So., 17.03.24 | 23:05 Uhr
Das Erste
Kafka: Serie von David Schalko
Der Kosmos "Kafka" beginnt mit Angst. Max Brod, Kafkas Freund, flüchtet mit Kafkas Manuskripten. Wird aufgehalten, kontrolliert. Ein Wachmann liest prüfend das Manuskript: "Schon sprang ich, als sei es nicht das erste Mal, meinem Bekannten auf die Schulter. Als er aber noch ein wenig widerwillig stampfte und manchmal sogar stehenblieb, hackte ich mehrmals mit meinem Stiefel in seinen Bauch, um ihn munter zu machen. Es gelang und wir kamen mit guter Schnelligkeit immer weiter in das Innere einer großen, aber noch unfertigen Gegend, in der es Abend war." – "So ein Schwachsinn", kommentiert der Wachmann.
Kafka verwandelt das Gefühl der Machtlosigkeit in Literatur
Ein literarisches Fehlurteil kann Literatur retten. Und so gibt es ihn: Franz Kafka, den weltweit meistgelesenen deutschsprachigen Autor. Ein kleiner Versicherungsangestellter, der nachts schrieb, surreale Erzählungen und Romane über Ängste, Scham, Versagen. Franz K. Er verwandelt Menschen in Käfer und das Gefühl der Machtlosigkeit in Literatur.
"Ein Mann, der verhaftet wird und nicht weiß, warum. Ein Mann, der ein Schloss sucht, das er nicht findet", sagt Regisseur und Drehbuchautor David Schalko. "Jemand, der sich in ein Ungeziefer verwandelt, dass ja metaphorisch zu verstehen ist, das kennen wir sehr gut in einer Cancel-Culture. Das sind alles Bilder, die sehr heutig sind und Gültigkeit haben. Und wenn man Literatur lesen will, die hinter den vierten, fünften Vorhang der Psychologie schaut, dann sollte man Kafka lesen."
Universale Bilder aus privaten Momenten
Kafka ist der beste Freund, der Sohn, der Verlobte. So wird das hier erzählt. Doch in das Leben schleicht sich immer wieder der Alptraum. Die Realität. Eines Tages macht ihm die Braut in einem Hotel eine furchtbare Szene: zusammen mit Schwester und Freundin. "Die hatten sozusagen einen Fall zusammengestellt, indem sie Briefe, die er ihnen geschrieben hatte, die nicht ganz übereinstimmten, zusammengetragen haben", sagt Schriftsteller und Drehbuchautor Daniel Kehlmann.
"Bei Grete Bloch hat er gesagt, er möchte Felice nicht unbedingt heiraten, er fühle sich dem nicht gewachsen. Felice aber hat er gesagt: 'Ich will dich unbedingt heiraten.' Sie hatten das zusammengestellt, um ihm Unehrlichkeit nachzuweisen. Sie haben auf ihn gewartet, wie ein Tribunal und haben ihm den Prozess gemacht. Das ist eben ein gutes Beispiel dafür, dass diese universalen Bilder bei ihm auf ganz private Momente und Konstellationen zurückgehen. Und das haben wir zu erzählen versucht."
Man kann bei Kafka viel über Scham lernen
Kafka lebte für sein Schreiben. Sein ganzes Leben lang führte er Tagebuch und darin sezierte er die unsichtbaren Kräfte, die zwischen den Menschen wirken. Angst. Liebe. Und immer wieder Ohnmacht. Lebenslang litt er daran, dass sich die Erwartungen und Enttäuschungen des jähzornigen Vaters auf ihn konzentrierten. Über Scham kann man viel lernen bei Kafka. "Es war, als sollte die Scham ihn überleben", heißt der letzte Satz in "Der Prozess".
"Der Kern dieser Geschichte ist wie aus einem Leben große Literatur entsteht und wie das zueinander spielt", sagt David Schalko. "Das kann man bei Kafka nicht trennen. Letztlich ist es auch der Grund, warum wir uns für Kafka interessieren. Man kann ihn aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten und aus jeder Perspektive erscheint ein anderer Mensch. Und je näher man ihm kommt, desto geheimnisvoller wird er auch irgendwie."
Die letzten Notizhefte des manischen Schreibers Kafka, der 1924 an Tuberkulose starb, wurden wahrscheinlich von der Gestapo sichergestellt. Ein Teil dieser Dokumente liegt bis heute in Moskau. So verliert sich die letzte Spur Kafkas im Dunkel unzugänglicher Archive. Das ist die Welt: Eine große, unfertige Gegend.
"Kafka" (Serie), Regie: David Schalko, Drehbuch: Daniel Kehlmann & David Schalko. Das Erste, 26. und 27. März 2024
"Kafka und ich" (Dokumentation). ARD Mediathek ab 20. März 2024. Das Erste, 24. März 2024 um 00:05 Uhr
Autorin: Angelika Kellhammer
Stand: 17.03.2024 17:19 Uhr
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