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Die Star-Philosophen auf der Messe

Yuval Noah Harari und Kohei Saito über die Frage: Wie kriegen wir das noch hin?

Yuval Noah Harari und Kohei Saito – Die Star-Philosophen  | Video verfügbar bis 20.10.2025 | Bild: hr

Naturkatastrophen, Klimakrise, KI und das Ende des Wachstums

Hurricans wüten in Florida – zwei innerhalb von nur zwei Wochen. Millionen Menschen müssen in Sicherheit gebracht werden.
Die Sahara versinkt im Hochwasser.
Historische Dürre in Brasilien.
Brände in Portugal. Und Fluten in Thailand.

„Das ist erst der Anfang. Mit der Klimakrise werden noch schlimmere Naturkatastrophen kommen, mehr Dürren, mehr Waldbrände, mehr Fluten. Das wiederum führt zu weiteren Problemen – wie steigende Inflation oder mehr Migration. Und die Probleme mit der Migration wiederum begünstigen dann den Aufstieg von ausländerfeindlichen Rechtspopulisten“, sagt Kohei Saito.

Klima, Demokratie, Kapitalismus: Die Systeme um uns herum erodieren. Und gleichzeitig revolutioniert KI … alles.

„Wir erleben gerade die größte Informationsrevolution der Geschichte. Und sie destabilisiert unsere Gesellschaften. Viele dachten, die Informationstechnologie bringt uns die Verbreitung von Wahrheit, Freiheit und Demokratie. Aber bislang passiert genau das Gegenteil“, sagt Yuval Noah Harari.

Wie umgehen mit den über-lebensgroßen Fragen unserer Zeit? Wie über Zukunft nachdenken, im Moment des Falls? Darüber diskutieren der israelische Historiker Yuval Noah Harari und der japanische Philosophie-Shootingstar Kohei Saito auf der Buchmesse. Brauchen wir einen „Systemsturz“ – um unser Überleben zu sichern? Das jedenfalls ist die These von Kohei Saito. Sein Buch wird weltweit diskutiert. Er glaubt: Unser ständiges Streben nach Wachstum ist die Wurzel unserer Probleme.

„Dem Kapitalismus geht es immer um Wachstum, darum, mehr Profit zu machen. Und dieser Prozess geht unendlich so weiter, offensichtlich ist aber unser Planet endlich. Es ist sehr einfach: unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten kann es nicht geben. Was dann passiert? Ökologische Zerstörung“, erklärt Kohei Saito.

Degrowth-Kommunismus: Eine Alternative zum Kapitalismus?

Und trotzdem produzieren wir immer mehr. Um der selbstzerstörerischen Spirale zu entkommen, brauche es jetzt einen grundlegenden Wandel, glaubt Saito. Weniger Überproduktion – stattdessen eine gemeinwohlorientierte Wirtschaft. Degrowth Kommunismus nennt er das.

„Es geht mir nicht um Stalinismus – oder darum, zu Sowjetzeiten zurückzukehren. Mir geht es darum, die Idee der Commons wiederzubeleben. Vor dem Kapitalismus teilten wir Land, Wälder, Wasser. Das waren Commons – Gemeingüter – die nicht kommerzialisiert, nicht privatisiert waren. Doch im Kapitalismus werden selbst Wasser, Elektrizität und in einigen Ländern sogar Bildung und Gesundheitsversorgung zur Ware. Warum? Weil sie sehr viel Profit bringen. Eine Gesellschaft voller Commons, das ist meine Definition von Kommunismus“, so Kohei Saito weiter.

Eine radikale Idee, ja. Doch die Alternative, sagt Saito, ist eben: das Ende der Welt, wie wir sie kennen.

„Trotz der Verschärfung der Krise glauben wir immer noch, dass es nichts anderes geben kann als den Kapitalismus. Also versuchen wir es mit einer CO2-Abgabe, mit ein bisschen höheren Steuern für Reiche oder ein bisschen Regulierung des Finanzmarktes und so weiter. Aber nichts davon reicht aus, weil diese Krise so gigantisch ist, dass wir solche kühnen, radikalen Ideen brauchen, von denen heute niemand mehr sprechen will“, meint Kohei Saito.

KI, Desinformation und der Zerfall der Demokratie

Die Menschheit steht am „Rande einer existenziellen Krise“ – und begegnet ihr: mit Schockstarre. So lautet auch Yuval Noah Hararis Analyse der Gegenwart. In „Nexus“ erzählt er von entfesselter KI, die uns zunehmend beherrscht.

„Wer entscheidet, was ganz oben im News Feed erscheint? Wer entscheidet, welches Video Sie als nächstes sehen? Es ist kein Mensch. Es ist eine KI. Ein Algorithmus. Und diesen KI ist die Demokratie egal. Ihnen ist die Wahrheit egal. Sie interessieren sich einzig und allein für Interaktionen. So wird die Welt geflutet von toxischer Schrott-Information, die die Menschen immer wütender macht. Und dann bricht der Diskurs zusammen“, sagt Yuval Noah Harari.

… und mit ihm die Demokratie, die braucht den Diskurs!

Sollte also eine so elementare Informationstechnologie wie KI in den Händen privater Tech-Konzerne liegen? Zumindest braucht es weitreichende Regulierung, sagt Harari – und eine demokratische Kontrolle.

“Wir müssen diese Unternehmen zur Verantwortung ziehen. Für das Handeln ihrer Algorithmen – nicht das ihrer Nutzer. Wenn ein Nutzer eine hasserfüllte Verschwörungstheorie verbreitet, dann ist das Problem nicht der Mensch. Sondern der Algorithmus, der entscheidet, diese Art von Inhalt zu verbreiten. Anstatt der Wahrheit. Und genau dafür sollten diese Firmen haftbar gemacht werden“, so Yuval Noah Harari weiter.

Ein Scheideweg: Technologie und die Zukunft der Menschheit

Harari und Saito sind sich in einem Punkt einig: wenn man den Techfirmen bzw. den Kapitalisten freie Hand lässt, erschaffen sie entfesselte Systeme, die nicht mehr den Menschen dienen, sondern zu mehr Ungleichheit, Aggression und Kriegen führen könnten. Noch könnten wir aber umsteuern, meinen sie.

 „Wenn wir in den nächsten Jahren die richtigen Entscheidungen treffen, wird die immense Macht der KI uns dienen. Sie wird uns die beste Gesundheitsversorgung der Geschichte bringen. Die beste Bildung. Wir befinden uns an einem Scheideweg“, sagt Yuval Noah Harari.

Harari bietet in seinem Buch wenig konkrete Lösungen, Saito dagegen formuliert einen klaren Plan für eine friedlichere, gerechtere Zukunft.


Beitrag: Jella Mehringer

Yuval Noah Harari: „NEXUS“ (Penguin Verlag), 2024, 656 Seiten, 28 Euro.

Stand: 20.10.2024 20:00 Uhr

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