So., 21.04.24 | 23:25 Uhr
Das Erste
Österreich: Anna Jermolaewa
Immer, wenn in der Sowjetunion und in Russland ein Machtwechsel drohte, lief im Staatsfernsehen Schwanensee, Tschaikowskys Ballettklassiker als Dauerschleife. Das ist noch heute so. Ein Signal der Herrscher und inzwischen auch ein Code für Wandel und Umsturz. Die russische Dissidentin Anna Jermolaewa greift mit der ukrainischen Tänzerin Oksana Serheieva diese Routine der Macht auf. Das ist ein aktiver Aufruf zum Widerstand. Putin soll gestürzt werden.
Hoffnung, Verzweiflung, Aussichtslosigkeit
"Es ist mittlerweile wirklich ein Code für Regimewechsel", sagt Anna Jermolaewa. "Ich hab es schon dreimal erlebt in meiner Jugend, diese komischen Tage, einmal mit 12, an denen plötzlich das reguläre Programm stoppt und 'Schwanensee' im Fernsehen läuft. Den ganzen Tag statt Nachrichten. Erst ist Breschnew gestorben, dann Andropow, dann Tschernienkow. Und das hat eigentlich meine Jugend geprägt."
Jermolaewa war in der Sowjetunion politisch aktiv, hatte eine demokratische Partei gegründet. 1989 flieht sie kurz vor dem Zusammenbruch nach Österreich. Sie landet im Flüchtlingslager Traiskirchen. Daher stammen die Original-Telefonzellen. Ein Mahnmal unzähliger Schicksale. Die Spuren der Geflüchteten zeigen sich in Kritzeleien. "Da habe ich aus diesen Boxen, ich weiß nicht, welche genau, meine Familie in Leningrad angerufen und gesagt: 'Ich bin im Westen angekommen'. Diese Hoffnung, die Verzweiflung, die Aussichtslosigkeit. Das ist alles gebannt in diesen Boxen."
"Wir proben den Regimewechsel"
Die ersten Tage schläft die damals 19-Jährige am Bahnhof. Das Erlebnis wiederholt sie 2006 in einer Performance. Inzwischen verhindern Armlehnen an den Bänken eine bequeme Schlafhaltung. Jeder Raum des Pavillons erzählt von Macht und Widerstand, wie die Schallplatten aus Röntgenbildern. Raubpressungen von verbotener Musik in der Sowjetunion. Jazz galt als Symbol des dekadenten Westens. Nur illegal zu beschaffen. Gestohlene Röntgenbilder wurden zu Schallplatten. Darauf die Klänge der Freiheit. "Wir üben schon für diesen großen Tag. Wir proben den Regimewechsel. Das heißt: Putin muss weg. Das ist das, was wir mit Oksana nach Hause tragen."
Die Kraft des Volkes, dessen Mut soll ein farbenprächtiges Blumen- und Pflanzenmeer repräsentieren. Jede Pflanze, jede Farbe verweist auf einen Volksaufstand. Die Nelkenrevolution in Portugal 1974, Tulpenrevolution 2005 in Kirgistan. Die Orangene Revolution 2004 in der Ukraine. Revolution und Rebellion. Ein Raum der Hoffnung "Ich würde mir wünschen, dass wir noch einen Stuhl dazustellen für eine russischen Farbrevolution." Von der Politik zur Kunst und zurück. Der Weg von Anna Jermolaewa.
Stand: 21.04.2024 21:37 Uhr
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