So., 07.07.24 | 23:50 Uhr
Das Erste
Ende einer Kulturnation? - Frankreich und die Macht der Rechtsextremen
Paris, vor einer Woche. Nach dem Erfolg der Rechtsextremen beim ersten Wahlgang gehen Tausende auf die Straße. Wie es ausgeht, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher. Klar ist: Frankreich steht vor einer Wende. Spätestens seit der Rassemblement National in der ersten Runde der vorgezogenen Parlamentswahl stärkste Kraft wurde, fürchtet die französische Kulturszene eine radikale Veränderung der Machtverhältnisse. Die französische Schriftstellerin Cécile Wajsbrot blickt momentan von Berlin auf ihre Heimat. Sie lebt im Wechsel hier und in Paris, kann aus beruflichen Gründen gerade nicht vor Ort sein: "Ich erlebe es mit Angst, mit Traurigkeit. Ich wollte eigentlich extra dafür nach Paris zurückkehren. Ich hatte dieses Bild bei einer sterbenden Person zu sein, um sie zum letzten Mal zu sehen.“
Abschied vom liberalen Frankreich?
Viele geben Präsident Macron die Schuld. Er habe seine Wähler enttäuscht - und sie so an den rechten UND den linken Rand gedrängt. Doch das Land sei schon vorher gespalten gewesen, sagt Cécile Wajsbrot. Seit einigen Jahren fällt ihr auf, wie rau der Ton in Frankreich geworden ist. "Die Spannung kann man schon seit Jahren fühlen und die Gewalt auch in der Sprache, in den Reden, in dem Diskurs", meint die 70-Jährige. "Diese Spannung, die es in der Gesellschaft gab, und dass auch zwischen Freunden und Freundinnen der Austausch, wenn die Meinung unterschiedlich, ziemlich schwierig war."
Mangelndes Verständnis für die Sorgen und Nöte der Anderen - besonders den Linken und Intellektuellen im Lande müsse man das vorwerfen, heißt es jetzt. Dass Le Pen und ihre Partei mit einfachen Wahrheiten bei den Wählern punkten konnten, liege auch daran, dass viele sich von den Eliten missachtet fühlten. "Insofern sind wir alle schuld daran, also die Politiker, alle, wir haben alle eine Verantwortung. Und die Kulturszene hat auch eine Verantwortung."
Wajsbrots Dystopie einer rechten Gesellschaft
Als Schriftstellerin beschäftigt sich Wajsbrot, die aus einer polnisch-jüdischen Familie stammt, viel mit der Frage, wie man aus der Geschichte lernen kann - oder auch nicht: In ihrem Roman "Zerstörung" von 2019 beschrieb sie eine Gesellschaft, die Erinnerung systematisch löscht, und in eine Diktatur abdriftet. "Das ist ein, oder war damals noch, ein dystopischer Roman. Wo eine Diktatur in Frankreich herrscht", erklärt die Autorin. "Und das war mir wichtig, zu sagen, es ist möglich, dass es in Frankreich eine solche Situation gibt. Die Gegenwart des Romans wäre unsere Zukunft, oder hoffentlich nicht unsere Zukunft." Ein Frankreich in der Hand der Rechtsnationalen – ein Albtraum für Cécile Wajsbrot. Sich von ihrer Heimat abwenden will sie trotz allem nicht. Zumal ihr auch die politische Entwicklung in Deutschland Sorgen bereitet: "Als ich Berlin 1995 entdeckt habe, hab ich auch bewundert, diese Erinnerungspolitik, wie man sagt. Und ja inzwischen ist die AfD stärker geworden. Und ich weiß nicht, so manchmal sage ich mir, vielleicht auf dem Mond könnte man etwas versuchen."
(Beitrag: Yasemin Ergin)
Stand: 07.07.2024 18:46 Uhr
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