So., 09.02.25 | 23:35 Uhr
Das Erste
Demonstrationen für Demokratie und Wahrung der Brandmauer - Viele Kulturschaffende positionieren sich gegen rechts
Friedrich Merz´ Pläne zur Verschärfung der Migrationspolitik bringen gerade in ganz Deutschland hunderttausende Menschen auf die Straße: aus Empörung über die Zusammenarbeit mit der AfD.
Offener Brief von Kunst- und Kulturschaffenden
„Es will sich jetzt niemand von uns fragen, wo war man, als die Brandmauer gefallen ist? Wo war man, als das ‚Nie wieder‘ einfach nicht mehr eingehalten werden konnte?“, sagt Schauspieler Jonathan Berlin.
Er hat gemeinsam mit seiner Schauspielkollegin Luisa-Céline Gaffron einen offenen Brief geschrieben und initiiert. 500 Kunst- und Kulturschaffende haben ihn inzwischen unterzeichnet. Der Titel: „Zum Fall der Brandmauer – gegen jede Zusammenarbeit mit der AfD“.
„Es zeigt, wie verwundbar eine tolerante Gesellschaft ist“, findet Schauspielerin Bibiana Beglau angesichts der aktuellen Lage. Sie hat ebenfalls den Brief unterzeichnet. Ihre Schauspielkollegin Caroline Peters, auch Unterzeichnerin des Briefes meint: „Man muss über Migration reden, natürlich. Wie organisieren wir uns alle? Wie wollen wir hier zusammenleben?“ Die Zeiten seien schwierig und dynamisch. Aber „die klare Linie, die Diktatur, der faschistoide Ansatz, aus meiner Sicht kann man nichts Dümmeres machen mit der Welt“, so Peters.
„Ein Dammbruch ist nicht zu korrigieren“
Luisa-Céline Gaffron und Jonathan Berlin hatten das Gefühl, sie mussten einfach etwas tun. Sie schreiben im Brief: „Geschichte wiederholt sich und wir schauen dieses Mal nicht weg!“.
„So ein Dammbruch ist nicht mehr zu korrigieren und man muss sich auch ganz klar machen, dass, wenn ein Friedrich Merz sich einmal dazu verleiten lässt, die Zustimmung der AfD in Kauf zu nehmen, er es in einer für ihn gefühlten politischen Drucksituation wieder tun könnte“, meint Berlin.
Seine Schauspielkollegin Beglau stellt fest: „Wie schnell Menschen, wenn es um die Machtfrage geht, engstirnig, klein oder kaltherzig werden und wie skrupellos.“
Auch die Publizistin Jagoda Marinić kritisiert dieses gefährliche Wahlkampfmanöver der Union. Friedrich Merz weiche den demokratischen Konservatismus auf. „Er weicht das auf, was rechts ist“, sagt die Publizistin. „Rechts war nicht rechtsextrem. Und diese Grenze aufzuweichen, nennt man sie Brandmauer oder ich würde sagen, die demokratische Grenze, das besorgt Menschen“, so Marinić. Es sei ein unnötiger Schritt gewesen, in diesem Wahlkampf in der Kürze eine solche Amplitude in den Diskurs reinzubringen und eine Partei jubeln zu lassen, die seit Wochen von Elon Musk gefördert werde. „Und wir wissen, welche Politik er sich wünscht“, betont die Publizistin.
Initiative „Nicht okay“
Die AfD triumphiert nach der gewonnenen Abstimmung im Bundestag. Das ist „Nicht okay“, sagt eine weitere Initiative von Kulturschaffenden und Sportlern. Sie wenden sich explizit an die Wähler der AfD. Schauspielerinnen wie Anneke Kim Sarnau und Margarita Broich sind dabei.
In ihren Videos, die sie auf instagram veröffentlicht haben, äußern sie sich deutlich: „Menschen, die die AfD wählen, entscheiden sich bewusst für eine Partei, die Hass und Ausgrenzung fördert“, so Schauspielerin Elmira Bahrami in dem Video. Ihre Kollegin Tina Pfurr sagt darin: „Sie unterstützen eine Politik, die Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Religion, ihrer Sexualität oder ihres Geschlechts angreift.“
Im Interview mit ttt sagt Pfurr: „Man bekommt mit, dass die AfD Angst und Hass schürt und das Unsagbare schon sagbar macht und salonfähig macht.“ Für sie ist klar, dass diese Instrumentalisierung bereits funktioniert habe, weil andere Politikerinnen, die nicht zur AfD gehören, diese Rhetorik übernehmen und somit die Politik der AfD auch weiterführten.
Ablenkungsstrategie der Politiker?
Wir müssten uns im Klaren sein, dass der Fokus das Wertvollste sei, was wir haben, meint Schauspielkollegin Luisa-Céline Gaffron. „Was aktuell in diesem Wahlkampf passiert, ist, dass er uns geklaut wird, weil Migration hochgehalten wird, als wäre es faktisch das wichtigste Thema. Und es stimmt einfach nicht, weil wir haben in diesem Jahr in diesem Land alle paar Tage einen Femizid. Wir stecken mitten in der Klimakrise. Die Leute können sich die Mieten nicht leisten und stattdessen lenken gewisse Politiker von all diesen Themen ab, weil sie keine Lösungen dafür haben“, sagt Gaffron.
Auch Caroline Peters findet: „Wir haben sehr viel mehr Themen als dieses eine. Und auch da finde ich, ist eindeutig eine Parallele zu den dreißiger Jahren. Da konnte man sich darauf fokussieren, dass man Judenhass anspricht und ausbeutet und das hat als Thema gereicht, dass das Deutschland 1933 ganz andere Probleme hatte nach dem Ersten Weltkrieg, nach der Wirtschaftskatastrophe von 1928, das fällt ja alles unter den Tisch, wenn man so was macht.“
Für Jagoda Marinić ist klar, der Wahlkampf, so wie er sich bis jetzt gestalte, sei eine intellektuelle Beleidigung an alle, die in diesem Land sagten: ‚Wir haben die Probleme analysiert und wir haben vielleicht sogar Lösungsvorschläge in der Schublade, die wir in diesem Land diskutieren möchten‘. Dieser Wahlkampf spitze sich zu auf das Thema Migration.
„Obwohl die Forschung zeigt, dass in allen Ländern, in denen Ultrarechte an die Macht kamen, deswegen an die Macht kamen, weil die Konservativen die Themen der Ultrarechten bespielt haben“, erklärt die Publizistin. „Natürlich wählen die Menschen das Original. Aber es scheint diese inhaltliche Hilflosigkeit zu sein, diese Einfallslosigkeit. Und da kommt auch Friedrich Merz ins Spiel, der auf eine sehr schwierige Weise in den Neunzigern hängengeblieben ist in der Geistesgeschichte der Bundesrepublik. Er scheint nicht verstanden zu haben, dass es jetzt rechts von der CDU eine Partei gibt, die den Anspruch hat, 2029 die stärkste Partei in diesem Land zu sein“, betont sie. Für sie heiße das, er müsste eine Politik machen, die ganz klar den Rand nach rechts absichert und auch abriegelt.
Die Sorge um die Demokratie
Luisa-Céline Gaffron hat weitere Bedenken: „Wir fürchten uns davor, dass Rechte in unserer Regierung sind.“ Sie sei in Österreich aufgewachsen und habe Angst, dass es in Deutschland dieselbe Situation geben werde, die gerade dort sei. „Die andere Hälfte meiner Familie lebt in Polen. Dort gab es gerade ein paar Jahre eine super rechte Regierung und da kann man auch ganz konkret sehen, wie Rechte Demokratie umbauen, wenn man sie hineinlässt, und zwar sehr schnell“, sagt Gaffron.
Auch für Jagoda Marinić sei es frustrierend, dass Deutschland als eines der reichsten Länder dieser Welt und als demokratisches Land nicht in der Lage sei, aus allen unseren intellektuellen Ressourcen „einen Wettbewerb der Ideen zu führen“.
„Das ist, was ich meine mit ‚intellektuelle Beleidigung‘. Wir haben einen solchen Wahlkampf nicht verdient. Und angesichts der globalen Situation gefährdet dieser schlechte Wahlkampf auch tatsächlich die Stärke Europas, in einem Geflecht, wo wir zum Spielball autoritärer Kräfte werden könnten. Ich glaube, Friedrich Merz unterschätzt, dass er ein wirklich stabiles Deutschland braucht, um stabil in Europa agieren zu können, um stabil gegenüber autoritären Kräften, die jetzt auch die USA sind, auftreten zu können“, appelliert Marinić.
Friedrich Merz sagt zu den Hunderttausenden auf den Straßen: "Wir lassen uns nicht von unserem Kurs abbringen". Die Proteste werden weitergehen.
Autor: Andreas Krieger
Stand: 09.02.2025 19:53 Uhr
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