Sinne als gegeben an. Als eine über nationalen und religiösen Gesetzen stehende moralische Norm. Omri Boehm schlägt eine Brücke zwischen der Bibel und den Schriften Immanuel Kants.
Ein schöner philosophischer Gedanke, aber wie lässt er sich anwenden? Welche Lösungsansätze bietet der “radikale Universalismus” zum Beispiel im Gaza-Krieg?
Boehm findet sie im Begriff der Freundschaft. Freundschaft, wie schon Lessing sie in seinem Stück "Nathan der Weise" einfordert: "Kein Mensch muss Müssen. Aber wir müssen Freunde sein." In diesem scheinbaren Widerspruch können wir die Pflicht zur Freundschaft erkennen. Und ich glaube, diese Pflicht kann Feindschaft überwinden."
Dialektik des Krieges: "Es gibt auf beiden Seiten Opfer und Täter"
Im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, so Boehm, bedeute Freundschaft, sich auch unbequemen Wahrheiten zu stellen: Beide Seiten sind nicht nur Opfer, sondern auch Täter:
"Keiner meiner palästinensischen Freunde in Israel könnte mir ins Gesicht sehen und behaupten, das Massaker vom 7. Oktober sei die Art wie Palästinenser für Freiheit kämpfen. Dieses Massaker ist eine Entwertung der Idee von Freiheit. Es ist erniedrigend. Und kein Israeli kann behaupten, der 7. Oktober habe keine Vorgeschichte. Wir kennen unsere Geschichte. Das anzuerkennen, das ist die Voraussetzung von Freundschaft. Aber es ist nicht einfach."
Wie nun friedlich zusammenleben?
Lessings Ringparabel, die Freundschaft zwischen Christen, Juden und Muslimen, sie war schon immer eine Utopie. Wer kann angesichts der jetzigen Lage noch an ein friedliches Zusammenleben glauben?
Omri Boehm glaubt an die Freundschaft, die Feindschaft überwinde: "Auch wenn es kitschig klingt, zu rosig, aber es sind meine Freundschaften mit Palästinensern, die mir Hoffnung geben. Sie sind wahrhaftig, sie sind kein leeres Konzept. Sie verlangen etwas von beiden Seiten. Und ich glaube, dass sie im besten Falle eine politische Keimzelle des Widerstands gegen die jetzige Situation sein könnten. Allerdings, ich muss zugeben: Es ist eine kleine Hoffnung und die Alternative dazu ist entsetzlich."
Autorin: Petra Böhm
Stand: 24.03.2024 21:13 Uhr
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