So., 09.02.25 | 23:35 Uhr
Das Erste
Die „Broligarchie“: Das gefährliche Mindset der Tech-Milliardäre – Douglas Rushkoffs „Survival of the Richest“
Eine Wüste mitten im Nirgendwo: Douglas Rushkoff ist unterwegs zu einem besonderen Treffen. Fünf Milliardäre haben ihn, den Tech-Experten, in ein Luxusresort eingeladen. Sie wollen von ihm eine Prognose über die Zukunft der Technologie hören – glaubt er.
„Sie bombardierten mich mit Fragen wie: Bitcoin oder Ethereum? Virtual Reality oder Augmented Reality? Worauf sollten sie setzen? Und dann fragte einer: Alaska oder Neuseeland? Sie wollten wissen, wo sie ihren Bunker hinstellen sollten. Für ‚das Ereignis‘ – sollte heißen: für einen Atomkrieg, die Klimakatastrophe, Pandemien oder soziale Unruhen, die die Welt unbewohnbar machen und sie zum Rückzug zwingen“, berichtet der Medientheoretiker und Autor Douglas Rushkoff.
Fluchtpläne der Tech-Milliardäre
Wer die Milliardäre waren, verrät Rushkoff nicht. Doch was er erlebt hat, ist nicht einfach nur eine irre Story von ein paar Überreichen mit Weltuntergangsfantasien. Auch Tech-Bosse wie Mark Zuckerberg, Jeff Bezos und Elon Musk sind längst dabei, Exitstrategien zu entwickeln. Sie lassen sich Bunker auf abgelegenen Inseln bauen, investieren in die Errichtung schwimmender Städte auf dem Ozean, programmieren virtuelle Zufluchtsorte wie das Metaverse. Oder träumen, wie in diesem SpaceX-Werbevideo, von einer Zukunft auf dem Mars. Hauptsache: Weit weg vom Rest der Menschheit!
„Ich glaube, wovor sie eigentlich fliehen, sind die Konsequenzen ihres eigenen Handelns. Sie wollen genug Geld verdienen, um der Realität zu entfliehen, die sie selbst geschaffen haben“, sagt Rushkoff.
Ein Einblick in „das Mindset“ der Tech-Bosse
„Survival of the Richest“ heißt Rushkoffs neues, brillantes Buch. Er ist gut vernetzt in der Welt des Silicon Valley und beschreibt hier sehr genau „das Mindset“, das hinter den Fluchtplänen steht – und das faschistoide Menschenbild, das einige Tech-Bros teilen.
„Da gibt es den Dominierenden und die Dominierten. Hier ist der Tech-Übermensch und dort die Massen unter ihnen. Unsere Realität, die natürliche Welt, ist für sie wie ein Haufen Dung, der die Maden ernährt, die in ihm ausharren. Schließlich werden einige dieser Maden zu Fliegen und sie erheben sich von dem Haufen Scheiße. Sie – Peter Thiel und Musk und Zuckerberg – denken, sie sind die Fliegen, die davonkommen“, so der Autor.
Die technokapitalistischen Realität
Was Rushkoff „das Mindset“ nennt, ist ein zutiefst menschen- und umweltfeindlicher Blick auf die Welt. Die Natur und alles Lebende darin wird in der technokapitalistischen Realität zu einem quantifizierbaren Verwertungsobjekt. Und der Mensch, seine komplexen Emotionen, Beziehungen und Überzeugungen, wird zum entschlüsselbaren System aus Nullen und Einsen, das es zu Daten zu machen gilt.
Diese endgültige Quantifizierung der Welt diene letztlich der Erschaffung einer ultralibertären Technokratie, zum maximalen Nutzen der Tech-Elite. Bei Trumps Amtseinführung standen die reichsten Männer der Welt in der ersten Reihe. Musk und Trump sind gerade dabei, den Regierungsapparat zu demontieren. Millionen Staatsbedienstete wurden zur Kündigung gedrängt, soziale Programme sollen abgeschafft werden.
Noch vor wenigen Wochen hatte der ehemalige Präsident Joe Biden vor diesen gefährlichen Entwicklungen gewarnt. „Heute nimmt in Amerika eine Oligarchie von extremem Reichtum, Macht und Einfluss Gestalt an, die unsere Demokratie bedroht“, so der ehemalige Präsident Joe Biden.
Der Plan vom Zerstören der Demokratie
Die Zerstörung demokratischer Strukturen: auch das sei Teil des Mindsets. Rushkoff erzählt: „Als Geschäftsmänner glauben sie an die kreative Zerstörung. Dass jedes neue Ding etwas anderes zerstören und ersetzen muss. Und so blicken sie auch auf Regierungssysteme. Sie denken: Das sind diese repressiven Dinger, die uns ausbremsen mit Regulierungen und all dem, und die uns entfesseltes Wachstum und Fortschritt verwehren.“
Demokratische Prozesse, staatliche Kontrolle, Gesetze: um diese „Störfaktoren“ zu beseitigen, treiben die Tech-Milliardäre die Deregulierung und Privatisierung der digitalen Sphäre voran. Elon Musk kaufte Twitter, heute: X. Jeff Bezos gehört die Handelsplattform Amazon. Und Mark Zuckerberg kontrolliert die Meta-Apps Facebook, Instagram und WhatsApp. Zusammen beherrschen sie weite Teile des globalen digitalen Raums.
Die Welt als ein Raum der Milliardäre
Dabei ist ein technofeudales System entstanden: Die Besitzer der Plattformen können weitgehend unreguliert die Regeln vorgeben, während die Nutzer mit ihren Daten bezahlen. Wir sind längst dabei, uns mit dieser neuen, antidemokratischen Realität abzufinden, mahnt Rushkoff.
„Das Problem ist, wenn du an Orten lebst, die wie öffentliche Räume sind, aber eigentlich die privaten Plattformen einzelner Milliardäre sind, dann gewöhnst du dich daran, die Welt als einen Raum zu sehen, der Milliardären gehört. Und das erzeugt eine passive, nicht-staatsbürgerliche, nicht-partizipatorische Beziehung zur Welt.“
Ausnutzen und Anheizen des Rechtsrucks
Diese Zersetzungsstrategie wird befeuert durch den weltweiten Rechtsruck, den die Tech-Milliardäre für ihre Zwecke nutzen – und weiter anheizen.
„Die technofeudalen Plattformen treiben uns auch im realen Leben hin zu Feudalismus, Faschismus und Autoritarismus. Die Kehrtwende war für viele Tech-Bros der 6. Januar 2021, der Sturm aufs Kapitol. Zunächst bekamen sie Angst: Oh nein, was haben wir da auf die Welt losgelassen? Und dann kamen Steve Bannon und Elon Musk und Peter Thiel und sagten: Nein, das ist nichts Schlechtes. Diese Technologie hat eine Welle der Energie entfesselt, die wir einsetzen und ausnutzen können.“ Um auf diese Weise mit gezielter Desinformation Diskurse zu lenken und damit die Demokratie vollends auszuhöhlen.
Rushkoff ist trotz allem kein Feind der Technologie – im Gegenteil. „Es gibt Möglichkeiten, dass eine technologisch geprägte Zukunft uns viel Spaß bringt. Aber nicht, wenn jede Plattform und jedes Gerät zum Zweck entwickelt werden, den größtmöglichen Nutzen, Daten und Geld aus den Menschen herauszupressen“, sagt er. Sein Ansatz wäre die Frage, wie wir diese Technologien auf eine Weise entwickeln könnten, dass sie nicht all diese Schäden anrichten und uns dazu zwingen, den Planeten zu verlassen.
Rushkoffs Vorschlag an die Tech-Milliardäre
Die fünf Milliardäre, die Rushkoff in der Wüste traf, stellten ihm noch eine weitere Frage: Wie können sie die Loyalität ihrer Security-Angestellten gewährleisten, wenn am Tag des „Ereignisses“ die Finanzsysteme zusammengebrochen und auch ihre Bitcoins nichts mehr wert sind?
Rushkoff machte ihnen einen Vorschlag. „Ich sagte: Vielleicht ist der beste Weg, deinen Sicherheitschef davon abzuhalten, dir in deinem Bunker in den Kopf zu schießen, jetzt schon nett zu ihm zu sein. Bezahl für die Bar Mitzwa seiner Kinder“, berichtet Rushkoff. Dann habe einer von ihnen gefragt ‚Aber wo hört das auf? Wenn ich nett zu meinen Angestellten bin und zu ihren Familien und ihren Freunden – dann müsste ich ja nett zu allen sein!‘ Darauf habe Rushkoff ihm entgegnet: „Genau. Dann kommt vielleicht auch die Apokalypse nicht.“
Autorin: Jella Mehringer
Douglas Rushkoff: „Survival of the Richest“, 281 Seiten, Suhrkamp, 22 Euro, Erscheinungstermin: 24.02.2025.
Stand: 09.02.2025 19:54 Uhr
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