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„Winning back the people“

Internationale Top-Ökonomen überlegen, wie der Zulauf für Populisten gestoppt werden könnte

„Winning back the people“ | Video verfügbar bis 18.08.2025 | Bild: hr

Die „Berliner Deklaration“

Superwahljahr 2024. Ein Rechtsruck bei der Europawahl, und der in Frankreich. Im US-Wahlkampf: Massen, die einem Populisten zujubeln. Menschen, die ihren Unmut mit Krawall und Migrantenhetze ausdrücken, in Großbritannien. In Deutschland, schon wieder Querdenkerdemonstrationen. Wären die Populistenwähler in der Mehrheit, wären Menschheit und Planet in Gefahr. Davor warnt jetzt diese Zunft: Ökonomen. Sie haben sich getroffen, um „die Menschen zurückzugewinnen“.

„Wir sehen die Wirtschaft als eine der ideologischen Stützen, als ideologisches Kraftwerk, das die Paradigmen unserer Welt bestimmt“, sagt Adam Tooze, Wirtschaftshistoriker.

“Wir richten uns im Grunde an uns selbst. Wenn wir die Arbeitsabläufe, Praktiken und Strategien des Regierens nicht grundlegend in Frage stellen, dann verraten wir – wir selbst – die Demokratie“, so Adam Tooze weiter.

Mehr als 50 namhafte Wissenschaftler, wie Thomas Piketty, Nobelpreisträger Angus Deaton oder Olivier Blanchard, lange beim IWF haben die „Berliner Deklaration“ verfasst. Sie fordern einen Paradigmenwechsel, Jahrzehntelang wurde der freie Markt als quasi einziges Regulierungsinstrument propagiert, das Wachstum beschere.

Für ein konstruktives Miteinander von Markt und Staat

Aber in sich wandelnden Industrieregionen erlebten viele Menschen einen Abstieg und Kontrollverlust über ihre Lebensumstände, zum Beispiel in England und den USA. und die wählen heute oft Populisten.

„Wenn man sich etwa die Globalisierung anschaut, dann hat die ja erhebliche Wohlstandsgewinne auch tatsächlich gebracht für die Welt insgesamt. Aber die waren eben sehr, sehr ungleich verteilt. Und das ist letztendlich einer der Gründe, warum wir auch den Populismus heute haben“, sagt Jens Südekum, Ökonom und Unterzeichner der „Berliner Deklaration“.

In Deutschland wirke die Verunsicherung durch den erlebten Strukturwandel im Osten noch nach. Corona und Inflation verstärken das Gefühl des Kontrollverlusts. Dabei gehe es ihnen hier gar nicht schlecht.

„In vielen Regionen mit einem hohen AfD-Anteil sagen die Menschen, sie sind eigentlich sehr zufrieden mit ihrer wirtschaftlichen Situation. Gleichzeitig sagen sie aber, sie fühlen sich schlechter gestellt als Menschen in anderen Regionen“, sagt Jens Südekum. „Das hat glaube ich noch sehr viel mit erlittenen Strukturbrüchen, mit Erfahrungen aus der Vergangenheit zu tun. Dass Menschen irgendwie das Gefühl gehabt haben, die Wirtschaftspolitik, die Globalisierung, hat für sie weniger gebracht als für andere.“

Die Wissenschaftler fordern ein konstruktives Miteinander von Markt und Staat. Nicht um die freie Marktwirtschaft zu ersetzen, sondern um sie zu ergänzen – durch staatliche Prioritätensetzung.

Schuldenbremse passe nicht mehr in die Zeit

Der Schlüssel: mehr Investitionen! Zum Beispiel in sogenanntes „Humankapital“: Bildung und Soziales. Auch um Scheinlösungen und Hetze der Populisten etwas entgegenzusetzen, so Wirtschaftshistoriker Adam Tooze.

„Die Antwort muss sein, zu fragen: Was sind deine berechtigten Sorgen? Ich werde nicht mit Dir über deinen Rassismus und deine Islamophobie sprechen, aber wenn Du mir sagst, dass es ein echtes Problem mit Schulen, oder mit der Krankenhausversorgung gibt, oder einfach nicht genug Leute, die sich um Alte kümmern - Dann haben wir die Themen, über die wir reden können. Und deshalb müssen wir die Einschränkungen aufbrechen, die sich eine zutiefst konservative Haushaltspolitik auferlegt, mit ihren Vorstellungen vom Schuldenmachen“ so Adam Tooze, Unterzeichner der „Berliner Deklaration“.

Die Wissenschaftler fordern zum Beispiel eine offenere Haltung in Sachen Reichensteuer und sie appellieren, das Festhalten am Konzept der Schuldenbremse aufzugeben. Es passe nicht mehr in die Zeit.

„Es ist eben eine komplizierte Fragestellung. Es ist nicht so einfach, wie zu sagen: Staatsschulden sind generell schlecht und wir verbieten sie“, sagt der Ökonom Jens Südekum. „Wenn es darum geht, Kredite aufzunehmen und damit ganz gezielt in die eigene Zukunft zu investieren, etwa in die Infrastruktur oder auch in zukunftsträchtige Geschäftsmodelle bei Unternehmen, also letztlich die Arbeitsplätze von morgen, dann sind das ja gute Schulden.“

„Die DNA europäischer Politik ist verzerrt, zu konservativ für die Welt, in der wir leben. Europa spricht über Schuldenabbau, obwohl es um Investitionen, Wachstum und technologischen Wandel gehen müsste, und darum die riesigen historischen Herausforderungen, die es in der Welt gibt, zu bewältigen: sei es China, Russland, Klima, Migration, Afrikas Zukunft, Demografie. Das sind riesige Probleme, die Billionen-Investitionen erfordern. Und das wird nicht mit der gebotenen Dringlichkeit diskutiert“, erklärt Adam Tooze.

Vorwurf gegen die „Berliner Deklaration“

Investitionen. Zum Beispiel in Deutschlands Infrastruktur. 400 Milliarden Euro seien allein nötig, um nachzuholen, was in der Vergangenheit versäumt wurde. Auch die Folgekosten des Klimawandels erfordern viel Geld, ein Posten, der zu wenig berücksichtigt wird, sagt Transformationsforscherin Maja Göpel. Es gibt schon den Vorwurf, die „Berliner Deklaration“ sei ein aktivistischer Linksdrall der Ökonomen.

 „Wir haben gesellschaftliche Ziele, die sind in einer Nachhaltigkeitsstrategie und unserer Verfassung vorgegeben und da sind bestimmte Verteilungsfragen drin, da ist Zugang zu Bildung drin, da ist der Erhalt der Lebensgrundlagen drin. Und wenn das aktuelle politische System und die aktuellen Effekte der Märkte nicht helfen, diese Ziele zu erreichen, dann ist das nicht rechts oder links, die aktuelle Politik zu korrigieren, sondern dann ist das wirkungsorientiertes Regieren. Und wenn das zu einer Deprivilegierung derjenigen führt, die unter dem aktuellen System aber ganz gut dastehen, wird das immer als links deklariert”, sagt Maja Göpel.

Noch nie haben wir eine solche Kombination an Herausforderungen erlebt: Nationalstaaten mit unterschiedlichsten Ideologien und konträren geopolitischen Zielen – auf einem begrenzten Planeten.  Um den zu retten, hilft nur die radikalen Rechten zur Vernunft zu bringen?

Populisten stoppen – Mehrheit gewinnen

„Wir müssen nicht alle Menschen gewinnen, wir müssen die Mehrheit gewinnen“, sagt Wirtschaftshistoriker Adam Tooze. „Wir müssen nicht die Herzen und den Verstand von üblen Rassisten gewinnen, die Schwarze Menschen hassen. Entscheidend ist, sie mit der Kraft der Gesetze zu verfolgen, zu marginalisieren, einzuschränken und sicher zu gehen, dass Leute, die sich aus sehr, sehr irren Gründen verlocken lassen könnten, Populisten zu unterstützen, das nicht tun und sich stattdessen der politischen Mitte zuwenden. Denn die ist ein mächtiger Bulldozer.“

„Die Zukunft ist bereits da“, so Adam Tooze weiter. „Willst Du Teil einer Koalition sein, die konstruktiv eine nationale, eine europäische Antwort gestaltet? Oder tust du lieber so, als würde sich nichts ändern, bis es dann passiert und wir im Chaos enden!


Bericht: Katja Deiß

Stand: 18.08.2024 20:37 Uhr

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