So., 17.03.24 | 23:05 Uhr
Das Erste
Erwin Wurm
Limberg. Niederösterreich. Schlossbesuch. Hier wohnt Erwin Wurm. Künstler mit dem feinen Gespür für Witz und Ironie. Würste werden Skulpturen, ein verbeultes Auto zur Couch. Wurm gehört zu den Stars der zeitgenössischen Kunst. Klar wohnt er jetzt im Schloss. "Ich habe es nicht gekauft, weil ich jetzt Graf spielen will, ich gern in einem Schloss wohne, sondern weil die ganzen Nebenhallen dabei waren", sagt Erwin Wurm. "Die sind super. Und da haben wir echt viel Platz."
Platz zum Beispiel für seine Fat Cars. Das Auto als aufgeblasenes, fettleibig gewordenes Statussymbol. Strotzend vor Selbstzufriedenheit. Doch irgendwie scheinen seine Fat Cars gerade wie aus der Zeit gefallen. Es ist alles ernster geworden in den letzten Jahren. Und dann das Wort "fat"! "In England wollten sie mir die Autos nicht ausstellen, wegen fat", sagt Erwin Wurm. "Ich habe es ihnen erklärt, wie und warum das zustande gekommen ist und dass das Konsumkritik ist und so weiter, aber trotzdem: Das Wort hat die Leute gereizt und sie haben gesagt, sie haben Angst, dass die Bevölkerung sich dann unkorrekt behandelt fühlt."
Ein Essiggurkerl als Selbstporträt
Inzwischen hat er sie in "car big" umbenannt. Dem oft absurden Gestus seiner Arbeiten schadet so etwas nicht. Ein Einfamilienhaus auf dem Dach eines Museums, ein Essiggurkerl als Selbstporträt. Erwin Wurm ist Meister in der ironischen Verbildlichung von Lebensgefühlen. Das Haus seiner Kindheit macht er ganz eng. "In der Schule sind wir geschlagen worden. Und dass wir eine Watschn gekriegt haben und der Mathelehrer uns über den Tisch gelegt und mit dem Zirkel gehauen hat, war alles normal", sagt Erwin Wurm. "Erst im Nachhinein bin ich darauf gekommen, dass das eben nicht normal war. Oder mindestens sehr speziell. Und dann wollte ich darüber arbeiten. Dann habe ich mein Elternhaus genommen und habe es schmal gemacht, auch die Möbel und die Räume. Sobald man hineingeht, tritt Klaustrophobie auf und Beengung und das packt einen ziemlich an der Gurgel."
Narrow House. Schmales Haus nennt er das Werk. In Wirklichkeit war es sechsmal breiter und stand in Graz. Der Vater: Polizist. Dass der Sohn Künstler wird: eigentlich nicht vorgesehen. Wurm studiert erst auf Lehramt, bevor er seiner Neigung folgt und in der Kunst seinen eigenen Stil entwickelt. "Dieses sehr schöne auch breit gefächerte Konzept quasi die Wirklichkeit zur Bildhauerei zu erklären", sagt der Kunsthistoriker Rainer Metzger, der nun eine Biografie über Erwin Wurm geschrieben hat. "Das Metier des Bildhauers ist mehr oder weniger die ganze Welt. Und vor allen Dingen auch ist es dieses Heitere, dieses Nonchalante, man kann auch sagen: dieses Ironische seines Werkes."
Das Absurde und das Paradoxe sind seine Mittel
Wie Kleidung den Menschen zur Skulptur machen kann. Eine frühe Werkserie voller Witz und Humor. "Humor ist nicht ein Mittel. Humor ist ein Resultat", sagt Erwin Wurm. "Das Mittel ist das Absurde und das Paradoxe. Quasi das, was unsere Welt ohnehin am besten kann. Wir ersticken in Absurdität und Paradoxie. Das ist das Thema. Und das interessiert mich auch und damit versuche ich halt zu arbeiten. Manchmal besser, manchmal schlechter."
Den weltweiten Durchbruch schaffte er mit seinen "One Minute Sculptures". Nach Anleitung nehmen Menschen mit Alltagsgegenständen Positionen ein und werden selbst zum Kunstobjekt. Die Idee entstand 1997 inmitten einer Lebenskrise. "Mir ging es ein Jahr lang schlecht. Wegen Scheidung und allem möglichen. Tod meiner Eltern. Die Frau ist mit den Kindern ausgezogen und so weiter. Furchtbar. Da bin ich in ein tiefes Loch gefallen. Und nach diesen eineinhalb Jahren Frust, Schmerz und Trauer hatte ich eine Ausstellung im Bremer Kunstverein. Ich habe dort mit den Gegenständen, die ich vorgefunden habe und mit den Leuten diese One Minute Sculptures entwickelt." Verrückte Dinge machen, fotografieren und posten. Was passt besser ins heutige Insta- und TikTok-Zeitalter als diese Idee? Sogar ein Musikvideo der Red Hot Chili Peppers wurde von den One Minute Sculptures inspiriert.
Die Welt ist sein Steinbruch
Das Frühwerk. Aus Farbe entsteht plötzlich eine dreidimensionale Form. Dagegen wird ein Blecheimer platt geklopft zur zweidimensionalen Skulptur. Eigentlich wollte Wurm Maler werden. "Irgendwann habe ich mir erarbeitet, dass jedes Ding, das um mich herum existiert eine mögliche Vorlage für eine Skulptur, für eine künstlerische Arbeit ist. Also alles. Angefangen bei den Schuhen, Kugelschreibern … Alles kann man einbauen. Plötzlich war die Welt wie ein großer Steinbruch."
Und dann die absolute Reduktion. Das Nichts. Wie lässt es sich ausstellen? Indem nur noch der Abdruck im Staub sichtbar ist. Wurm beherrscht die kleine aber auch die große Geste. Ein Riesenpullover als Fastentuch im Wiener Stephansdom. So etwas schafft kein anderer Künstler. Diese Wucht, dieser Esprit. Wie nennt man das noch, wenn eine Melodie nicht mehr aus dem Kopf geht? Irgendwas mit Wurm.
Rainer Metzger: Erwin Wurm – Biographie, Molden Verlag
Autor: Norbert Haberger
Stand: 17.03.2024 21:18 Uhr
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