So., 07.07.24 | 23:50 Uhr
Das Erste
Liebe unter Druck: der iranische Film "Ein kleines Stück vom Kuchen"
Ein Nachmittag unter Freundinnen. Die 70 Jahre alte Witwe Mahin hat zum Essen geladen. Das Gespräch dreht sich um: Männer. Mahin lässt der Gedanke nicht mehr los. Sie ist einsam, seit ihr Mann verstorben ist und ihre Kinder das Land verlassen haben. Die Seniorin begibt sich auf Partnersuche. Ein ungewöhnliches Thema für einen Film - umso mehr, wenn dieser im Iran spielt. Regisseurin Maryam Moghaddam erklärt, warum das Thema Einsamkeit in ihrem Film so zentral ist: "Einsamer zu sein, als man es gewohnt ist, sich immer mehr Fragen über das Leben und den Tod zu stellen, sich nach Dingen zu sehnen, die einem verwehrt werden, weil man alt ist – das sind einerseits universale Themen. Andererseits müssen iranische Frauen deutlich härter für ein normales Leben kämpfen als Frauen anderswo. Wir kämpfen täglich, damit wir einfach nur wir selbst sein können. Das ist nichts Großes, Politisches: einfach nur wir selbst sein."
Vom Mut iranischer Frauen
"Ein kleines Stück vom Kuchen" erzählt beiläufig und ohne Pathos vom allgegenwärtigen Mut der iranischen Frauen.
Während Mahin durch die Stadt zieht, wird sie immer wieder mit den Realitäten ihres Landes konfrontiert. Als sie mitbekommt, wie die Sittenpolizei eine junge Frau festnimmt, greift sie ein. Sie stellt sich dem Polizisten entgegen, wird aber weggeschubst und bleibt zurück als das Auto mit der jungen Frau abfährt. "Ein kleines Stück vom Kuchen" erzählt beiläufig und ohne Pathos vom allgegenwärtigen Mut iranischer Frauen. Regisseur Behtash Sanaeeha hält die Frauen im Iran für maßgeblich, um im Land etwas zu verändern: "Nach 45 Jahren der Einschränkungen und Verbote im Privaten und im Öffentlichen haben die iranischen Frauen sich entschlossen, für Wandel zu kämpfen - sie bewegen etwas."
In einem Restaurant für Rentner entdeckt Mahin den Taxifahrer Fahramarz, der genauso einsam zu sein scheint wie sie selbst. Sie heftet sich an seine Fersen – und merkt schnell, dass sie ihm vertrauen kann. Denn im Iran sind selbst kleinste Details oftmals hochpolitisch und verraten viel über einen Menschen. "Wir im Iran erkennen sofort, ob jemand zu den Konservativen gehört - oder auf unserer Seite steht", erklärt Moghaddam. "Wir merken es am Aussehen, an den Gesprächsthemen. Fahramarz erzählt zum Beispiel, dass er den Krieg schlecht findet und dass er früher oft Musik gespielt hat, trotz des Verbots. Das reicht Mahin, um zu erkennen, dass sie ähnlich ticken."
Filmteam trotzt dem Regime
Mahin lädt ihre neue Flamme zu sich ein. Die beiden trinken verbotenen Wein, flirten hemmungslos und kommen sich schnell näher. Eine rasante Liebesgeschichte, überaus charmant und witzig erzählt. Doch was im Film so leicht und positiv wirkt, war für das Filmteam hochriskant – und überschattet von den Ereignissen im Land. Kurz nach Beginn der Dreharbeiten starb Jina Mahsa Amini nach ihrer Festnahme durch die Sittenpolizei. Ihr Tod löste wütende Proteste aus, die vom Regime brutal zurückgeschlagen wurden. Auch für das Filmteam wurde es immer gefährlicher. Sie drehten trotzdem heimlich weiter.
"Wir waren traurig, wütend, geschockt - und wussten erst nicht, wie wir weitermachen sollen", berichtet Sanaeeha. "Doch dann setzten wir uns zusammen und erinnerten uns gegenseitig daran, dass wir einen Film machen, der von den gleichen Themen handelt wie die Proteste: Ein Film über Frauen, Leben und Freiheit. Also beschlossen wir, dass es unsere Pflicht als Filmemacher ist, den Film fertigzustellen."
Der Film feiert die Liebe und das Leben
So entstand allen Repressalien zum Trotz ein wunderbarer Film - mit dramatischen Wendungen, die hier nicht verraten werden sollen. Gegen das Regie-Duo läuft ein Verfahren. Sie dürfen das Land nicht verlassen. Ihr Film aber hat es in die Welt hinaus geschafft. Er verstößt gegen alles, was dem iranischen Regime heilig ist – und feiert dabei das Leben und die Liebe. Eine zarte und humorvolle Liebesgeschichte, die es in sich hat. Sie zeigt den normalen Alltag iranischer Frauen ohne Hijab hinter verschlossenen Türen im Iran, einem Land, das Frauen unterdrückt, Menschenrechte verletzt und Freiheit beschneidet.
(Beitrag: Yasemin Ergin)
Stand: 07.07.2024 18:46 Uhr
Kommentare