SENDETERMIN So., 09.03.25 | 23:05 Uhr | Das Erste

Die Kinder in Gaza

Das Tagebuch der Traumatherapeutin Katrin Glatz Brubakk

Die Kinder in Gaza – Traumatherapeutin Katrin Glatz Brubakk | Video verfügbar bis 09.03.2027 | Bild: Katrin Glatz Brubakk

Katrin Glatz Brubakks Einsatz in Gaza

Katrin Glatz Brubakk ist wiedergekommen, nach Gaza. Sie hatte es versprochen. Sie filmt ihren täglichen Arbeitsweg von der Unterkunft ins Krankenhaus. Alle haben Anweisung, das Auto in gar keinem Fall zu verlassen.

Es ist still: Waffenruhe. Die Kinderpsychologin weiß, dass es trotzdem genauso viel zu tun gibt wie bei ihrem ersten Einsatz.

„Seit 15 Monaten leben die Menschen in ständiger Angst um ihr Leben. Sie gingen ins Bett, ohne zu wissen, ob sie am nächsten Tag ihre Kinder wiedersehen würden. Jetzt, während der Waffenruhe, kommt die Trauer hoch – eine Trauer, für die es vorher keinen Raum gab. Nun zeigen sich die Trauma-Symptome bei den Kindern, die Depressionen bei den Erwachsenen. Wie soll die Zukunft aussehen?“, so Katrin Glatz Brubakk.

Bei ihrem ersten Einsatz gab es noch Beschuss: Katrin Glatz Brubakk arbeitet für Ärzte ohne Grenzen, sieht ihre Berufung aber auch darin, auf Social Media, in Interviews und mit einem Buch, der Welt zu erzählen, was sie hier erlebt: schwertraumatisierte Kinder, in einem Krieg, der diese besonders hart trifft.

Traumatisierte Kinder

 „Wie große Angst Kinder haben, wenn deren ganze Welt auseinandergerissen wird. Wenn Dreijährige den Unterschied zwischen einem Missil und einer Bombe erklären können und wie es sich anhört. Wenn Kinder ganz apathisch werden vor Angst und Kummer. Mein Ziel ist, zu versuchen, zu erklären, was es eben mit Menschen macht, hinter den Überschriften von Bomben und Statistiken“, sagt Glatz Brubakk weiter.

Sie schreibt von den vielen Kindern, die ihre Familienmitglieder durch Bombenangriffe verloren haben. Etliche sind selbst schwerverletzt oder amputiert. Nahezu alle haben ihr Zuhause verloren, ihr soziales Umfeld. Sie will vor allem, den Kindern eine Pause vom Krieg verschaffen. Denn wenn die permanent in ihrer psychischen Ausnahmesituation verharren, bleibt ihre Entwicklung stehen. Das wichtigste Werkzeug der Psychologin: Spielsachen. Immer dabei hat sie zum Beispiel Seifenblasen. Damit kann sie auch Kindern helfen, die sich in ihrem Schreien nicht mehr beruhigen lassen, sehr viele haben Panikattacken.  

„Diese üblichen Übungen, die wir Erwachsenen beibringen, das ist bei den Kindern nicht immer so leicht. Atemübungen mit Fünfjährigen habe ich öfter versucht, ohne dass es mir gelungen ist“, erzählt Katrin Glatz Brubakk. „Aber wenn ich Seifenblasen dabeihabe, dann muss man richtig tief atmen, um die durch die Luft fliegen zu lassen. Und so machen wir es eben spielerisch, dass Kinder auch atmen, entspannen und lachen können. Obwohl der Krieg rast.“

Vertrauen aufbauen

Sie schreibt immer weiter an ihrem „Tagebuch aus Gaza“, es gelingt ihr empathisch und sehr nah von ihren kleinen Patienten zu erzählen, die Geschichten erschüttern und sind doch oft auch hoffnungsvoll. Da ist zum Beispiel Adam: Bei einem Bombenangriff wurde er schwerverletzt, verlor ein Bein und musste mit ansehen, wie sein Vater neben ihm starb. Lange Zeit aß er so gut wie nichts, schlief 20 Stunden am Tag und war apathisch.  

„Er hat mich nur abgewiesen, abgewiesen – aber einen Tag hat er dann doch gedacht: Wer ist denn diese komische Dame? Und da hat er mich so kurz angeguckt. Und dann hab‘ ich gesagt: Mann, hast du schöne braune Augen! Wow, die sind echt schön. Hast du meine schon angeguckt? Die sind blau, die sind ganz anders. Und da hat er nicht widerstehen können und hat mich eben zum ersten Mal angeguckt und dadurch haben wir es ganz langsam mit kleinen Schritten geschafft, dass er nicht alle Menschen mehr von sich schiebt, sondern langsam, langsam konnten wir ein Verhältnis aufbauen“, sagt die Kinderpsychologin.

„Privilegienscham“

Seit zwei Wochen ist Katrin Glatz Brubakk wieder zuhause in Norwegen.  Hier wie da habe sie oft dieses ungute Gefühl, das sie „Privilegienscham“ nennt. In ihrem Tagebuch schreibt sie auch davon, denkt über den Zufall nach, der sie an diesen friedlichen Ort verpflanzt hat.  

„Das ist der Punkt, wo die Ungerechtigkeit der Welt so unheimlich deutlich wird. Ich kann hierher zurück, ich weiß, ich bin hier sicher. Ich weiß, dass meine Kinder hier sicher sind, ich kann aufatmen, ich kann frische Luft atmen. Und ich kann eben… Ich hab‘ das Privileg, hinzufahren und zu arbeiten und zu helfen, aber auch das Privileg, wieder wegzufahren. Und meine Kollegen haben es nicht“, so Glatz Brubakk.

Seit zehn Jahren hilft sie in Krisengebieten. Doch Gaza war für sie der erste Einsatz in einem Kriegsgebiet. Im Sommer 2024. Koffer packen für den Krieg.

„Wir lieben das Leben, aber das Leben liebt nicht uns“

„Wie packt man, wenn man in ein Kriegsgebiet reist? Ich weiß es nicht“, erzählt Glatz Brubakk in einem Video kurz vor der Reise. „Ich werde es einfach versuchen, denn ich bin auf dem Weg nach Gaza. Shampoo und Hautcreme sind wichtig, weil es dort fast unmöglich ist, solche Dinge zu bekommen, und das Duschen mit Salzwasser die Haut austrocknet. Kaffee, Tee und Schokolade haben meine Kollegen mich gebeten mitzubringen, weil sie sich nach zehn Monaten ohne richtige Versorgung wirklich danach sehnen.“

Shampoo und Seife als Mangelware, auch das ist eine psychische Belastung für die Menschen in Gaza.   

„Eine meiner Kolleginnen sagt, dass auf jeden Fall die Konsequenz davon ist, dass man eben all diese Strategien, die wir haben, um Würde aufrechtzuhalten, aber auch uns mal was Gutes zu gönnen, dass ist ihnen genommen worden“, sagt Glatz Brubakk.

Jetzt hat die israelische Regierung die Einfuhr aller Waren und Hilfsgüter nach Gaza gestoppt – um den Druck auf die Hamas zu erhöhen. Die Angst vor einer Hungerkatastrophe wächst. Gerade plant sie ihren dritten Einsatz. Sie will helfen, sagt sie, weil sie weiß, dass sie helfen kann und der Welt weiter von den Kindern in Gaza und ihren palästinensischen Kollegen berichten.

„Ein Kollege sagt: Wir lieben das Leben, aber das Leben liebt nicht uns“, erzählt die Kinderpsychologien. „Weil sie eben das Gefühl haben, verlassen worden zu sein von der ganzen Welt eigentlich. Wir müssen, um irgendeine Lösung zu finden, müssen wir das menschliche Leiden auf beiden Seiten verstehen. Das ist nicht nur eine politische Frage, das ist eine rein humane Frage. Und es ist ´ne Verpflichtung, glaub ich, als Mensch anderen Menschen, die uns brauchen, nicht den Rücken zuzuwenden.“


Autorin: Jella Mehringer

Katrin Glatz Brubakk: „Tagebuch aus Gaza“, die deutschsprachige Ausgabe erscheint am 29.9.25, Westend Verlag.

Stand: 09.03.2025 19:46 Uhr

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Hessischer Rundfunk
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