So., 07.07.24 | 23:50 Uhr
Das Erste
"Die gefährlichste Frau der Welt": die Künstlerin Selma Selman in der SCHIRN Kunsthalle Frankfurt
Diese Frau ist wütend. "Ihr habt keine Ahnung", schreit Selma Selman mit Kraft in englischer Sprache ins Publikum. Und so heißt auch die Performance zur Eröffnung ihrer Ausstellung in der Frankfurter Schirn.
Zwei Tage später beim Interview ist ihre Stimme immer noch angegriffen. Aber das gehört für sie dazu, Wut ist ein zentraler Aspekt ihrer Kunst. In der Performance drückt sie diese unmissverständlich aus. "Es ist eine Erleichterung, danach fühlst du dich besser", berichtet die 33-Jährige. "Deine Stimme wird gehört, es wird wahrgenommen, dass du etwas zu sagen hast. Und du wirst zu einer besseren Version deiner selbst, wenn du die Wahrheit sagst – mit Wut."
Selman ist damit berühmt geworden, mit Hammer und Flex alles Mögliche zu zerlegen. Wenn sie auf Staubsauger oder Waschmaschinen eindrischt, nennt sie es "Selbstporträt". 1991 in Bihac in Bosnien geboren stammt sie aus einer Roma Familie. Sie hat in New York und Amsterdam studiert, unzählige Preise gewonnen und stellt international aus.
"Die gefährlichste Frau der Welt" steht für ihre Familie ein
Ihre große Einzelausstellung trägt den Titel 'Flowers of life'. Mehrschalengreifer vom Schrottplatz verwandelt sie in Blumen. Und die duften sogar, dafür hat sie extra ein Parfüm kreiert, das nach Motorenöl riecht. Für mich war das sehr wichtig, dass ich hier noch eine andere Arbeit präsentiere, die nicht sichtbar ist. Und wenn man den Geruch wahrnimmt ist es noch mal selbst wie ein Kunstwerk.‘
In der Kunstwelt wird sie oft "gefährlichste Frau der Welt" genannt, warum das denn? "Vielleicht, weil ich laut bin, weil ich einfach viel weiß, weil ich eine sehr gute Ausbildung habe und weil ich den Menschen so viel zu sagen habe. Damit wird man zu einer Gefahr für die Gesellschaft," erklärt Selman. In ihrer Kunst geht es um Verwertung und Verwandlung. Ihre Familie in Bosnien lebt davon, Schrott zu sammeln, Autos und Maschinen auszuschlachten. Selma Selman hat mit Wissenschaftlern ein ungiftiges Verfahren entwickelt, um aus dem Altmetall oder dem Computerschrott, seltene Erden und Gold zu extrahieren, daraus hat sie eine Axt und einen Nagel gemacht. Sie verwandelt die harte, schmutzige Arbeit ihrer Familie in eine Kunstperformance: "Für mich ist das ein ganz wichtiger Teil meiner Arbeit, ich vertraue ihnen vollkommen und es ist so schön für mich mit meinem Vater und meinen Brüder zusammenzuarbeiten. Da fühle ich mich am besten beraten", erzählt Selman.
Kunst für die Emanzipation
Eines ihrer Videos zeigt, wie ihre Mutter zum ersten Mal in ihrem Leben im Meer badet. Aus ihrer Herkunft, der Geschichte ihrer Familie macht Selma Selman Kunst. Die Mutter hatte nie ein eigenes Zimmer, bis Selma Selman ihr einen "Pink Room" gestaltete. "Mit meiner Mutter zusammen zu arbeiten mache ich nicht nur, weil sie meine Mutter ist", erklärt die Künstlerinn, "sondern weil sie all diese Frauen repräsentiert, die für ihre Emanzipation kämpfen." Ein starkes Bild der Selbstermächtigung - und gegen Unterdrückung und Ausgrenzung. "Auch gerade jetzt erleben Roma sehr viel Diskriminierung, vor allem Roma Frauen. Ich hoffe, dass sich das ändern wird und dass die Menschen sie akzeptieren werden. Das Wichtigste ist, dass die anderen verstehen müssen, dass nicht die Roma das Problem sind." Der Film ‚Crossing the Blue Bridge‘ entstand aus den Erzählungen ihrer Mutter. Sie musste im Bosnien-Krieg immer wieder eine mit Leichen übersäte Brücke überqueren, weil die Familie Essen brauchte vom Markt. Mit dem Kind an der Hand, dem sie die Augen zuhielt. "Es geht hier nicht um Krieg, es geht um Widerstand und um all diese Frauen, die ähnliches erleben. Wie du als Mutter deine Kinder beschützt. Der Film ist eine Hommage an Mütter, die Heldinnen sind."
Selma Selman verleiht denen, die wenig gehört werden, eine Stimme. Hintersinnig, kraftvoll und berührend.
(Beitrag: Bettina Lehnert)
Stand: 07.07.2024 18:46 Uhr
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