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„Krieg und Frieden”

Die Magnum Fotografin Nanna Heitmann auf den Spuren des Krieges in Russland

Fotografin Heitmann auf den Spuren des Krieges in Russland | Video verfügbar bis 16.06.2025 | Bild: Magnum / Nanna Heitmann

Aktuelle Fotos aus Moskau dokumentieren, dass der Krieg hier nicht sichtbar ist. Und wenn, dann nur glorreich, Soldaten als Helden auf Häuserwänden, davor ist Fashion Show!

Weit abseits vom Zentrum spürt und sieht man den Krieg. Den Schmerz beim Abschied und Trauer um einen 24 Jahre alten Gefallenen.  Nanna Heitmann bildet ab, was Putins Propaganda verschweigt.

„Wir sehen eigentlich fast keine Fotos mehr oder auch immer weniger Berichterstattung aus Russland selbst. Aus so einem riesigen Land, was so zentral ist für die Weltpolitik und natürlich für den Krieg in der Ukraine“, meint die Fotografin. „Deswegen finde ich es unglaublich wichtig, dort zu sein und die Stimmung festzuhalten. Was denken die Leute in Moskau? Was denken die Leute in entlegenen Regionen?“, erklärt Nanna Heitmann.

Ihr Bild auf dem Cover des Time Magazins

Nanna Heitmanns Mutter stammt aus Russland, aufgewachsen ist sie in Ulm und lebt heute in Moskau. Sie ist eine der jüngsten Fotograf:innen der Agentur Magnum. Ihr Bild eines russischen Panzers wurde zum Cover des Time Magazin. Es war einer der ersten im ukrainischen Grenzgebiet. Nanna Heitmann war zufällig dort und fotografierte den Moment als die Invasion russischer Truppen begann.

„Am 24. Februar mache ich die Hoteltür auf und es laufen lauter grüne Männchen rum, die davor schon angereist waren, aber in Zivilkleidung und dort auf einmal alle offiziell als Soldaten“, erinnert sich Heitmann. „Ich bin selber keine Kriegsfotografin, ich hatte keine Schutzkleidung, keine Schutzweste dabei. Und deswegen habe ich mich dann auch entschlossen, rauszufahren“, erklärt sie. Auf dem Weg sei ihr die riesige Kolonne an Panzern entgegengekommen. „Die sind wahrscheinlich Richtung Mariupol gefahren“, sagt Heitmann.

Fotoausstellung zeigt Massengräber und Perspektivlosigkeit

Nanna Heitmanns Fotos sind jetzt im ehemaligen Stahlwerk in Hattingen zu sehen. Seit fünf Jahren dokumentiert sie mit der Kamera das Heimatland ihrer Mutter. Fasziniert von seiner Größe, der kulturellen Vielfalt, war sie schon immer in entlegenen Gebieten unterwegs. Dort findet sie jetzt die schmerzhaften Spuren des Krieges – die Moskau zu verstecken versucht. Wie in Dagestan im Nordkaukasus.

Die Fotografin erinnert sich: „Das war für mich das erste Mal, dass überhaupt irgendwie dieser Krieg spürbar ist, weil da saßen ganz viele verschiedene Familienmitglieder, Cousinen und Cousins, Brüder und jeder hat irgendwie jemanden, der in der Ukraine verletzt wurde, kämpft oder gestorben ist.“

Massengräber von Soldaten der Wagner-Gruppe. Die hohen Opferzahlen auf russischer Seite – Nanna Heitmann macht sie sichtbar. Und sie zeigt die Perspektivlosigkeit in den ärmsten Regionen Russlands. Große Landesteile nach der Sowjetzeit ohne Infrastruktur – geprägt von Arbeitslosigkeit und Schulden. Heute: Anwerbeschilder für die Armee. 2000 Euro Monatsgehalt. Eine extreme Summe für die Menschen hier.

Mütter, die ihre Söhne verloren haben, erzählen Nanna Heitmann, wie sie – trotz der Trauer – fest zu Putin halten. Der Propaganda glauben, die im Fernsehen läuft.

Vom Geheimdienst beobachtet

Was sie tut, ist nicht ungefährlich, der russische Geheimdienst beobachtet genau, was Journalisten berichten. „Sobald wir in die Regionen reisen, ist immer irgendjemand da, der dir hinterherläuft, der dir hinterherfährt“, berichtet Heitmann. „Ich weiß nicht, ob man es bemerken soll oder nicht, weil man bemerkt es auch nicht immer. Aber ich glaube, wenn man es bemerkt, ist es deshalb, um wahrscheinlich einfach ein Zeichen zu geben Big Brother is watching you“, erklärt die Fotografin.

Dennoch gelingen ihr und der Reporterin von der New York Times, mit der sie oft unterwegs ist, seltene Einblicke. „Ich glaube, was in einem patriarchischen Land wie Russland manchmal hilft, ist auch, dass wir zwei jüngere Frauen sind, weil man nicht wirklich ernst genommen wird“, denkt Nanna Heitmann.

Statt Gesundheits-Check-up die Zwangseinberufung

Sie schaffen es sogar, eine besonders unpopuläre Maßnahme Putins zu dokumentieren: Die Zwangseinberufung in Moskau, im Oktober 2022. „Es war unglaublich emotional“, erinnert sich Heitmann. Man habe auch viele Leute gesehen, die dort in kompletter Panik herumgerannt seien, mit der Hoffnung, nicht eingezogen werden zu können.

Heitmann erinnert sich: „Wir haben mit einem Mädchen geredet. Katja, die hat dort ihren Freund hingebracht, weil die der festen Überzeugung waren, die müssten dort nur hinkommen und das ist ein Gesundheits-Check-up. Aber ein paar Stunden später ist er dann quasi mit dem Bus schon losgefahren.“

Die Militarisierung der russischen Gesellschaft

Nanna Heitmann beobachtet, wie die russische Gesellschaft gezielt immer mehr militarisiert wird. Durch pompöse Militärfeste, die Einführung einer Propagandastunde an Schulen und Kriegsspiele – schon für die Allerkleinsten.  „Das war für mich – glaube ich – am erschreckendsten, wie dort ein kleiner Junge von seinem Papa hingesetzt wurde, um mit dem Maschinengewehr mal zu schießen“, berichtet Heitmann. Das Kind habe sich total erschrocken danach, von der Druckwelle, von dem Lärm. „Es ist die natürlichste Reaktion eines Kindes, dass es das nicht will und schreit und versucht wegzurennen. Und der Vater hat sich dann aber irgendwie lustig gemacht“, sagt Heitmann entsetzt.

Noch sei es ihr möglich, in Russland zu arbeiten. Auch wenn ihr Verhaftungen von Kollegen die Gefahr ständig vor Augen führen. „Das Land kenne ich so gut, dass ich irgendwie weiß, wie ich mich bewegen kann. Das Risiko besteht natürlich immer, dass irgendwas passiert und man muss vorsichtig sein“, erzählt sie.  Aber die Arbeit sei auch extrem wichtig. Es sei wichtig weiterhin dort vor Ort zu sein.

Und solange es geht, will sie dokumentieren: Wie Putin immer mehr ein Russland formt, dass seinen Zielen nutzt.

Autorin: Katja Deiß

Stand: 16.06.2024 20:00 Uhr

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