So., 26.05.24 | 23:05 Uhr
"The Seed of the Sacred Fig" von Mohammad Rasoulof
Dieser Mann kommt direkt von der Flucht, vom Angstvollen in die Befreiung, von der Bedrohung in die Sicherheit. Aus den Reiseklamotten in den Smoking. 28 Tage unterwegs auf abenteuerlich geheimen Wegen aus dem Iran, wo Regimekritiker Mohammad Rasoulof kurz vor dem Festival zu acht Jahren Haft und Peitschenhieben verurteilt wurde.
Ins Gefängnis gehen oder den Iran verlassen?
Ein Video von Rasoulof bei der Flucht, die ironischerweise genau über die nördlichen Bergen führte, an denen letzte Woche Irans Präsident mit dem Hubschrauber abgestürzt ist. "Ich musste binnen Stunden eine Entscheidung treffen", sagt Rasoulof. "Ich musste mich fragen, was will ich, ins Gefängnis gehen oder soll ich den Iran verlassen, geografisch – und Bewohner des kulturellen Iran werden, einem grenzenlosen Land, das Millionen Iraner in jeder Ecke der Welt gebaut haben."
Mohammad Rasoulofs Einzug über den roten Teppich gleicht Triumphzug - einem Triumphzug der Freiheit über die Unterdrückung. Dafür hat Cannes immer ein Gefühl gehabt. Die Menschen bejubeln ihn und sein Team schier endlos – und Rasloulof hält immer wieder Fotografien in die Höhe – die Gesichter von den beiden Hauptdarstellern seines Films "The Seed of the Sacred Fig". Soheila Golestani und Missagh Zareh mussten im Iran unter ungewissen Umständen zurück bleiben.
Rasoulof schneidet aktuelle Handybilder von Protesten in seinen Film
Vor dem Haus eines Ermittlungsrichters, der reihenweise Unschuldige verurteilt zu Gefängnis und sogar Todesurteile unterzeichnet, tobt der Aufstand. Kraft und Bedeutung von Kunst zeigen sich nie stärker als in autokratischen Gesellschaften. Das Potential zum Aufruhr liegt in der Darstellung der Unterdrückung. Rasoulof schneidet aktuelle Protestbilder, mit Handykamera gedreht, in seinen Film, immer wieder. Blutende, Angeschossene, Verprügelte, Protestierende.
Als die Proteste begannen, saß Rasoulof im Gefängnis. "Wir waren stark beeindruckt von dem, was außerhalb der Gefängnismauern vor sich ging. Die Demonstrationen. Wir konnten uns natürlich nicht direkt einmischen, ich saß ja mit Jafar Panahi hinter Gittern und wir haben uns darüber ausgetauscht, was los ist."
"Das Regime hat Angst!"
Dem Ermittlungsrichter will nicht wahrhaben, dass der Sturm der Freiheit nicht aufzuhalten ist. Seine beiden Töchter haben sich bereits gegen ihn gewandt. Seine bislang geheim gehaltene Identität fliegt per ins Netz gestellte Handyvideos auf. Er packt seine Familie und flieht aufs Land, wo sich das Drama endgültig entfaltet. Der Ermittlungsrichter sperrt seine Frau und Töchter in Kellerzellen und befragt sie wie sonst die unschuldig Angeklagten peinlich befragt werden.
"Das Regime hat Angst – aber warum haben sie so viel Angst vor den Geschichten in unseren Filmen?", sagt Rasoulof. "Wir lassen uns nicht von deren Propaganda einschüchtern, wir sind nicht beeindruckt von all den Einmischungen der iranischen Regierung. Meine Haltung: Bleib deinen Überzeugungen treu – und der Freiheit des Ausdrucks."
Die junge Generation wird sich nicht mehr in den Gottesstaat pressen lassen
Zwölf Minuten Standing Ovations für Rasoulofs Film. Das Regime in Teheran wankt seinem Ende entgegen. Dank moderner Kommunikation unaufhaltsam. Eine junge Generation wird sich nicht mehr in den Gottesstaat pressen lassen. Und der Mut der Künstler, die Licht auf die Verhältnisse werfen, trägt erheblich dazu bei. Es gibt eine internationale Gemeinschaft der Kunst, Menschen, denen die Freiheit am Herzen liegt. Sie werden immer aufbegehren.
Stand: 26.05.2024 22:12 Uhr
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