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Kollwitz – jenseits von Schönheit

Die unbequeme und unangepasste Künstlerin Käthe Kollwitz

Die unbequeme Käthe Kollwitz | Video verfügbar bis 07.04.2025 | Bild: hr

Jung, alt, faltig, nachdenklich, fordernd. Viele Frauen mit einem Gesicht, als würde das eine für alle stehen. Es ist ihr Gesicht : Käthe Kollwitz studiert sich selbst.

"Sich nicht verleugnen – seine Persönlichkeit, die man nun einmal ist, aber sie verwesentlichen", schrieb Käthe Kollwitz in ihr Tagebuch 1917.

Sie war eine Künstlerin außerhalb der Norm ihrer Zeit. Eine Ausstellung im Frankfurter Städel Museum versucht sie zu fassen. 

Schönheit abzubilden, in Öl auf Leinwand, das verwirft sie schnell – sie bringt sich selbst die Druckgrafik bei, diese Kunst, die als Männerdomäne gilt. 

"Künstlerin zu werden war damals eine ziemlich waghalsige Entscheidung. Und dann entscheidet sie sich, nicht nur Künstlerin zu werden, sondern sie wird zur Malerin ausgebildet, und wechselt auch noch in die Druckgrafik und stellt Themen dar, mit denen wenige Frauen in dieser Zeit an den Start gegangen sind, nämlich gesellschaftlich aktuellen Themen mit Leid und Not und Elend und die Arbeiterschaft. Alles Dinge, die für die damalige bürgerliche Gesellschaft sehr unbequem gewesen sind", sagt die Kuratorin der Ausstellung Regina Freyberger.

"Ich bin einverstanden damit, dass meine Kunst Zwecke hat. Ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind", schrieb Kollwitz in ihr Tagebuch 1922.

Käthe Kollwitz erlebt die großen gesellschaftlichen Umbrüche des 20. Jahrhunderts. Im rauschenden Berlin der 1920er Jahre schaut sie auf die negativen Seiten der Welt.  Mit ihrem Mann lebt sie im Nordosten der Stadt, in seiner Kassenarztpraxis trifft sie auf Frauen, Kinder und Männer aus dem Arbeitermilieu. Sie macht sie zu ihren Modellen und ist fasziniert davon….. 

"…dass diese Arbeiterinnen sich so viel natürlicher und unverstellter geben, als das eine Bürgerliche je könnte. Es ist wirklich auffällig, dass sie sehr viel mehr Frauen darstellt als Männer. Es gibt schon auch den Arbeiter bei ihr, aber man merkt, dass sie den Blick eigentlich auf die weibliche Bevölkerung richtet", sagt Regina Freyberger, Kuratorin im Städel Museum.

Doch keine Idylle, kein Mutterglück stattdessen sehr oft im Motiv: der Tod. Verzweifelt versucht diese Mutter, wieder eins zu werden mit ihrem toten Kind, es ist wie ein animalischer Instinkt. Kollwitz verstörte mit solchen Darstellungen. Sie  selbst verlor ihren Sohn Peter im Ersten Weltkrieg und wandelte sich zur überzeugten  Pazifistin.  

Ihre Plakate sind Auftragsarbeiten, doch sie lässt sich von keiner politischen Partei vereinnahmen. Die Anliegen aber sind auch ihre. Ihre Kunst, schreibt sie, entstehe "aus Menschheitsgefühl". Und habe neben der politischen immer auch eine künstlerische Aussage.  

 Sie bringt es zur Meisterschaft in den aufwändigsten Druckverfahren.  

"Es ist ein hochkomplexes, fast abstraktes Arbeiten, um eine Druckgrafik im Bereich der Radierung zu schaffen; das extrem kompliziert ist, weil man nicht nur spiegelverkehrt denken muss, sondern weil man ganz unterschiedliche technische Schritte befolgen muss, um am Ende die Darstellungen zu haben, die uns dann so leichtgängig vorkommt", sagt Regina Freyberger.

Sie probiert aus, um ihren Stil immer mehr zu verfeinern. 

"Das ist so präzise und dann hier mit so hauchdünnen Linien macht sie das Gesicht, während sie die anderen Linien weiter auseinandersetzt. Also mit der Differenzierung der Linie erreicht sie eine andere Form der Modellierung im Endeffekt auch", so Regina Freyberger.

Eine Wirkung wie Bewegtbilder! Kollwitz war beeindruckt von den technologischen Entwicklungen ihrer Zeit – und wirkte umgekehrt auf sie zurück. Fritz Lang war von ihr inspiriert.  

"Es gibt eine Reihe von Stilmitteln, die Kollwitz verwendet, die uns heute fast eher an Film und Fotografie erinnern. Also wir haben angeschnittene Bewegungen, die dadurch sehr dynamisch wirken. Wir haben Close-Ups auf Gesichter. Sie verwendet auch die Körper in einer sehr ausdrucksstarken Pantomimik", sagt Regina Freyberger.

Käthe Kollwitz schrieb in ihr Tagebuch im Jahr1917: "Kraft: das ist, das Leben so zu fassen, wie es ist, und ungebrochen durch es – ohne Klagen und viel Weinen – mit Stärke seine Arbeit tun." Es ging ihr immer um existenziell Menschliches. Und auch: um die Kunst selbst – als Werkzeug, um "zu wirken in ihrer Zeit". Das schafft sie bis heute. 


Beitrag: Mia von Hirsch

„Kollwitz"
Städel Musuem, bis 9. Juni 2024
Frankfurt am Main
Tickets ab 14,00 Euro

Stand: 07.04.2024 20:00 Uhr

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Hessischer Rundfunk
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