So., 15.12.24 | 23:05 Uhr
Das Erste
Wie kann man eine potenziell schlechte Zukunft in eine gute verwandeln?
Ideen für morgen mit Rutger Bregman und Liya Yu
Das glorreiche „Ende der Geschichte“, das Francis Fukuyama angesichts des Zusammenbruchs der Sowjetunion und des Triumphs der westlichen Demokratien vor mehr als 30 Jahren prophezeite, ist, das wissen wir heute, nicht eingetreten. Statt eines Siegeszugs von Demokratie und Kapitalismus erleben wir gerade weltweit das Gegenteil: Immer mehr Autokraten und Rechtspopulisten an den Schalthebeln der Macht. Donald Trump ist für die kommenden vier Jahre wiedergewählt und stellt ein Gruselkabinett aus Frauenfeinden und Verschwörungsgläubigen auf.
Ein kritischer Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte.
In Deutschland ist die zumindest in Teilen progressive Ampel-Koalition krachend gescheitert und Demokratiefeinde können sich Hoffnung auf gute Ergebnisse bei der vorgezogenen Bundestagswahl machen. Zugleich gewinnen weltweit selbsternannte Tech-Gurus an Macht und Einfluss und KI manipuliert längst unsere Diskursräume.
Und dann wäre da noch die Klimakrise: Die Erderwärmung schreitet so schnell voran, dass wir 2024 erstmals die kritische 1,5-Grad-Grenze reißen. Was für ein Jahr, was für eine Zeit! Wen wundert‘s, dass viele Menschen wenig hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Wir befinden uns, da sind sich viele Zeitdiagnostiker einig, zweifelsohne an einem kritischen Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte.
Fortschritt trotz Krisen: Rutger Bregmans optimistische Weltsicht
Doch man kann die Zeit, in der wir leben, auch ganz anders erzählen – nämlich als eine beinahe unglaubliche Geschichte des Fortschritts. So sieht es zumindest der niederländische Historiker und Bestseller-Autor Rutger Bregman. Nie war die Kindersterblichkeit so gering, lebten so wenige Menschen in extremer Armut, hatten wir Impfstoffe gegen so viele Krankheiten und herrschte so viel Gleichberechtigung wie heute. Diese optimistische Weltsicht hat Bregman aber nicht etwa, weil er die akuten Krisen nicht sieht – sondern gerade deshalb.
In seinem neuen Buch „Moralische Ambition“ erzählt er von Visionären und Pionieren, die sich für die Abschaffung der Sklaverei einsetzten, unermüdlich an Impfstoffen forschten, das Frauenwahlrecht erstritten oder die breite Nutzung von Solarenergie möglich machten. Und was man aus ihren Geschichten für ein besseres Morgen mitnehmen kann. Will sagen: Die Zukunft war nie eine ausgemachte Sache – sondern immer das Ergebnis unseres eigenen Handelns. Damit wir eine positive Zukunft entwerfen können, glaubt er, braucht es mehr „moralisch Ambitionierte“.
Die „School for Moral Ambition“
Deshalb hat er mit einigen Mitstreiter:innen die „School for Moral Ambition“ gegründet: eine Stiftung, die Menschen aus Top-Jobs abwirbt, mit anderen Engagierten zusammenbringt und sie darin schult, ihre Talente sinnbringend dort einzusetzen, wo sie gerade am dringendsten gebraucht werden – anstatt weiter in sogenannten „Bullshit-Jobs“ zu verharren, die weder für sie selbst, noch für die Gesellschaft von Nutzen sind.
Bregman ist davon überzeugt, dass auf diese Weise auch ein Wandel im großen Maßstab angestoßen werden kann. „Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe rechtschaffen denkender, engagierter Bürger die Welt verändern kann. Es ist schließlich nie anders gewesen“, zitiert er die Anthropologin Margaret Mead.
Unser Gehirn hat Schuld an der Spaltung in der Gesellschaft
Wie schaffen wir es, Spaltungen zu überwinden, wieder besser zu kooperieren, Bündnisse zu schmieden, Koalitionen zu bilden? Darum geht es auch der politischen Philosophin Liya Yu. Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie neurowissenschaftliche Erkenntnisse uns dabei helfen können, besser zu verstehen, weshalb Menschen einander ausgrenzen, unterdrücken oder entmenschlichen.
Wir alle, sagt sie, haben Gehirne, die zum Denken in Freund-Feind-Schemata neigen, zum Kategorisieren von Menschen in soziale Gruppen und sogar zur Dehumanisierung anderer. Das Aushalten von Ambiguitäten, liberales Denken, Toleranz, Inklusion und Kooperation hingegen falle unseren Gehirnen tendenziell schwerer. Deshalb reiche es für die Aufrechterhaltung einer demokratischen Gesellschaft auch nicht, so Yu, wenn Progressive immerzu bloß Appelle an Menschen richten, sich im Sinne liberal-demokratischer Werte zu verhalten.
Liya Yu fordert neuen Gesellschaftsvertrag
Kooperatives Denken und Verhalten müsse aktiv gefördert und richtiggehend trainiert werden – und dafür brauche es jetzt eine entsprechende politische Kommunikation und Strategie. Wenn uns das gelingt, glaubt Yu, können wir es schaffen, Gräben zu überbrücken und die liberale Demokratie wieder zu stärken. Der Philosophin geht es um nichts weniger als einen neuen Gesellschaftsvertrag, auch auf Basis der Neuropolitik.
„ttt“ spricht mit Liya Yu und Rutger Bregman über das, was Menschen Hoffnung geben kann, am Ende eines ernüchternden Jahres 2024.
Autorin: Jella Mehringer
Stand: 13.12.2024 13:11 Uhr
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