So., 23.03.25 | 23:35 Uhr
Das Erste
Politik kapert Kunst
Elon Musk und Donald Trump proben performatives Shopping. Exerzitien des Must-Have. Egal ob Tesla oder Grönland. Russisches Readymade: Wladimir Putin entwirft ein glänzendes Tableau seines Machtanspruchs.
Zielen auf Affekte
"Dass Politik, insbesondere Politik, die sich radikal gebärdet, Techniken der Kunst, besonders der avantgardistischen Kunst aufgreift, das ist nichts Neues", sagt Ulrich Bröckling, Kultursoziologe und einer der Herausgeber des "Glossars der Gegenwart 2.0".

"Es gab so etwas immer bei radikalen, insbesondere faschistischen Politiken: das Prinzip der Ästhetisierung des Politischen", sagt Bröckling. "Und vieles davon kann man heute eben auch beobachten. Es sind andere Ästhetiken die heute aufgerufen werden. Ästhetiken der Unterbrechung, der Disruption, der Provokation, der Irritation. All das, was unmittelbar auf die Affekte abzielt."
Politiker benehmen sich wie Künstler
Embedded Art. Man kennt sie aus dem Futurismus, der kriegsverherrlichend dem Faschismus zugearbeitet hatte. Martialische Durchdringung der Kunst dann im Nationalsozialismus. Heute recyceln Autoritäre die Ästhetisierung der Politik. Alles ist Cosplay, Travestie, Happening, Massenspektakel und autoritärer Populismus.

"Wir sehen das momentan sehr deutlich, dass Politiker versuchen, sich zu benehmen wie Künstler", sagt die Medienkünstlerin Hito Steyerl. "Wir kennen solche Strategien von Leuten wie Richard Wagner, von Filippo Marinetti oder auch von Gabriele d’Annunzio, die schon immer Schock- und Transgressionsstrategien angewendet haben, um das Publikum in eine Art Paralyse und Schockstarre zu versetzen, die mit Bombast voll geknallt haben, um ihre Denkfähigkeit zu lähmen."
Verliert die Kunst den Anschluss?
Der kalkulierte Wahn ist ein Angriff auf Feinsinn, Komplexität und Reflexion. Hito Steyerl ist eine der international einflussreichsten und wichtigsten Medienkünstlerinnen. Eine kritische Intellektuelle, die sich einmischt. "Vor allem in der Gegenwartskunst sehen wir jetzt als Reaktion auf all diese Prozesse eine wirkliche Rolle rückwärts", sagt Steyerl. "Künstler und Künstlerinnen beschäftigen sich mit sehr traditionellen Handwerken und Materialien. Daran ist im Grunde nichts auszusetzen. Nur wenn die Gegenwart dabei verloren geht, dann verwandelt sich das Ganze in eine Art Eskapismus, der teilweise auch reaktionäre Züge hat."

Da kommt die Kunst nicht mit bei den Tech-Oligarchen mit ihrer radikalen Innovation, der Hochdosierung an Exzess, der kosmischen Entgrenzung von superreichen Space-Cowboys. Die Politik indes ist längst da. Trump liefert wahre Feuerwerke an Überbietungsfuror. "Das Ganze zielt auf Überwältigung", sagt Bröckling. "Es zielt darauf, dass man gar nicht nachkommt."
Karriere macht vor allem die Disruption
Poetische Unmöglichkeit ist eigentlich Sache der Kunst. Olaf Metzels "Freitreppe" kann man nicht betreten. Trump hat dieses Prinzip auf die Politik übertragen. "Wenn jemand die Wirklichkeit so nach Belieben zurecht modeln kann, dann ist er geradezu allmächtig und diese Botschaft wird von seinen Anhängern und Anhängerinnen genau so verstanden", sagt Bröckling. "Das ist eine Strategie der Irritation, die nicht darauf abzielt, zu überzeugen, sondern die darauf abzielt, zu verunsichern, zu überwältigen, zu irritieren."

Karriere macht vor allem die Disruption, die ruckartige Störung. Donald Trump hat sie zur Regierungstechnologie perfektioniert. "Die Disruption, so wie sie momentan von den amerikanischen Tech-Oligarchen praktiziert wird, folgt dem Prinzip der sogenannten kreativen Zerstörung", sagt die Medienkünstlerin Hito Steyerl. "Das ist etwas, was der Wirtschaftswissenschaftler Schumpeter schon in den 20er Jahren erfunden hat, das etwas besonders produktiv sein kann, wenn es zerstört wird, kaputt gemacht wird. Das hat er als Produktivkraft entdeckt und ich fürchte, dass Disruption heute genau diesem Modell folgt. Erstmal alles kaputtmachen und dann schauen wir weiter, da ergeben sich sicher irgendwelche Chancen daraus."
Gleichschaltung und Verflachung durch Affekte
Eine rabiate Form von Affektpolitik. Wie ein Sog bindet sie alle Aufmerksamkeit. Sie schließt an an die Reibungshitze und den Zusammenstoß in den sozialen Medien. "Dass die Social Media so stark auf Affekte setzen und Affekte mobilisieren, das schwappt auch über auf andere Bereiche der Kultur", sagt der Soziologe Ulrich Bröckling.

"Personalisierung wäre eine elementare Strategie dieser Form von Popularisierung. Und auf der anderen Seite sind es Geschichten, die polarisieren. Auch das erzeugt starke Emotionen, starke Affekte: pro contra, Freund Feind, gut böse, das finden wir in der populären Kultur, in der Tendenz der Kultur zur Popularisierung und dasselbe finden wir eben auch in der populistischen Politik."
Gleichschaltung und Verflachung durch Affekte. Heraus aus dieser Dynamik kommt man durch "Denken ohne Geländer", kreative Weite und Vernunft.
Autorin: Christine Hamel
Stand: 23.03.2025 19:19 Uhr
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