So., 07.04.24 | 23:05 Uhr
Das Erste
"Irdische Verse"
Die mutige Satire zweier iranischer Filmemacher über die Absurdität der Bürokratie im Gottesstaat
Kulturkampf auf dem Standesamt. Der Sohn soll David heißen.
"Sie leben im Iran und geben Ihrem Sohn einen westlichen Namen?"
"Ja."
"Das wäre ja gerade so, als wenn ein Europäer seinem Kind einen iranischen Namen gibt. Das macht man doch nicht."
"Wissen Sie, meiner Frau gefällt aber dieser Name."
"Der Name gefällt Ihrer Frau. Das ist doch kein ausreichender Grund", heißt es in einem Ausschnitt aus dem Film "Irdische Verse".
"Die Welt, in der wir leben, das ist nicht die Zeit für Kino. Es ist die Zeit um Zeugnis abzulegen. Schau dich um: Die Welt brennt an jeder Ecke", so der Regisseur Alireza Khatami.
In Teheran ist das Leben durchbürokratisiert. In die Schule gehen, Autofahren, sich auf einen Job bewerben, einen Hund haben, nichts geht hier ohne einem Beamten gegenüberzutreten. Kontrollzwang und Überwachungssucht greifen in das Leben von 9 Menschen ein.
"Die meisten Leute, die für das Regime arbeiten, haben alle iPhones oder Samsung und dann reden die über westlichen Einfluss. Sie wollen den westlichen Einfluss stoppen und benutzen dafür iPhones. Schon seit der Industriellen Revolution gibt est, quasi kein Fleckchen Erde mehr, in das die westliche Kultur nicht vorgedrungen wäre. Wenn es um das Eindringen in die Privatsphäre geht, kopiert das iranische Regime bis ins Detail die westlichen Vorbilder, vom Abhören der Telefone über das Sammeln von Daten ihrer Bürger bis hin zur Installation von Kameras in jeder Ecke. Sie haben das nicht erfunden. Das ist ein westliches Werkzeug, das sie übernommen haben. Das iranische Regime ist sozusagen das westlichste Regime überhaupt", sagt Alireza Khatami.
"Sie geben mir die Drehgenehmigung damit also nicht?"
"Haben Sie mich denn nicht gehört?"
"Ich bekomme also keine Dreherlaubnis."
"So hören Sie doch! Hören Sie mir zu?", heißt es in einem anderen Ausschnitt aus dem Film.
Ein Regisseur im Büro des Zensors:
"Der Vater schlägt die Mutter nicht mehr… Die Mutter muss nicht ins Krankenhaus… Sie stirbt also nicht. Und niemand wird mehr ermordet in meinem Drehbuch."
"Sehr gut! Ein kleines Problem gibt es aber noch: Der Polizist wird sehr negativ dargestellt", heißt es in einer anderen Szene aus "Irdische Verse".
"Genau so ein Gespräch hatte ich als ich eine Drehgenehmigung für einen anderen Film beantragen wollte", erzählt der Regisseur Alireza Khatami. "Als ich hinterher Ali davon erzählte, sagte er: 'Das ist so lustig und so absurd. Das ist wie in einem Film.' Er sagte immer wieder: 'Das ist wie im Film.' Und wenn es wie im Film ist, dann muss es ein Film sein."
"Irdische Verse" feierte erfolgreich Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes. Bei seiner Rückkehr in den Iran wurde Regisseur Ali Asgari bereits erwartet.
"Sie nahmen mir meinen Reisepass und meine persönlichen Gegenstände ab. Ich durfte acht Monate lang nicht reisen. Sowas gehört zum Job, wenn du dich darauf einlässt, diese schwierige Aufgabe zu übernehmen. Man muss damit rechnen. Gerade ist es für mich wieder besser geworden. Bis zum nächsten Film, versteht sich", sagt Ali Asgari.
Selena braucht für die Schule ein anderes Outfit. Dazu ein weiterer Ausschnitt aus dem Film:
"Sie müssen entweder grau oder dieses dunkelblau hier nehmen. Nur der Schleier sollte etwas heller sein."
"Sie mag aber lieber fröhliche Farben. Rot, gelb, grün… Nicht sowas tristes…"
"Nein, also ein roter Schleier geht überhaupt nicht. Aber Sie dürfen ein rotes Kopfband am Schleier befestigen, wenn Sie gerne etwas Farbe hätten."
"Nein, nun schau mal, wie hübsch Du aussiehst. Ist doch hübsch?"
"Wenn du’s so hübsch findest, warum trägt’s du’s nicht?"
"Meine Generation war die für Reformen und Verhandlungen. Der neuen Generation geht es um Widerstand und Aufbegehren. Wenn diese großartige Gruppe von Menschen keinen Weg findet, sich auszudrücken und das zu bekommen, was sie will, oder wenigstens das Mindeste, was sie verdienen: dann könnte es sein, dass uns dunkle Zeiten bevorstehen", sagt Alireza Khatami.
"Das ist der Wasserhahn… Zeig’ es mir."–
"Ja."
So eine weitere Szene aus dem Film.
In einem anderen Ausschnitt bewirbt sich ein Mann für einen Job:
"Im Sitzen? Machst du die Waschung immer im Sitzen?"
"Ich wasche zuerst meine Hände…"
"Nicht erklären, ich weiß, wie’s geht. Ich will´s nur sehen."
"Die Grundidee des Films basiert auf einer persischen Poesie-Technik, die 'Debatte' genannt wird, in der zwei Charaktere über etwas sehr Wichtiges, etwas Politisches oder Soziales diskutieren und einer fragt und der andere antwortet. Das geht meist so, dass der eine eine sehr dumme Frage stellt. Und der andere clever antwortet" erzählt Ali Asgari.
Ein Verhör wegen Fahren ohne Schleier. Ein Ausschnitt aus dem Film:
"Ist das Ihr Fahrzeug?"
"Ja, ja, ist es."
"Gut. Und die Fahrerin, die hier am Steuer sitzt, trägt die eine Kopfbedeckung?"
"Das ist keine Frau, sondern mein Bruder."
"Das dort ist Ihr Bruder?"
"Ja, er hat lange Haare, wie ne‘ Frau halt."
"In Ihrer Familie ist es also verkehrt. Sie rasieren Ihre Haare und er lässt sie wachsen."
"Ist das denn strafbar, die Haarlänge?"
"Zu gegebener Zeit könnte es das sein."
"Wir befinden uns in einer Zeit, in der wir Widerstand leisten müssen. Auch beim Filme machen. Das ist für mich eine Form von Widerstand", sagt Regisseur Ali Asgari.
"Bei jeder Verhandlung eines Individuums mit einem Machtsystem geht es immer im Kern um Widerstand", so Alireza Khatami.
Ein humorvoller Film über die Absurditäten des iranischen Alltags. Erzählt in kluger Allgemeingültigkeit. Als könnte es um irgendeine Bürokratie auf der Welt gehen. Am Ende ist es ein mutiges Zeugnis über den Unrechtsstaat Iran – und den alltäglichen Widerstand gegen ihn.
Beitrag: Andreas Krieger
Stand: 07.04.2024 20:00 Uhr
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