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Schutz vor Antisemitismus oder Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit? - Eine neue Resolution des Bundestags

Ende der Meinungsfreiheit? | Video verfügbar bis 02.02.2026 | Bild: NDR
Maria-Sibylla Lotter im Interview
Prof. Maria-Sibylla Lotter sieht die neue Resolution kritisch. | Bild: NDR

Der vergangene Mittwoch im Bundestag war ein turbulenter Debattentag. Nach der Hauruck-Aktion von Friedrich Merz zur Flüchtlingspolitik nahmen die Abgeordneten am Abend auch noch eine parteiübergreifende Resolution zur Bekämpfung von Antisemitismus an Schulen und Hochschulen an. Der Antrag enthält konkrete Handlungsvorschläge - doch Kritiker sehen darin einen Eingriff in die Freiheit der Hochschulen. Die Philosophin Maria-Sibylla Lotter warnt vor politischen Einflussnahmen: "So ein Druck von politischer Seite kann dazu führen, dass unter dem Vorwand, dringlich etwas gegen Antisemitismus tun zu müssen, wichtige, kontroverse Vorträge abgesagt werden. Damit würde genau das verhindert, was an Hochschulen stattfinden sollte: Auseinandersetzungen über strittige Fragen."

Pro-palästinensische Proteste: Zwischen Meinungsfreiheit und Antisemitismus

Pro-palästinensische Proteste an deutschen Hochschulen: eine Reaktion auf den Krieg zwischen Israel und der Hamas und seine Folgen.
Pro-palästinensische Proteste an deutschen Hochschulen: eine Reaktion auf den Krieg zwischen Israel und der Hamas und seine Folgen. | Bild: NDR

Unstrittig ist: Deutschland hat ein Antisemitismus-Problem. Jüdische Studierende berichten, dass sie Angst haben, ihren Davidstern offen an den Universitäten zu tragen. Das darf nicht sein. Strittig sind hingegen pro-palästinensische Proteste an deutschen Hochschulen - eine Reaktion auf den Krieg zwischen Israel und der Hamas und seine Folgen. Wo verläuft die Grenze zwischen legitimer Israelkritik und antisemitischer Hetze? Und darf der Staat hier eingreifen? Daniela Ludwig von der CDU/CSU-Fraktion, die an der Resolution maßgeblich mitgearbeitet hat, verteidigt den Antrag: "Es ist ein Rückenstärken für die Hochschulleitungen, die bereit sind, sich entgegenzustellen. Die auch bereit sind, ihr Hausrecht auszuschöpfen und Studierende, die antisemitisch auftreten, vom Unibetrieb auszuschließen.“

Exmatrikulation als Maßnahme?

Walter Rosenthal im Interview.
Walter Rosenthal hält Maßnahmen gegen Judenfeindlichkeit an den Universitäten für notwendig, sieht die Resolution jedoch kritisch. | Bild: NDR

Tatsächlich sieht die Resolution vor, dass Studierende in besonders schweren Fällen exmatrikuliert werden können. Doch rechtlich ist das gar nicht so einfach umzusetzen. Walter Rosenthal, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, erklärt: "Das ist der Ruf nach Taten, die sofort umsetzbar sind - aber die Exmatrikulation ist das nicht. Sie ist nicht überall möglich. In Berlin wurde sie jetzt wieder ermöglicht, aber sie ist das Ende einer langen Prozesskette. Das dauert Monate. Nirgendwo in Deutschland kann man sagen: Du bist jetzt exmatrikuliert.“ Rosenthal hält Maßnahmen gegen Judenfeindlichkeit an den Universitäten für notwendig, sieht die Resolution jedoch kritisch: "Die Hochschulen müssen autonom entscheiden, wie sie mit Antisemitismusvorfällen umgehen. Das ist nicht Aufgabe der Politik."

Drohen Einschränkungen für Israelkritiker?

Daniela Ludwig von der CDU/CSU-Fraktion im Interview
Daniela Ludwig von der CDU/CSU-Fraktion, die an der Resolution maßgeblich mitgearbeitet hat, verteidigt den Antrag. | Bild: NDR

Besonders umstritten ist ein Satz in dem Antrag: "Es besteht Konsens, dass wissenschaftliche Exzellenz und Antisemitismus einander ausschließen." Kritiker befürchten, dass dies Forschende, die sich kritisch zu Israels Kriegsführung äußern, in Schwierigkeiten bringen könnte - etwa bei der Förderung ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Daniela Ludwig betont, dass auch die Wissenschaftsfreiheit nicht grenzenlos sei: "Ja, sie ist ein Grundrecht, aber jedes Grundrecht hat Schranken - immer die Schranke der Würde des Menschen, wie in Artikel 1 des Grundgesetzes." Walter Rosenthal hält dagegen: "Wir möchten Wert darauf legen, dass alle Forschungsförderung rein wissenschaftlich bewertet wird. Die Gesinnung des Antragstellenden darf keine Rolle spielen. Wenn Antisemitismus das Ziel einer Forschung ist, dann ist das keine gute wissenschaftliche Praxis und wird natürlich abgelehnt."

Sind Schulen und Hochschulen "Brennpunkte" des Antisemitismus?

Studierende protestieren vor einer Hochschule.
Wie verbreitet ist Antisemitismus an deutschen Hochschulen? | Bild: NDR

Unbestritten ist, dass jüdische Studierende Anfeindungen erleben und sich bedroht fühlen. Doch stellt sich die Frage: Sind Schulen und Hochschulen wirklich die "Brennpunkte" des Antisemitismus, wie es die Resolution nahelegt? Maria Sibylla Lotter hält diese Darstellung für überzogen: "Es ist vollkommen klar, dass wir über Rassismus und Antisemitismus sprechen und ein Problembewusstsein entwickeln müssen. Aber wenn man aus einzelnen Vorfällen ein riesiges, flächendeckendes Antisemitismusproblem macht, erscheint mir das unrealistisch und kontraproduktiv." Auch Walter Rosenthal warnt vor überzogenen Erwartungen an die Hochschulen: "Die Politik erwartet, dass Antisemitismus a priori nicht zugelassen wird. Aber das ist an den Hochschulen nicht so einfach möglich."

Aber es muss möglich sein, dass Hochschulen Orte bleiben für freie Forschung und offene Diskussionen auch ohne Eingriff der Politik. 

(Beitrag: Ralf Dörwan)

Stand: 02.02.2025 18:21 Uhr

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