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Wie kann man eine potenziell schlechte Zukunft in eine gute verwandeln?

Ideen für morgen mit Rutger Bregman und Liya Yu

Eine potentiell schlechte Zukunft in eine gute verwandeln?  | Video verfügbar bis 15.12.2025 | Bild: hr

Ein Jahr geht zu Ende, in dem Kriege weitergingen. Trumps Wiederwahl, Regierungskrise in Deutschland und Wirtschaftsrezession, fortschreitende Klimakrise, viele Menschen blicken pessimistisch in die Zukunft.

Ein Blick von Historiker Bregman und Philosophin Yu

Der Historiker Rutger Bregman bewertet es so: „Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit sind wir imstande, uns selbst auszulöschen. Und zwar nicht nur wegen der furchtbaren Atombomben, die wir geschaffen haben.“ Jetzt gebe es noch weitere Gefahren, zum Beispiel durch neue Technologien: Biotechnologien oder KI. Aber es könne auch sein, dass wir gerade erst am Beginn der Menschheitsgeschichte stehen, meint Bregman.

Die ständige Bewirtschaftung von Untergangsszenarien verhindert, die Zukunft auch anders zu denken. „Momentan befinden wir uns in einer Imaginationsflaute“, meint die Philosophin Liya Yu. Wir hätten viel zu wenig kreative Vorstellungskraft darüber, wer wir eigentlich sein könnten. „Wir denken viel zu wenig visionär“, so Yu.

Bregmans Pläne für Veränderung

Doch es gibt Menschen mit ganz konkreten Plänen für Veränderung und die sind schon dabei, sie in die Tat umzusetzen, wie der Historiker Rutger Bregman. In den USA, wo er derzeit lebt, spürt man gerade besonders, was für alle tatsächlich auf dem Spiel steht. „Über viele, viele Jahre hat sich die Bildungselite dieses Märchen erzählt, dass der Fortschritt unumgänglich sei“, sagt Bregman.

Und er meint weiter: „Dass die Demokratie sich weltweit durchsetzen werde. Aber was wir jetzt sehen, ist genau das Gegenteil. Überall auf der Welt ist die Autokratie auf dem Vormarsch. Trump wurde gerade wiedergewählt. Ich glaube, was wir jetzt brauchen, ist keine weitere Runde der Selbstbestätigung. Was wir jetzt tun müssen, ist unseren Worten Taten folgen lassen.“

Die „Moralisch Ambitionierten"

Demokratie, Chancengleichheit, Klimaschutz – diese Dinge lassen sich nicht herbeireden. Man muss sie machen, sagt Bregman. Für sein neues Buch hat er die Geschichten von besonderen Menschen recherchiert, die mit ihrer Arbeit Millionen Leben verbessert oder sogar gerettet haben, die für die Welt mehr ausgerichtet haben als die meisten Politiker. Und von diesen „Moralisch Ambitionierten“ lässt sich lernen.

Einer von ihnen ist Ralph Nader: Ein Rechtsanwalt, der beschloss, zum Anwalt der amerikanischen Bürger zu werden. 1980 sagte er in einer Rede: „In Washington sitzt keine Regierung, die das Volk vertritt. Es ist eine Regierung, die Milliarden Dollar in Form von Verträgen, Zuschüssen, Subventionen oder Steuererleichterungen den Lobbyisten zuschiebt.“

Nader legte sich mit den Mächtigen an – und gewann immer wieder. Ihm haben die USA viele ihrer Verbraucherrechte und Umweltschutzgesetze zu verdanken. Und: Er mobilisierte auch andere – hatte schließlich eine ganze Armee von gemeinwohlorientierten Anwälten aufgestellt.

Naders Geschichte war es auch, die Rutger Bregman inspirierte, die „School for Moral Ambition“ zu gründen: Eine Stiftung, die Menschen aus Top-Jobs abwirbt und sie darin schult, ihre Talente dort einzusetzen, wo sie sinnstiftend etwas verändern können. „Wir bezahlen dich, damit du deinen Job kündigst“. Solche Banner hängen bald auch hier, an der New Yorker Wall Street.  

Bregmans Stiftung: „School for Moral Ambition“

„Wir wollen hier ein Team aufstellen aus brillanten Steueranwälten, Vermögensverwaltern, Bankern, Firmenanwälten – die ihre Karriere dem Kampf für Steuergerechtigkeit widmen“, sagt Bregman. „Denn es braucht nicht nur Awareness-Leute wie mich, sondern vor allem radikale Nerds. Streber, die sich mit jedem kleinsten gesetzgeberischen Detail auskennen. Im Moment arbeiten solche Leute für die bösen Jungs. Und wir sagen zu ihnen: Arbeitet nicht für Darth Vader, arbeitet für Luke Skywalker!“, so Bregman.

Die Stiftung mobilisiert vor allem Menschen, die Zugang zu den Zentren der Macht haben. Kontakte, Geld, Privilegien. Um dann mit ihnen an möglichst effektiven Lösungen für drängende Probleme zu arbeiten. Zum Beispiel: Massentierhaltung, die Tabakindustrie, oder die Übermacht von Big Tech.

Aber argumentiert Bregman da nicht selbst neoliberal, wenn er die Verantwortung für Veränderung dem Einzelnen zuschiebt und die Politik aus der Pflicht nimmt? Er selbst sieht das so: „Das ist die Ausrede der Rechten: Sie schieben die Schuld gerne aufs Individuum, damit sie die strukturellen Gründe für Ungleichheit, Armut und so weiter ignorieren können. Aber vielleicht gibt es auch eine Ausrede der Linken: von Leuten, die immerzu den Systemwechsel fordern, die sagen: wir müssen den Kapitalismus abschaffen, das Patriarchat stürzen, Blablabla. Sie sagen das immer wieder, aber selbst ändern sie nichts. Ja, hin und wieder müssen wir auch in den Spiegel schauen. Vor allem, wenn wir besonders privilegiert sind.“

Bregman vernetzt sich dafür auch mit einflussreichen Menschen, die seine Ideale nicht teilen, versucht zu verstehen, was sie überzeugen könnte, arbeitet an pragmatischen Allianzen, um möglichst weit zu kommen.

Neurowissenschaft kann gesellschaftliche Spaltung erklären

Wie erschaffen wir eine gerechtere Gesellschaft? Mit dieser Frage beschäftigt sich auch die Philosophin Liya Yu. Sie erforscht, wie uns die Neurowissenschaft dabei helfen kann, politische Phänomene wie gesellschaftliche Spaltung zu verstehen. 

„Wir alle haben ausgrenzende Gehirne“, sagt Yu. Wir würden sehr schnell in sogenannten Ingroups und Outgroups denken, unsere soziale Welt auch schon vom Kindesalter an in Gruppen einteilen, denen wir uns zugehörig fühlten. „Also sogenannte Ingroups und die humanisiere ich auch viel komplexer“, meint die Philosophin. Sie könne sich besser in sie hineinversetzen. Sie empfinde denen gegenüber Empathie. Aber Outgroups „dehumanisiere“ sie.

Hirnforschung und Rhetorik: Wie inklusives Denken die Demokratie stärken können

Dieses Freund-Feind-Denken trage jeder in sich: im Präfrontalen Cortex, der für Sozialverhalten zuständig ist. Die Forschung zeigt aber auch: Diese Gehirnregion ist bei liberalen Menschen aktiver, sie sind resilienter zum Beispiel gegen Ängste. Dazu neigen konservative Menschen, sie streben eher nach Sicherheit. Doch: Diese Gehirnregion ist veränderbar. Man kann lernen, inklusiver zu denken. Auf diese Erkenntnisse aus der Hirnforschung sollten demokratische Player mehr eingehen. 

Das Problem sei dass sich der demokratische Diskurs anders als der rechtspopulistische Diskurs als Verlustdiskurs darstelle, meint Yu. „Wir sagen Menschen ständig, was sie zu verlieren haben – sei es wirtschaftlich, sei es bezüglich der Klimakrise, sei es bezüglich der Identitätspolitik. Und da müssen wir den Diskurs umdrehen und sagen Nein, es gibt eigentlich so viel für euch zu gewinnen. Und es gibt so viel für euch zu verlieren, wenn wir in einer autoritären, rechtspopulistischen Gesellschaft leben würden“, findet die Philosophin.

Yu und Bregman arbeiten beide daran, unsere liberalen Demokratien gerechter zu gestalten. Sie haben Ideen, wie wir im Angesicht von scheinbar überwältigenden Krisen eine potenziell schlechte Zukunft in eine gute verwandeln können.

Autorin: Jella Mehringer

Bücher:
Moralische Ambition, Rowohlt Verlage, 2024, Rutger Bregman

Vulnerable Minds: The Neuropolitics of Divided Societies, Columbia University Press, 2022, Liya Yu

Stand: 16.12.2024 15:06 Uhr

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