So., 19.11.23 | 23:05 Uhr
Das Erste
"Operation Finale": Ausstellung über die Ergreifung von Adolf Eichmann
Er kommt aus einem Land im Krieg. Um die Geschichte aufzuarbeiten, die sein Land und unseres verbindet. Avner Avraham, ehemaliger Agent des israelischen Geheimdiensts. Der Mossad hat seine Archive geöffnet und zeigt nun – zusammen mit einem Münchner Museum – zum ersten Mal in Deutschland geheime Dokumente zur Ergreifung Adolf Eichmanns.
"Eichmanns Bedeutung war immens", sagt Avner Avraham. "Er war es, der bei der Gestapo für die 'Judenfrage' verantwortlich war. Die Züge, die Zeitpläne: das war alles seine Aufgabe. Er war kein kleines Rad in der Maschine. Er war die Maschine. Ihn zu fassen, nach Israel zu bringen und dort vor Gericht zu stellen, bedeutet nicht, nur ihn zu bestrafen. Es geht um Größeres."
Eichmann sagte: "Schade Junge, du bist ein Jude"
Eichmanns Geschichte ist auch ihre Geschichte: Eva Erben. Wäre es nach ihm gegangen: Sie würde nicht mehr leben. Erben zeigt ein Foto an der Hauswand: "Da bin ich. Wie ich auf dem Koffer sitze, mit der Puppe." Ein Treffen in Prag. Hierhin ist die 93-Jährige geflohen, als vor kurzem eine Hamas-Rakete hinter ihrem Haus in Aschkelon explodierte. Zurück an den Ort, von dem die Nationalsozialisten sie und ihre Familie vor 80 Jahren in das Ghetto Theresienstadt deportieren.
Dort kommt es zu einer Begegnung, die sie nicht vergessen wird. Sie probt, gemeinsam mit anderen jüdischen Kindern, eine Oper. Auf dem Heimweg sieht sie: ihn. "Ich ging so nach Hause und sehe einen deutschen Offizier", sagt Eva Erben. "Und ein Junge geht vis à vis, der Junge war sehr, sehr schön, blond, blauäugig, ein totaler Arier. Und Eichmann ist heruntergegangen vom Pferd und hat ihn gestreichelt und gesagt: 'Schade Junge, du bist ein Jude.'"
"Warum habt ihr euch nicht gewehrt?"
Evas Vater wird nach Auschwitz gebracht. Sie und ihre Mutter melden sich freiwillig für den Transport dorthin, um ihn wiederzusehen. Nur Eva überlebt. Nach dem Krieg verlässt sie ihre Heimat – nimmt, voller Hoffnung, ein Schiff nach Haifa.
"Wir kamen nach Israel", sagt Erben. "Und die israelische Bevölkerung, also die Sabres, die dort geboren sind, haben uns nicht friedlich angesehen. Sie haben zum Beispiel gesagt: 'Ihr habt euch schlachten lassen. Ihr seid wie die Schafe zur Schlachtung gegangen.' Man konnte das nicht begreifen. Über sechs Millionen: 'Warum habt ihr euch nicht gewehrt?'"
Eichmanns Ergreifung beginnt mit einer Liebesgeschichte
Zur gleichen Zeit lebt Adolf Eichmann in Argentinien, nicht greifbar für die Justiz. Der Mossad wird das ändern. "Es begann mit einer Liebesgeschichte, 1957", sagt Avner Avraham. "Ein halb christlich, halb jüdisches Mädchen aus einer deutschen Familie, die in Buenos Aires lebte, traf einen Mann namens Nicolas Eichmann, Eichmanns Sohn. Er erzählte ihr, sein Vater sei verstorben, er würde mit seinem ‚Onkel’ zusammenleben. Das war nicht sein 'Onkel'. Es war Eichmann unter falschem Namen: Ricardo Klement."
Der Vater des Mädchens wird skeptisch und informiert einen deutschen Staatsanwalt. Fritz Bauer. Und der den Mossad. Der beginnt, Eichmann zu observieren: den täglichen Arbeitsweg, in eine Fabrik von Daimler-Benz. Die tägliche Heimfahrt mit dem Bus Nummer 203.
Der Agent fragt: "Was ist Ihre SS-Nummer?"
Am 11. Mai 1960 ergreifen ihn die Agenten. Er leugnet zu sein, wer er ist. "Einer der Mossad-Agenten begann mit ganz harmlosen Fragen", sagt Avraham. "'Wie heißen Sie?' Und Eichmann behauptete: 'Ricardo Klement.' Also stellte der Agent absurde Fragen wie: 'Welche Farbe haben Ihre Augen, Ihre Haare?' Und plötzlich fragte er: 'Was ist Ihre SS-Nummer?' Und Eichmann sagte wie aus der Pistole geschossen die richtige Nummer. Dann gab er zu: 'Ja. Ich bin Adolf Eichmann. Und jetzt hätte ich gerne ein Glas Rotwein.'"
Doch Argentinien würde Eichmann nicht ausliefern. Der Mossad entführt ihn, sediert und als Mitarbeiter einer israelischen Airline verkleidet. In Israel wartet der Prozess. Im Fernsehen hört die Weltöffentlichkeit von den grausamen Details der deutschen Vernichtungsmaschinerie. "Mit dem Prozess wurde alles klar", sagt Eva Erben. "Auf einmal haben sich viele Leute bei uns dafür entschuldigt wie sie uns gesehen haben. Und für uns war es eine enorme Erleichterung. Enorm."
"Israel wird sich erholen"
Eva heiratet Peter, den sie in Theresienstadt kennengelernt hatte. Sie bekommen drei Kinder, neun Enkel und 15 Urenkel. Sie bauen ein Haus in Israel, auf das ihren Kindern nie widerfahre, was ihnen widerfahren ist.
"Das ist Israel. Man hat gesagt, jetzt haben wir ein eigenes Land", sagt Eva Erben. "Und dieses Land werden wir mit all unseren Kräften behüten und unsere Kinder werden keine Schoah haben. Leider ist es nicht so. Aber ich bin überzeugt, dass sich Israel wieder irgendwie erholen wird von diesen Schock."
An dem Tag, an dem die Rakete einschlug, hatte Eva Erben Vanillekipferl gebacken. Sie hat sie auf dem Küchentisch stehen lassen. Sie will zurück.
AUSSTELLUNGSTIPP
"Operation Finale", Staatliches Museum Ägyptischer Kunst München, ab 24. November 2023.
Autorin: Laura Beck
Stand: 19.11.2023 20:45 Uhr
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