So., 25.08.24 | 23:20 Uhr
Das Erste
Schicksalswahl im Osten? – Versuch einer Bestandsaufnahme
Angesichts der anstehenden Wahlen in Teilen Ostdeutschlands mit einem möglichen Sieg der Rechts- und Linkspopulisten wird viel diskutiert – und Ursachenforschung betrieben, noch bevor die Wahlen in drei Bundesländern stattgefunden haben.
Dabei hatte alles so schön angefangen - der Osten hatte die Freiheit errungen. Das ganze Volk war für die Demokratie aufgestanden, hatte gekämpft. Der ganze Osten? Nein, nur eine Minderheit von Oppositionellen wollte das, sagt einer, der damals dabei war. In seinem Buch "Freiheitsschock" konstatiert Ilko-Sascha Kowalczuk: vielen ging es eher um freie Fahrt als Freiheit. "Diese Mehrheit wollte nicht vor allen Dingen Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, sondern sie hatten am Ende die Faxen dicke vom Trabi und wollten im Mercedes oder VW durch die Gegend gondeln“, sagt der Historiker. "Und das macht einen großen Unterschied auch in der Frage: Wie bringe ich mich eigentlich in Zukunft in dieses System ein? Und dann muss man ganz klar feststellen: Ein Großteil der Ostdeutschen erwartet vom Staat weitaus mehr, als ein liberaler Staat zu leisten in der Lage ist. Sie erwarten nämlich alles von ihm. Sie sagen nicht ich, sondern sie sagen: Du, du! Du musst machen. Und das ist gewissermaßen der Anknüpfungspunkt für AfD und BSW."
Überließen die großen Parteien den Extremisten das Feld?
Die populistischen Parteien suggerieren einfache Lösungen und eine einheitliche Gesellschaft. Durchgesetzt, so Kowalczuk, von autoritären Figuren. Gegen das, was sie "System" schimpfen - die parlamentarische Demokratie. Einfache Lösungen bietet etwa Sarah Wagenknecht, wenn sie postuliert: "Wir brauchen einen Neubeginn, der unkontrollierte Migration stoppt und Frieden sichert."
Die Schriftstellerin Anne Rabe wirft vor der Analyse wichtige Fragen auf: "Wo kommen wir eigentlich her? Wer sind wir? Was hat uns so gemacht, wie wir sind? Und wo wollen wir hin?" Sie begründet den Erfolg der Populisten auch mit verpasster Aufarbeitung und Versäumnissen: "Man hat unterschätzt, dass Zivilgesellschaft nicht von allein entsteht, also gerade mit der Prägung aus dem Osten mit dieser durch und durch staats-getragenen Organisation des Lebens. Da dachte man: Ach, das kommt von alleine. Das war ein Versäumnis der großen Parteien. Da waren die Rechtsextremen sehr viel gewiefter und haben solche Räume viel schneller besetzt. Und eine Folge dessen sehen wir jetzt."
Anwachsender Rechtspopulismus ist ein gesamtdeutsches Phänomen
Der böse Westen, wie ihn das DDR-Fernsehen zeigte: Chaos und Ausbeutung. Vorstellungen, die mit den Umwälzungen nach 1989 zurückkamen. Junge und kreative Menschen verließen damals den Osten. Alte Gewissheiten und viel Infrastruktur verschwanden. Angehäufte Verluste, die Populisten immer nutzen, wenn sich zu vieles zu schnell ändert. Das gilt auch für den Westen, wie der Frankfurter Politologe Thomas Biebricher sagt: "Wenn man sich anguckt, wie die Zahlen in Hessen und in Bayern bei den Landtagswahlen für die AfD ausgefallen sind, ist es ja nicht so, dass man sagen kann, dass es ein ostdeutsches Phänomen wäre. Und dadurch, dass die AfD so starke Werte hat und auch bei den Wahlen so viele Stimmen erhält, kriegt der Osten eine ganz andere Wahrnehmung, die er ansonsten nicht hätte."
Die Sehnsucht nach einfachen Lösungen
Wurden die Ostdeutschen übersehen, in ihren Bedürfnissen nicht ernst genommen? Für manche aus dem Westen sind sie ein jammerndes Anhängsel, auf der Suche nach der verlorenen Identität. Zurzeit offenbart sich eine breite Ost-Wut auf einen dominanten Westen. Und eine Wut auf die da oben, die keine Sofortlösungen haben, auf immer mehr, oft massive globale Veränderungen. "In Ostdeutschland wird diese aktuelle Transformationserfahrung überlagert von einer bereits erfolgten Transformation, die viele an den Rand dessen brachte, was sie aushalten können“, meint Kowalczuk. "Und das passiert innerhalb von einer Erwerbsbiografie, und das ist sozusagen eine doppelte Überforderung und lässt viele Leute verzweifeln und lässt viele Leute vor allen Dingen nach radikalen, einfachen Antworten suchen.“ Einfach heißt vor allem: wie früher.
Demokratie fordert Kompromisfähigkeit
Die Schule werde entideologisiert werden, warnt Höcke. Und dämonisiert, wer nicht klassisch lebt. Ein roter Faden? Die Wut auf den Andersartigen, der Schuld an der eigenen Misere haben soll, der weg muss, wird kanalisiert. Freiheit für Minderheiten? Populisten wollen eine homogene Volksmasse. "Die Frage ist, ob man eine Wut hat, die konstruktiv ist, die dann was erreichen will, die nach vorne gehen will und was verbessern will. Oder ob man eine Wut hat, die nur zerstörerisch ist“, sagt Anne Rabe. "Und im Moment sehe ich eben gerade im Osten eine Wut, die wirklich zerstören will."
Viele stehen bei diesen Wahlen auf, für Minderheiten, für eine freiheitliche Demokratie. Ein umkämpfter Wahlkampf. Denn die Populisten könnten diese von ihnen verachtete Demokratie zum Kippen bringen. "In einer demokratischen Gesellschaft werden Kompromisse ausgehandelt", erklärt Kowalczuk. "Und dann muss jeder sozusagen auch klein beigeben. Das, was Extremisten wollen, ist eine Konsensgesellschaft, eine homogenisierte Gesellschaft, ohne auf der Suche nach Kompromissen zu sein."
(Beitrag: Thorsten Mack)
Stand: 26.08.2024 10:49 Uhr
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